Schmelzende Gletscher: Peruaner fordert von RWE Geld für Schutzmaßnahmen ein
Erstmals in Europa soll ein Unternehmen, das weltweit zu den größten Treibern des Klimawandels zählt, für den Schutz eines Betroffenen zahlen.
Erstmals verlangt ein massiv von Risiken des Klimawandels Betroffener von einem der größten Treibhausgasemittenten in Europa, dass sich das Unternehmen an dringend notwendigen Schutzmaßnahmen beteiligen soll: Der Peruaner Saúl Luciano Lliuya fordert mit Hilfe seiner in der Auseinandersetzung um Klimaschäden erfahrenen Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen (Kanzlei Günther, Hamburg) von dem Energiekonzern RWE ein, sich an der Finanzierung von Schutzmaßnahmen zu beteiligen. Seinem Haus – sowie einem großen Teil der peruanischen Andenstadt Huaraz – drohen wegen eines durch die Gletscherschmelze wachsenden Gebirgssees oberhalb der Stadt eine Flutkatastrophe. Die deutsche Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch berät auf Wunsch von Saúl Luciano diesen bei seinem Anliegen gegenüber RWE. Sollte der Konzern nicht positiv reagieren, hat der Peruaner vor, gegen RWE vor ein deutsches Gericht zu ziehen.
„Ein solcher Vorstoß ist in Europa bisher einmalig“, sagt Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch. „Die schnell wachsenden Risiken durch die schmelzenden Gletscher in den Anden tragen eindeutig die Handschrift des Klimawandels. Saúl Luciano Lliuya findet sich nicht mit einer Opferrolle ab, sondern nimmt sein Schicksal in die Hand.“ Kein Unternehmen in Europa setzt laut einer Studie von 2013 mehr Treibhausgase frei als RWE. Das Unternehmen ist, so zeigt eine Untersuchung von 2014, für rund ein halbes Prozent aller weltweit seit Beginn der Industrialisierung freigesetzten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Saúl Luciano Lliuya fordert nun, dass RWE auch ein halbes Prozent der Kosten für die in Huaraz erforderlichen Schutzmaßnahmen übernehmen soll.
Schnell gewachsener Gletschersee bedroht die Stadt Huaraz / Weltklimarat: Gletscherschmelze in den Anden ist Folge des Klimawandels
Der Weltklimarat IPCC führt die inzwischen sehr gut untersuchte Gletscherschmelze in den Anden auf den Klimawandel zurück. Im peruanischen Huaraz ist die Gefahr besonders präsent: Ein Gletschersee einige Kilometer oberhalb der 55.000-Einwohner-Stadt ist allein seit 2003 um das Vierfache gewachsen. Durch den Klimawandel steigt auch das Risiko, dass sich große Eisblöcke von den Gletschern lösen und in den See stürzen. Dann würde eine verheerende Flutwelle und im Anschluss eine meterhohe Überschwemmung in den unteren besiedelten Gebieten drohen. Schon 1941 fielen einer Flutwelle aus diesem See – der damals aber noch kleiner war – mehrere Tausend Menschen zum Opfer. Es wird vermutet, dass sich durch ein Erdbeben ein sehr großes Gletscherstück löste und dieses in den See stürzte. Seither ist das Risiko einer neuen Flut durch den Klimawandel drastisch gestiegen und wird von den Behörden als akut eingeschätzt. Zuletzt ereignete sich 2003 eine weitere kleinere Flut. Mehrfach wurde in jüngster Zeit der Notstand ausgerufen. Derzeit existiert nicht einmal mehr das vor einiger Zeit notdürftig installierte Frühwarnsystem. Die Arbeiter dort hatten seit Juni 2014 keinen Lohn mehr erhalten. Als vor kurzem auch noch die Funkanlage für Alarmmeldungen ausfiel, stellten sie ihre Arbeit ein.
Um die Flutgefahr dauerhaft abzuwenden, müssten immer wieder große Mengen Wasser aus dem Gletschersee Palcacocha durch ein neues Entwässerungssystem abgepumpt und Dämme des Sees verstärkt beziehungsweise neue Dämme errichtet werden. Saúl Luciano fordert von RWE, dass der Konzern Kosten von etwa 20 000 Euro für die Durchführung dieser Maßnahmen übernimmt. Dies wäre nur ein kleiner Teil der Gesamtkosten – ein Beitrag, der sich am Beitrag des Konzerns zum Klimawandel orientiere.
Christoph Bals: „Wir unterstützen diese Forderung. Wer andere schädigt, hat verschiedene Pflichten. Deshalb erwartet Germanwatch zum einen von RWE, dass das Unternehmen ein neues Geschäftsmodell entwickelt, um nicht ständig weitere Schäden zu erzeugen. Zum anderen soll das Unternehmen seinen Beitrag für den Schutz der Betroffenen leisten. Marktwirtschaft kann ohne das Verursacherprinzip nicht funktionieren. Wer Risiken erzeugt, muss auch Verantwortung dafür übernehmen.“ Germanwatch betrachte es nicht als eine Dauerlösung, dass sich alle – häufig sehr armen – Betroffenen auf den Weg machen müssen, um die notwendige Unterstützung von den Verursachern einzufordern. „Es gibt immer mehr Menschen, deren Existenz durch den globalen Klimawandel gefährdet ist, obwohl sie am wenigsten zu dessen Verursachung beigetragen haben. Wir brauchen eine politische Lösung für diesen Skandal, die die Verursacher in die Pflicht nimmt. Das für Dezember geplante neue Klimaabkommen von Paris bietet die Gelegenheit, hier einen deutlichen Schritt weiter zu kommen“, so Bals.