Drogen im Abwasser – mehr als ein Medienhype
Der Kulturingenieur Christoph Ort gehört zu den Forschenden der Eawag, deren Arbeit in den Medien in letzter Zeit auf besonders grosses Echo gestossen ist. Sein Thema «Drogen im Abwasser» ist den Journalisten im wahrsten Sinne des Wortes eingefahren. Dass ein grosses Medienecho für einen Wissenschaftler ein Gewinn sein kann, aber auch einige Nachteile mit sich bringt, erzählt Ort in diesem Interview.
Sie sorgen mit der Erforschung von Drogenrückständen im Abwasser seit Jahren für Schlagzeilen. Allein im Jahr 2015 sind weit mehr als 200 Medienberichte erschienen.
Zu Beginn muss ich darauf hinweisen, dass ich nicht alleine bin. Wir sind mittlerweile über 30 Forschungsgruppen in 27 Ländern, die ihre Arbeit absprechen und als Co-Autoren publizieren – seit 2011 unter anderem als Report für die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA). Dadurch können wir uns zwar weniger mit Einzelarbeiten profilieren, dafür entstehen in der Zusammenarbeit gute neue Ideen. Und weil wir transdisziplinär arbeiten, erkennen wir Forschungslücken schneller als im Alleingang.
Aber das grosse Presse-Echo wird Sie trotzdem freuen.
Natürlich! Am Anfang habe ich mich zwar etwas beklagt, weil ich für die Medienanfragen enorm viel Zeit aufwenden musste, denn Zeit hat man in der Wissenschaft ja immer viel zu wenig. Aber über die Medien erreicht man die Menschen anders als mit wissenschaftlichen Papers. Man gelangt auch an neue Kreise. Wenn sich dank der Berichterstattung politisch etwas bewegt oder neue gute Kontakte zustande kommen – wie in unserem Fall mit dem Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) oder dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit (BMG) –, dann lohnt sich der Aufwand dafür längst.
Was beinhalten diese neuen Kontakte?
Das BAG ist interessiert an unseren Daten und hat uns gebeten, Vorschläge auszuarbeiten, wie man diese für die Gesundheitsvorsorge noch besser nutzbar machen könnte. Wir versuchen, zuverlässige Informationen aus dem Abwasser zu holen, um damit eine Art Fingerabdruck der Gesellschaft zu generieren. Unsere Daten könnten andere Instrumente des BAG – etwa Umfragen zum Drogenkonsum – sinnvoll ergänzen. Die weitere Interpretation und Umsetzung dieser Erkenntnisse ist dann jedoch nicht meine Aufgabe.
Wie meinen Sie das?
Ich bin Spezialist für die Quantifizierung von Stoffen im Abwassersystem. Aber man darf von mir keine sozialwissenschaftlichen oder gesundheitsrelevanten Aussagen wie «Zürich hat ein Kokainproblem» oder ähnlich erwarten.
Haben das die Journalisten von Ihnen verlangt?
Manchmal ging es schon in diese Richtung. Aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, ob die Drogen von einigen wenigen oder von einer grossen Gruppe konsumiert wurden. Auch Schlagzeilen wie «Dortmund ist Deutschlands Kokainhauptstadt» haben mich gestört. Dafür gibt es keine wissenschaftliche Basis. Dazu hätten wir viel mehr Städte untersuchen und vergleichen müssen. Wir verfügen jedoch nur über Daten aus 50 europäischen Städten. In Deutschland haben wir insgesamt nur fünf untersucht.
Und trotzdem haben Sie selber eine Rangliste der Städte erstellt.
Wir haben dies hauptsächlich darum gemacht, weil uns klar war, dass die Medien die Daten auf diese Art und Weise darstellen würden. Deshalb wollten wir die Rangliste wenigsten so aufbereiten, dass sie korrekt ist und konsistent verwendet wird.
Dennoch gab es Schlagzeilen, die Sie geärgert haben.
Die meisten Journalisten übernehmen jeweils den Text der Pressemitteilung und fassen diesen mal mehr, mal weniger gut zusammen. Manchmal kam es jedoch zu Zuspitzungen, bei denen ich wirklich nicht nachvollziehen konnte, woher der Autor diese Aussage nahm. Eine Gratiszeitung behauptete beispielsweise, der Bund erwäge, die Abwässer in der Schweiz systematisch auf Drogenrückstände zu untersuchen. Das stimmte nicht. Umso mehr freuen einen dann auch die guten Resultate wie etwa ein Artikel in der deutschen Tageszeitung TAZ. Die Journalistin hat sich nicht nur beim Text, sondern auch bei der grafischen und fotografischen Aufbereitung des Themas viel Mühe gegeben.
Wie wählen Sie die Städte für das europäische Monitoring aus? Kommen die Verantwortlichen mittlerweile von selbst auf Sie zu?
