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Bigi Alt

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Wiesen und Weiden

Wiesen und Weiden machen fast 30 Prozent der Landfläche Deutschlands aus. Sie können ökologisch vielfältig und auch wunderschön sein. Ein Buch darüber – vorgestellt von Professor Udo E. Simonis

Rund 53 Prozent der Landfläche Deutschlands entfallen derzeit auf die von der Landwirtschaft genutzten Anteile, knapp 30 Prozent sind Wald- und Forstfläche; die Siedlungsfläche macht etwa 7 Prozent aus, die Verkehrsfläche 5 Prozent und die Wasserfläche knapp 2,5 Prozent. In den letzten Jahrzehnten gab es signifikante Veränderungen bei den Siedlungs- und Verkehrsflächen, die enorm zugenommen haben, während die Waldfläche in etwa gleich blieb und die Landwirtschaftsfläche leicht abnahm. Deutschland blieb insgesamt – so folgert der Autor – noch ziemlich grün; doch das Grau der Siedlungs- und Verkehrsflächen ist stark auf dem Vormarsch: Städte und Dörfer wachsen unaufhörlich und das hypertrophe Verkehrsnetz mit Autobahnen, Land- und Bundesstraßen lässt fast keine unzerschnittenen Landschaftsräume zurück. Doch wie grün ist das Grün?

Dieses Buch ist den Wiesen (und Weiden) gewidmet – und deren Flächenanteil beträgt im Bundesdurchschnitt 28 Prozent der Landfläche. Von Bundesland zu Bundesland sieht dieses Bild indes höchst interschiedlich aus: in Baden-Württemberg sind es fast 40 Prozent, in Sachsen-Anhalt dagegen nur wenig mehr als 14 Prozent. Solche Flächenanteile sind nicht nur Tabellenwerte in amtlichen Statistiken, sie verkörpern auch besondere und genauer zu betrachtende Lebensräume – und darum geht es dem Autor.

Er verfolgt aber kein politikwissenschaftliches Konzept, will keineswegs eine dringend notwendige „Wiesenpolitik“ begründen oder gar ausformulieren. Es geht ihm vielmehr um ein qualitatives Anliegen: um die Schönheit der Natur, deren Wahrnehmung und Wertschätzung. Hätte er ein politisches Anliegen, würde es ohne Zweifel schwierig zu formulieren sein.

Es beginnt schon damit, dass der Volksmund – die bürgerliche Begrifflichkeit, wie der Autor sagt – nicht exakt zwischen Wiesen und Weiden unterscheidet. Die allseits geliebte „Spielwiese“ ist eher ein Rasen. Der bei Pflanzenfreunden wegen seines Artenreichtums geschätzte „Trockenrasen“ ist gewöhnlich Weide. Auch die sprichwörtliche „Grüne Wiese“ am Dorf- oder Stadtrand könnte eine Weide (gewesen) sein. Dabei sei der Unterschied zwischen diesen beiden Grünlandformen eigentlich einfach zu beschreiben, sagt der Autor: Beide Flächentypen dienten der Ernährung von Nutztieren – die Weide im Direktverfahren, indem sie von den Weidetieren beknabbert wird, die Wiese erst später, wenn das auf ihr gewonnene Heu jenseits der Vegetationsperiode an die Stalltiere verfüttert wird.

Doch um solche und andere definitorischen Feinheiten geht es dem Autor im Grunde nicht. Ihm geht es vielmehr um die „starken Eindrücke“, die Urwüchsiges bewirken kann: um die im Wind wogenden Blütenmeere, die über Wiesen hinweggaukelnden Schmetterlinge, um den überbordenden Reichtum der Natur schlechthin. Um solch starke Eindrücke ist es in der modernen Gesellschaft aber schlecht bestellt. In Deutschland leben bereits deutlich mehr Menschen in der Stadt als in ländlich geprägten Räumen – und dieser Trend gilt weltweit. (Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) nennt sein jüngstes diesbezügliches Gutachten: „Der Umzug der Menschheit“).

Der Autor zitiert die Studie des Psychologen Alexander Mitscherlich „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, das früh schon (1965) vor den psychischen Folgen der zunehmenden Naturentfremdung des Stadtmenschen warnte. Wo sehen die Stadtkinder noch lebendiges Grün? Wie erleben sie die Jahreszeitlichkeit? Wo erfahren sie wie Pflanzen keimen, wachsen und sich entfalten? Eine grüne, blumige Wiese erscheint vor diesem Hintergrund als kontrastreicher Gegenentwurf zur deprimierenden Tristesse grauer, monotoner Siedlungen.

„In der freien Flur ist alles völlig anders“ – so heißt denn der Kernsatz, der den Autor antreibt. Wiesen erschließen sich in ihren ökologischen Qualitäten und tatsächlichen Erlebniswerten aber nicht sofort und auf den ersten Blick. Und so lädt er mit diesem Buch die Leserinnen und Leser zu jahreszeitlich differenzierten „Wiesen-Inspektionen“ ein, die jeweils ein Schwerpunktthema aus der Ökologie aufgreifen – und mit denen er zeigen will, was es vom Frühjahr bis Winter auf Wiesen und Weiden an aktuellen oder übergreifenden Geschehnissen zu beachten gilt.

„Erst Wald, dann Weide und Wiese“, heißt ein Kapitel; „Umschau im Grünland“, ein anderes; „Ein Platz für viele Tiere“, ein weiteres. Und dann gibt es auch die „Liebenswerte Streuobstwiese“ und die „Salzwiesen zwischen Land und Meer“. (Einige Salzwiesentiere erwähnt der Autor, das Salzwiesenlamm, das den Gourmets als Köstlichkeit gilt, aber bewusst nicht). Alle Kapitel des Buches sind mit zahlreichen, teils wunderschönen Bildern versehen, die den Text plastisch werden lassen und den Leser, die Leserin sogleich in gute Stimmung bringen. Noch gibt es sie also, die Schönheit der Natur – wie auch die vom Menschen geschaffene schöne Kulturlandschaft! Und dem Rezensenten geht ein Licht auf: Wenn dieses Buch (und andere seiner Art) viele Leserinnen und Leser findet, starke Eindrücke bei ihnen hinterlässt und sie zu Wanderungen durch einzigartige Lebensräume animiert, dann kommt es auf eine „Wiesenpolitik“ vielleicht gar nicht mehr an….

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Theiss Verlag
Quelle

Udo E. Simonis 2015 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Redakteur des Jahrbuch Ökologie

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