Illegale Abholzung in der EU: Kampagne für die Paradies-Wälder
Naturschutzorganisationen fordern ein Moratorium gegen den anhaltenden Raubbau in Rumäniens Wäldern. Die EU-Kommission soll endlich handeln und die Rechtsverletzungen vor den Europäischen Gerichtshof bringen.
Rumänien ist ein Hotspot des Naturschutzes – in doppeltem Sinne. Das südosteuropäische Land verfügt noch über mehr als 525.000 Hektar Ur- und Naturwälder, das ist mehr, als jeder andere EU-Mitgliedsstaat außer Skandinavien aufzubieten hat. Viele geschützte Tiere wie Bären, Wölfe, Luchse, Schwarzstörche, Eulen, Spechte, Fledermäuse und Käfer leben dort.
Doch die Wälder werden ungebremst zerstört, unter anderem durch Kahlschläge, obwohl rund 300.000 Hektar sogar als streng geschützte Natura-2000-Gebiete der Europäischen Union ausgewiesen sind.
Umweltschützer protestieren seit Langem gegen diesen Raubbau. Nun hat die deutsche Naturschutzorganisation Euronatur in dieser Sache einen offenen Brief an den zuständigen EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius geschrieben. Darin fordert sie zusammen mit ihren rumänischen und juristischen Partnern Agent Green und Client Earth ein Moratorium für die Abholzung.
Der Anlass: Es sind genau vier Jahre vergangen, seitdem das Trio die EU-Kommission offiziell auf die Zerstörung geschützter Wälder in Rumänien aufmerksam machte. Daraufhin hatte Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land eingeleitet.
Trotzdem ist der Holzeinschlag in rumänischen Schutzgebieten weiterhin massiv, wie ein aktueller Report von Agent Green und Euronatur zeigt.
„Die Zerstörung ist nicht rückgängig zu machen“
Die Naturschutzorganisationen befürchten, dass die Ur- und Naturwälder in zehn bis 15 Jahren vollständig verschwunden sind, wenn kein Moratorium verhängt wird. Agent-Green-Präsident Gabriel Păun sagte: „Es ist empörend festzustellen, dass Rumänien ohne mit der Wimper zu zucken geschützte Wälder abholzt.“
Annette Spangenberg von Euronatur betonte, die Ur- und Naturwälder seien trotz ihrer wichtigen Funktion für den Klima- und Artenschutz „von einer fortschreitenden Zerstörung betroffen, die nicht rückgängig zu machen ist“. Beide Organisationen führen eine gemeinsame Kampagne unter dem Motto „Save Paradise Forests“ durch.
Laut den Untersuchungen vor Ort sind in der Vergangenheit bereits riesige Flächen zerstört worden, und in einigen Gebieten hat die Abholzung nach Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens sogar zugenommen.
Unter anderem wurden Wälder abgeholzt, die an sehr abgelegenen und für Menschen normalerweise unzugänglichen Orten liegen. Dazu haben die Holzunternehmen breite provisorische Abholzungsstraßen in die Wälder geschlagen, wie zum Beispiel Drohnenaufnahmen aus dem Natura-2000-Gebiet Repedea-Tal in der Region Maramureș im Norden Rumäniens zeigen.
In einer exemplarischen Analyse von Abholzungsgenehmigungen zeigte sich laut Euronatur, dass in den letzten zwei Jahren mehr als 60.000 Kubikmeter Holz aus fünf Schutzgebieten mit einer Gesamtgröße von 517.009 Hektar entnommen wurden. Die gerodete Fläche entspricht rund 420 Fußballfeldern. Es handelte sich dabei um nur 0,01 Prozent der insgesamt in Rumänien erteilten Genehmigungen.
„Wir gehen davon aus, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist“, heißt es dazu bei Euronatur. In den vier Jahren seit Beginn des Vertragsverletzungsverfahrens sei klar geworden, dass das Problem der Abholzung geschützter Wälder nicht auf nationaler Ebene oder durch Gespräche mit der rumänischen Regierung gelöst werden kann. „Es ist daher höchste Zeit, dass die Europäische Kommission diese Angelegenheit vor den Europäischen Gerichtshof bringt.“
Gesamte Karpaten betroffen
Allerdings ist der Raubbau an den Urwäldern nicht nur ein rumänisches Problem. Im vergangenen Herbst zeigte ein Greenpeace-Report, dass die Wälder in der gesamten Gebirgskette der Karpaten betroffen sind, an der neben Rumänien auch Länder wie Polen, die Slowakei und die Ukraine Anteile haben.
Die Karpaten sind mit 1.500 Kilometern länger als die Alpen, ihre Breite beträgt 100 bis 350 Kilometer. Laut dem Bericht sind durch aggressiven Holzeinschlag auch in geschützten Zonen in den letzten zwei Jahrzehnten über 7.350 Quadratkilometer Waldfläche verloren gegangen. Das entspricht fast der dreifachen Fläche des Saarlandes.
Weiterer Raubbau müsse verhindert werden, schlussfolgert der Report, weil die noch vorhandenen Naturwälder nicht nur enorme Mengen an Kohlendioxid speicherten, sondern auch den Menschen in der Region Schutz vor Überschwemmungen, Dürren und anderen extremen Wettereinflüssen böten.
Greenpeace hatte die EU-Kommission und die nationalen Behörden in der Region aufgefordert, einen länderübergreifenden Aktionsplan zu entwickeln und EU-Mittel für die Realisierung bereitzustellen. Flankierend brauche es ein sofortiges Verbot des Holzeinschlags in den Karpatenwäldern und ein zehnjähriges Moratorium für neue Forststraßen, um Zeit für die Umsetzung des Plans zu gewinnen. Geschehen ist das bisher nicht.
Übrigens gelangt ein Teil des Karpaten-Holzes wahrscheinlich auch nach Deutschland. Greenpeace zufolge geschieht das entweder durch Direktimporte oder über österreichische Unternehmen, die große Mengen Holz vor allem aus Rumänien beziehen. „Da vielfach nicht nachzuvollziehen ist, woher das Holz wirklich kommt, können sich Kund:innen in Baumärkten und Möbelhäusern unwissentlich an der Waldzerstörung mitschuldig machen“, heißt es bei der Umweltorganisation.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2023 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!