Zu Beginn haben wir einfach mit den Städten gearbeitet, zu denen die Forscherinnen und Forscher aus unserem Netzwerk bereits einen Bezug hatten. Über die letzten fünf Jahre waren wir in 87 Städten tätig. 2015 deckten wir insgesamt eine Bevölkerung von 38 Millionen Menschen in 75 Städten ab. Wir werden jedoch nicht von Anfragen überrannt. Das überrascht mich nicht, denn eine solche Untersuchung bedeutet neben einem Mehraufwand für die Kläranlagen auch ein gewisses Reputationsrisiko. Weil man jedoch nie weiss, ob höhere oder tiefere Werte als befürchtet resultieren, kann die Messung auch ein Image-Gewinn bringen.
Wer finanziert die Untersuchungen?
Im Moment sind dies hauptsächlich die beteiligten Forschungsinstitutionen. Einige Beiträge übernehmen auch die EMCDDA und die Sewage Analysis Core Group Europe (Score), in der sich zahlreiche Forscherinnen und Forscher zusammengeschlossen haben. Es ist jedoch denkbar, dass künftig auch Institutionen wie das BAG, das BMG, lokale Gesundheitsbehörden oder die Polizei solche Untersuchungen finanzieren.
Wie möchten Sie das Monitoring weiterentwickeln?
Wir würden gerne die saisonalen Effekte besser aufzeigen. Bisher machen wir ja kein permanentes Monitoring, sondern wir nehmen in den Städten nur eine Woche lang Proben. Wir versuchen zwar, jeweils eine Periode ohne ungewöhnliche Ereignisse auszuwählen, aber wir machen definitiv keine Langzeitbeobachtung. Dafür reichen unsere logistischen und finanziellen Ressourcen nicht. Anhand der wenigen langen Zeitreihen, die wir bisher erarbeiten konnten, sehen wir jedoch, dass gewisse Drogenrückstände im Abwasser zeitlich hohe Schwankungen aufweisen. Um mit Routineuntersuchungen über längere Zeiträume verlässlichere Daten zu erheben, schlagen wir deshalb verbesserte Monitoring-Programme vor.
Einige Medien haben kritisiert, dass euer Monitoring die Drogenmenge mit der Zahl der städtischen Bevölkerung aufrechnet und dadurch Personen von ausserhalb ausblendet, die in der Stadt Drogen konsumieren.
Der Vorteil der Abwasseruntersuchung ist ja genau, dass sie eine möglichst grosse Bevölkerung abdeckt – und dies anonym. Aber das geografische Einzugsgebiet einer Kläranlage definiert die Systemgrenzen. Auch wenn wir Pendler und Partygänger genauer erfassen könnten, würde uns das Abwasser nicht sagen, wer die Drogen hauptsächlich konsumiert. Mit einem hochaufgelösten Monitoring über längere Zeiträume liessen sich aber möglicherweise schon genauere Aussagen zum Drogenkonsum machen, da die Aufenthaltszeit des Abwassers in der Kanalisation selten höher ist als zwei, drei Stunden.
Gab es weitere Kritikpunkte, die Sie allenfalls kontern möchten?
Manche Leute glaubten, dass wir nicht unterscheiden können, ob die Drogen, die wir im Wasser finden, konsumiert oder bei einer Razzia ins Wasser geworfen wurden. Aber das können wir für ausgewählte Substanzen mittlerweile recht gut, denn wir untersuchen ja auch die Umwandlungsprodukte der Drogen. Kokain wird beispielsweise mehrheitlich als Benzoylecgonin ausgeschieden. Wir haben herausgefunden, dass gewisse Ausscheidungsstoffe in der Kanalisation stabil bleiben, zum Beispiel Ketamin. Bei diesen kann man eins zu eins auf den Konsum zurückschliessen. Bei weniger stabilen Stoffen wie etwa Amphetamin sind wir daran herauszufinden, welche Umweltparameter wie Temperatur, Sauerstoffgehalt oder pH-Wert die Transformation der Stoffe begünstigen.
Cannabis wird oft konsumiert, weshalb habt Ihr dies nicht in allen Städten untersucht?
Die Laboranalyse der Rückstände von Cannabis gestaltet sich schwieriger als bei anderen Drogen. Auch bei den Prozessen in der Kanalisation gibt es noch offene Fragen. Das Wissen ist also noch nicht ausgereift genug, um auf den effektiven Konsum zurückzuschliessen und verschiedene Städte objektiv miteinander zu vergleichen. Zeitliche Trends können wir dagegen zuverlässiger erfassen, falls die unbekannten Einflussfaktoren in einer Stadt über die Zeit mehr oder weniger konstant bleiben.
Inwiefern ist bei dieser Forschung auch der Datenschutz ein Thema?
