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Raus aus der Klimablase

Die Klimabewegung muss Milieugrenzen überwinden und sich mit anderen Bewegungen zu breiteren Bündnissen zusammenschließen. Nur so lasse sich die „imperiale Lebensweise“ im globalen Norden überwinden, sagt Buchautor Alexander Behr. Ein Gastbeitrag von Angelika Zahrnt.

Globale Solidarität auf einem begrenzten Planeten – das geht nicht ohne den Abschied vom jetzt dominierenden Dogma des unbegrenzten Wirtschaftswachstums, das mit seinem Ressourcenverbrauch unsere Lebensgrundlagen zerstört.

Deswegen muss die sozial-ökologische Transformation der Übergang zu einer Postwachstumsgesellschaft sein, in der nicht die Steigerung der materiellen Produktion Vorrang hat, sondern das Wohlergehen aller Menschen.

Das bedeutet eine gerechte Verteilung, insbesondere zwischen den Ländern des Nordens und des Südens, aber auch innerhalb dieser Länder. So die Überzeugung des Autors Alexander Behr.

Der Politikwissenschaftler und Journalist engagiert sich in weltweit vernetzten sozialen Bewegungen. Er ist gleichermaßen in der Wissenschaft wie in der Welt herumgekommen – das prägt sein Buch.

Scharf kritisiert er die imperiale Lebensweise in den Ländern des Nordens, die mit ihrem steigenden Konsum auf der Ausbeutung der Länder des Südens beruht, er kritisiert die Machtstrukturen und Vermögensungleichheiten, die Globalisierung und die Fixierung auf ständiges Wirtschaftswachstum, das die Klimakrise weiter anheizt und den Planeten zerstört.

Die Klimakrise ist für den Autor der „Brandbeschleuniger“ aller anderen gesellschaftlichen Krisen und sollte für ihn im Mittelpunkt globaler Solidarität stehen. Die sozial-ökologische Transformation sollte deshalb vorrangig darauf ausgerichtet sein, ein gutes Leben für alle und ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen zu ermöglichen, was eine Wachstumsrücknahme in den Ländern des Nordens voraussetze.

Welche Strategien sind heute geeignet und nötig für die Transformation? Der Autor plädiert dafür, dass die Klimabewegung Milieugrenzen überwinden und sich mit anderen Bewegungen zu breiteren Bündnissen verbinden solle, um eine Änderung der imperialen Lebensweise zu erreichen.

Aus der Analyse sozialer Bewegungen in der Vergangenheit und ihrem oft spannungsgeladenen bis ablehnendem Verhältnis zu Institutionen und Parteien leitet er die Aufforderung ab, dass hier nach produktiven Wegen gesucht werden solle, die Veränderungsimpulse aus der Bewegung aufzunehmen und im politischen Handeln und in der Gesetzgebung zu verankern. Denn ohne diese Verankerung drohten Impulse und Anstöße zu verpuffen, wie zum Beispiel bei der Occupy-Bewegung.

Verschiedene Strategien verbinden

Erfolgversprechend ist für den Autor die von Erik Olin Wright formulierte Verbindung von drei Strategien – der Symbiose, des Freiraums und des Bruchs.

Strategien der Symbiose streben soziale und ökologische Verbesserungen im Kompromiss mit den herrschenden Institutionen und Klassen an.

Freiraumstrategien setzen auf die Entwicklung von Alternativen und nehmen damit eine postkapitalistische Gesellschaft im Kleinen vorweg.

Ansätze zu einem Bruch mit der herrschenden Logik gehen von außerparlamentarischen Massenmobilisierungen durch soziale Bewegungen aus.

Wenn sich diese drei Strategien auf den unterschiedlichen Ebenen ergänzen und stärken würden, könnten wirkungsvolle Veränderungen erkämpft werden.

In dem Buch werden auch traditionelle Forderungen der Linken nach Vergesellschaftung und Änderung von Macht- und Vermögensverhältnissen gestellt. Gleich eingangs positioniert sich der Autor mit einem Zitat von Jean Ziegler: „Entweder wir zerstören den Kapitalismus oder er zerstört uns.“

Aber diese Frage wird nicht weiter theoretisch diskutiert, sondern es wird pragmatisch auch nach Wegen gesucht, wie der Kapitalismus verändert und geschwächt werden kann, sodass im bestehenden System erfolgreiche Strategien gefunden und verfolgt werden können, die die Zerstörung des Planeten verhindern. „System change – not climate change“, dieser Slogan der Klimabewegung mit seinem nicht klar definierten Systembegriff hat nicht umsonst so große Zugkraft.

An linke Strömungen gerichtet ist die Aussage des Autors: „Soziale Bewegungen dürfen sich heute nicht mehr auf die Überwindung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit beschränken, sie müssen sich prioritär auch dem Widerspruch zwischen Kapital und Natur widmen.“ Und sie müssten Abschied nehmen von dem auch sie prägenden Fortschrittsoptimismus und dem Ziel des Wirtschaftswachstums, das die vielfältigen Krisen nur weiter verschärft.

© oekom verlag 2022

Dieser kurze Einblick bezieht sich vor allem auf Strategien zur Transformation. Weitere Kapitel gehen auf die sozial-ökologischen Krisen und ihre Ursachen ein, beleuchten globale Solidarität gestern und heute, falsche Alternativen wie Technikgläubigkeit oder freiwillige Selbstverpflichtungen, widmen sich anschaulich vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Kämpfen.

Mit seinen historischen Bezügen und aktuellen Beispielen ermutigt das Buch zum persönlichen Handeln wie auch zum politischen Engagement, zur eigenen Überwindung der imperialen Lebensweise wie auch zur Mitwirkung und Unterstützung bei der sozial-ökologischen Transformation. Ein informatives und vielschichtiges Buch zum Verstehen der Vergangenheit und zur Gestaltung der Zukunft.

Quelle

Die Rezension wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ Angelika Zahrnt) 2023 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! | Angelika Zahrnt war von 1998 bis 2007 Bundes­vorsitzende des Umwelt­verbandes BUND. Die wachstums­kritische Ökonomin startete bundes­weit beachtete Studien und Initiativen für nachhaltiges Wirtschaften und Suffizienz­politik.

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