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Klimawandel: Mehr als nur nasse Füße

Die Pegelstände könnten in diesem Jahrhundert noch schneller ansteigen, als die meisten Wissenschaftler bisher gedacht haben

Der globale Meeresspiegel könnte mit zunehmendem Treibhausgas der Atmosphäre schneller als bisher gedacht steigen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie, die Anfang des Monats in dem von der European Geosciences Union herausgegebenen Fachblatt Ocean Sciences veröffentlicht wurde. Geschrieben haben sie zwei Wissenschaftler der Universität Kopenhagen, Aslak Grinstedt und Jens Hesselbjerg Christensen. Letzterer arbeitet auch am Bjerknes Centre for Climate Research im norwegischen Bergen.

Bisher lautet die in den Berichten des IPCC des zwischenstaatlichen Ausschusses für Fragen des Klimawandels, zusammengefasste wissenschaftliche Mehrheitsauffassung, dass der Meeresspiegel auch in den Szenarien mit weiter ungebremstem Anstieg der Treibhausgasemissionen bis zum Ende des Jahrhunderts um nicht mehr als maximal 1,1 Meter ansteigen wird.

Das hieße, dass auch eine stärkere Erwärmung in den nächsten acht Jahrzehnten zunächst nur einen mäßigen Einfluss auf die Pegelstände hätte. Demnach würden die Auswirkungen einer verstärkten Erwärmung erst in den darauf folgenden Jahrhunderten voll zum Tragen kommen.

Neuer Modellansatz

Mancher Wissenschaftler mag dem aber nicht recht trauen. Zumal in dieser Frage die Projektionen der Klimamodelle, mit denen der Anstieg der Meere bei verschiedenen Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre simuliert wird, mitunter durchaus recht deutlich voneinander abweichen.

Die beiden dänischen Autoren haben sich daher Gedanken gemacht, wie die Modelle besser miteinander verglichen werden können. Dafür haben sie nach einer Methode gesucht, wie sich die Sensibilität des Meeresspiegels gegenüber Veränderungen der globalen Temperatur einheitlich messen lässt.

Zu diesem Zweck haben sie ein einfaches Gleichungssystem entwickelt, mit dem sich der Zusammenhang zwischen globaler Temperatur und Meeresspiegelanstieg der letzten 120 Jahre recht gut beschreiben lässt. Im 20. Jahrhundert war der Meeresspiegel bereits um rund 20 Zentimeter angestiegen.

Demnach gibt es einen linearen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Meeresspiegel und der Temperatur, oder anders ausgedrückt: Das Tempo des Meeresspiegelanstiegs wäre damit proportional zur Temperatur. Das ist sicherlich noch immer eine vereinfachte Darstellung, aber sie bildet zum Beispiel schon ganz gut den wachsenden Einfluss des Eisverlustes an den Polen auf den Meeresspiegel ab. Bisher spielt dieser noch eine Nebenrolle, doch das ändert sich gerade zunehmend.

Es lässt sich also annehmen, dass der Zusammenhang zwischen Temperatur und Meeresspiegel auch in diesem Jahrhundert ganz ähnlich sein wird, zumal es angesichts der Entwicklung in der Antarktis und auf Grönland keinen erkennbaren Grund gibt, weshalb die Pegelstände künftig weniger sensibel auf die globale Erwärmung reagieren sollten.

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Herausforderung Küstenschutz

Und was bedeutet das für die nächsten Jahrzehnte? An der schleswig-holsteinischen Nordseeküste ertüchtigt man derzeit die Deiche für einen Anstieg der Meere um 50 Zentimeter. Das wäre schon mit den bisherigen Projektionen eher knapp und ohne zusätzliche Sicherheit, aber nach den Berechnungen von Grinstedt und Christensen und mit dem weiter schleppenden Klimaschutz wird es definitiv zu wenig sein.

Die beiden Dänen kommen mit ihrer Methode nämlich zu einem deutlich schnelleren Anstieg. Schon bei einer Erwärmung um etwas mehr als zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau (1,5 Grad in der Abbildung 2 der verlinkten Studie) wird der Meeresspiegel mit rund 80 Zentimeter pro Jahrhundert steigen. Das liegt zehn bis 20 Zentimeter über den für die IPCC-Berichte berechneten Projektionen. Bei stärkerer Erwärmung nähme das Tempo des Anstiegs weiter zu.