Wir haben uns mit Hilfe einer Charta selber gewisse ethische Grenzen gesetzt. Wir untersuchen beispielsweise keine kleinen Teileinzugsgebiete, um nicht bestimmte Quartiere oder Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren. Auf Einzelpersonen kann man bei unseren Untersuchungen sowieso nicht zurückschliessen, dafür müsste man schon eine Urinprobe machen. Der Abfluss von Gefängnissen wurde im Auftrag des Sicherheitspersonals jedoch schon untersucht. Man wollte herausfinden wie repräsentativ zufällige Urinproben sind und was bestimmte Massnahmen nützen, um den Drogenkonsum zu reduzieren. Wir wurden auch schon angefragt, direkt bei einer Bank, bei der ETH oder beim Weltwirtschaftsforum Proben zu nehmen. Die Probenahme direkt bei einem Gebäude und die hohen Schwankungen der Drogenrückstände auch ohne spezielle Anlässe erfordern aber einen immensen Aufwand und mehr als nur zwei Abwasserproben. Wenn die Interessenten dann hören, was das kostet, sehen sie meist davon ab.
Wie sind Sie eigentlich auf das Thema Drogen gekommen?
2008 hatte ich an der australischen Universität Queensland in Brisbane die Arbeit für mein Postdoc aufgenommen. Ursprünglich konzentrierte ich mich dabei auf die Quantifizierung von Spitalabwasser. Es ging mir darum, zu analysieren, ob Stoffe aus den Spitälern einen substanziellen Anteil im kommunalen Abwasser ausmachen, und abzuschätzen, ob sich daraus ein weiterer Handlungsbedarf ergibt. Ein Forscherkollege, ein Toxikologe, wollte etwas zum Thema Drogen machen. Er wusste, dass ich bereits viel in Abwasserkanalisationen gearbeitet hatte und war interessiert an diesem Fachwissen, denn um repräsentative Wasserproben zu erhalten, braucht es gute Kenntnisse über die Dynamik im Kanal. So entwickelten sich eine erste Zusammenarbeit und fortlaufend neue Projekte. Auch heute arbeiten wir noch gemeinsam an weiterführenden Fragestellungen, zum Beispiel wie man anhand von Abwasser abschätzen kann, wie viele Personen im Laufe eines Tages dazu beigetragen haben.
Kann Ihre Forschung auch für die klassische Siedlungswasserwirtschaft genutzt werden?
Zahlreiche unserer Erkenntnisse über die Transformationsprozesse im Kanal lassen sich auf andere Mikroverunreinigungen übertragen. Umgekehrt profitieren wir von Forschungsarbeiten zu anderen Stoffen. Aber es gibt auch einen indirekten Nutzen: Mit diesem publikumsträchtigen Thema konnten wir vermutlich bei einem grösseren Kreis von Leuten das Bewusstsein wecken, dass man aus der Kanalisation spannende Sachen herauslesen kann. Dadurch lassen sich hoffentlich auch Forschungsprojekte finanzieren, die ebenso wichtig, aber weniger medienwirksam sind.
Welche anderen Stoffe könnten auch noch interessant sein?
Spontan denke ich an Biomarker für Krankheiten. Ich kann mir vorstellen, dass sich Erhebungen im Kanal zu einer Art Frühwarnsystem entwickeln könnten. Die abwasserbasierte Epidemiologie ist jedoch nichts völlig Neues. Die Eawag hat sich mit diesem Gebiet bereits intensiv befasst – etwa in den Bereichen Spitalabwasser oder Antibiotikaresistenzen. Ich denke, diese Forschungsrichtung gewinnt in Zukunft noch mehr an Bedeutung.
Und welche Forschungsziele peilen Sie persönlich als nächstes an?
Dem Abwasser bleibe ich treu, aber ich werde mich vermehrt auf Regenwasserentlastungen konzentrieren. Bei starken Regenfällen können Kläranlagen nicht die gesamte Wassermenge bewältigen, deshalb gelangt ein Teil des Abwassers ungeklärt in die Umwelt. Wir möchten diese Entlastungen in ausgesuchten Einzugsgebieten genauer charakterisieren und dabei sowohl das Monitoring als auch die Vorhersagen über allfällig kritische Entlastungsstellen verbessern. Bei der Erarbeitung dieser Expositionsszenarien stehen also nicht mehr die Drogen im Zentrum, aber ich kann von den Erfahrungen, die ich mit diesem Thema gemacht habe, enorm profitieren und dabei auch auf Untersuchungsmethoden zurückgreifen, die wir im Zusammenhang mit den Drogen neu erarbeitet haben.
Hat Ihnen das Thema Drogen die Finanzierung des neuen Vorhabens erleichtert?
Das ist schwierig zu beurteilen. In Wissenschaftskreisen oder beim Schweizerischen Nationalfonds ist das mediale Echo vielleicht weniger ausschlaggebend. Aber eine gewisse Visibilität hilft einem sicher. Und wie gesagt, man kommt damit auch an interessierte Kreise heran, die unsere wissenschaftlichen Papers nicht lesen.