Klimawandel bedroht bei indischen Subsistenzbauern ein Drittel des Wohlstands
Neue MCC-Studie beziffert absehbare Auswirkungen im nach Bevölkerung zweitgrößten Land der Erde. Haushalte oberhalb der Armutsgrenze können im Gegenteil sogar profitieren.
Rund 1,4 Milliarden Menschen leben derzeit in Indien, dem nach Bevölkerung zweitgrößten Land der Erde, davon 270 Millionen unterhalb der Armutsgrenze – überwiegend in ländlichen, landwirtschaftlich geprägten Gegenden. Wenn der globale Klimawandel nicht durch ambitionierte Politik begrenzt wird, könnte er vor allem den Wohlstand von armen, im Agrarsektor beschäftigten Indern schmälern und sie gegen Ende dieses Jahrhunderts ein Drittel ihres Konsums kosten. Das ist das Ergebnis einer aufwendigen statistischen Analyse unter Federführung des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change). Die Studie wurde jetzt in der Fachzeitschrift Economics of Disasters and Climate Change veröffentlicht.
Für die Untersuchung hat das Autorenteam zunächst aus historischen Daten errechnet, wie der Konsum in ländlichen Gegenden Indiens gemeinhin mit den örtlichen Werten von Temperatur und Niederschlag zusammenhängt. Basis sind zwei Erhebungen mit hoher geografischer Auflösung: die Indien-Daten des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage sowie die repräsentative Panel-Umfrage India Human Development Survey, die in zwei Wellen 2004/05 und 2011/12 rund 42 000 repräsentativ ausgewählte Haushalte nach ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage befragte.
„Dabei kommt zum Beispiel heraus, dass arme indische Bauern von einem heißeren Frühjahr und einem trockeneren Sommer empfindlich getroffen werden, ein milderer Winter hingegen positiv auf den Konsum wirken kann“, berichtet Barbara Sedova, Leitautorin der Studie und Forscherin in der MCC-Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung. „Unsere Untersuchung zeigt aber auch, dass Haushalte oberhalb der Armutsgrenze im Hinblick auf Temperatur und Niederschlag wesentlich robuster sind. Sie können negative Einflüsse besser ausgleichen, etwa durch Zugang zu Bankkrediten oder Rückgriff auf Vermögen und Landbesitz.“
In einem zweiten Schritt kombinierte das Forscherteam schließlich die ermittelten statistischen Zusammenhänge zwischen Wetter und Konsum mit dem Repräsentativen Konzentrationspfad RCP8.5 des Weltklimarats IPCC. Bei diesem im jüngsten IPCC-Sachstandsbericht präsentierten „Business-as-usual-Szenario“, in dem die globale Klimapolitik keine weiteren ambitionierten Maßnahmen beschließt, steigt die globale Mitteltemperatur im Verlauf des 21. Jahrhundert um 3,7 Grad.
„Bei den aus diesem Szenario resultierenden örtlichen Temperaturen und Niederschlägen läge der Konsum indischer Subsistenzbauern gegen Ende des 21. Jahrhunderts um ein Drittel niedriger als in einer Welt ohne Klimawandel“, fasst Sedova das Kernergebnis der Studie zusammen. „Dagegen könnten die Haushalte oberhalb der Armutsgrenze ihren Konsum um 3 Prozent steigern.“ Die Angaben beziehen sich nur auf den Klimawandel, unabhängig vom allgemeinen Wohlstandsgewinn durch Wirtschaftswachstum, betont Sedova. „Wie der Klimawandel die Ungleichheit innerhalb eines Landes beeinflusst, wurde bislang kaum ausgeleuchtet – entsprechende Studien konzentrierten sich auf die Ungleichheit zwischen verschiedenen Ländern.“
Quelle
Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) 2020