Doch schon ein Anstieg von 80 Zentimetern pro Jahrhundert bedeutet für den Küstenschutz eine gewaltige Anstrengung, die viele ärmere Länder überfordern könnte. Die Ergebnisse der Kopenhagener Forscher liefern also ein weiteres Argument dafür, weshalb sich die Regierungen wirklich an die Pariser Klimaübereinkunft von 2015 halten sollten.

In dieser war festgehalten worden, dass die global gemittelte Erwärmung „auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau“ und möglichst auf nicht mehr als 1,5 Grad Celsius beschränkt werden sollte (erreicht sind bereits 1,1 bis 1,2 Grad Celsius.) Die in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten zu erwartenden Treibhausgasemissionen sind von dieser Zielvorgabe allerdings noch Lichtjahre entfernt.

Berlin 3995: Tiefseehafen im Wannsee

Der oben erwähnte IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) wird in der Presse meist etwas salopp als Weltklimarat tituliert. Es handelt sich bei ihm um ein von den Regierungen der UN-Mitglieder bereits Ende der 1980er Jahre eingerichtetes internationales Gremium von Wissenschaftlern, das regelmäßig Sachstand- und Sonderberichte erarbeitet. In diesen wird der jeweils aktuelle Kenntnisstand über Ursachen, Ausmaße und Auswirkungen des Klimawandels zusammengefasst.

Alle Aussagen beziehen sich auf den über alle Ozeane gemittelten Meeresspiegel. Regional und lokal hängen die mittleren Pegelstände von einer Vielzahl von Faktoren ab, wie etwa Landhebungen oder -absenkungen, Änderungen in den großen Meeresströmungen, Änderungen in der Erdrotation in Folge des Abschmelzens der großen Eismassen sowie natürlich dem global gemittelten Meeresspiegel ab.

Außerdem wird das volle Ausmaß der bevorstehenden Veränderungen erst deutlich, wenn man sich die große Trägheit der Ozeane und der Eisschilde vor Augen hält. Änderungen der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre verändern die Energieflüsse zwischen Erdsystem und Weltall. Mehr Treibhausgase bedeuten, dass mehr Energie im System gespeichert wird.

Das Gleichgewicht aus Energieaufnahme in Form von Sonnenstrahlen und -abgabe in Form von langwelliger Strahlung wird verschoben. Die Ozeane nehmen einen erheblichen Teil dieser Energie nach und nach auf, und ihr Wasser dehnt sich, den Meeresspiegel anhebend, dadurch aus. Bis sie sich auf das neue Gleichgewicht eingestellt haben, dauert es jedoch viele Jahrhunderte.

Noch langsamer reagieren die großen Eismassen auf Grönland und in der Antarktis. In einem wärmeren Klima tauen sie und tragen so ebenfalls zum Meeresspiegelanstieg bei. Allerdings brauchen sie mehrere Jahrtausende, bis sie sich vollständig an ein neues Klima angepasst haben.

Die Frage ist also nicht nur, wie der Meeresspiegel zum Ende des 21. Jahrhunderts aussieht. Vielmehr sollte auch berücksichtigt werden, wie weit die Meere in den nächsten Jahrhunderten weiter steigen, bis sie sich vollends an das wärmere Klima angepasst haben, das wir dem Planeten und künftigen Generationen zumuten. Die Autoren zitieren in ihrer Einleitung in diesem Zusammenhang Kolleginnen und Kollegen, die für den Gleichgewichtsfall von zwei Metern Anstieg pro 100 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausgehen.

Derzeit werden weltweit knapp 40 Milliarden Tonnen emittiert, und selbst im günstigsten Fall werden wohl noch 500 Milliarden oder mehr Tonnen hinzukommen. Damit wäre sehr langfristig mit mehreren Dutzend Metern Meeresspiegelanstieg zu rechnen, die im Extremfall Köln und Berlin irgendwann im dritten Jahrtausend zu Küstenstädten machen könnten.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „TELEPOLIS“ (Wolfgang Pomrehn) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Wolfgang Pomrehn 2021 weiterverbreitet werden! 

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