Global Coal Exit List: Kohleindustrie hat keinen Ausstiegsplan
Zahlreiche neue Kohleminen und -kraftwerke sind weltweit in Planung. Ein Ende des klimaschädlichsten Energieträgers ist laut der aktualisierten „Global Coal Exit List“ nicht in Sicht, trotz des schnellen Ausbaus der Erneuerbaren.
Das Zeitalter der erneuerbaren Energien ist längst angebrochen. Weltweit boomt der Ausbau von Windrädern und vor allem Solarkraftwerken.
2023 kam zum ersten Mal in der Geschichte mehr Energie aus Erneuerbaren zum weltweiten Energiemix hinzu als aus jeder anderen Energiequelle. Selbst das damals auf dem Weltklimagipfel COP28 beschlossene Ziel, bis zum Ende des Jahrzehnts die Kapazität grüner Energien zu verdreifachen, wähnt die Internationale Energieagentur IEA – mit etwas Anstrengung – in Reichweite.
Der Ausbau der Erneuerbaren an sich hat aber wenig mit Klimaschutz zu tun. Kein neues Windrad verbessert irgendeine Klimabilanz. Klimaschutz ist es nur dann, wenn die Erneuerbaren die Fossilen verdrängen. Entscheidend ist also der schnelle Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas.
Doch gerade bei dem CO2-intensivsten Brennstoff, der Kohle, scheint das Ende noch in weiter Ferne. Die Gesamtkapazität des globalen Kohlekraftwerksparks ist seit dem Jahr des Pariser Klimaabkommens 2015 um über elf Prozent gewachsen.
Allein letztes Jahr wuchs die Kraftwerkskapazität um 30.000 Megawatt – ein Zuwachs größer als die Leistung aller Kohlekraftwerke Polens. Stillgelegt wurden in derselben Zeit nur 21.000 Megawatt.
„Während Erneuerbare boomen, hält die Kohleindustrie an ihren zerstörerischen Geschäften fest“, sagte Heffa Schücking, Geschäftsführerin des Umweltverbandes Urgewald. Die Kohleverstromung habe nicht nur einen neuen Höchststand erreicht, sondern „der weltweite Kohlekraftwerkspark wächst immer noch“.
In China boomt die Kohle genauso wie die Erneuerbaren
Einen besorgniserregenden Einblick in die globale Kohleindustrie und ihre Expansionspläne gewährt die heute veröffentlichte Datenbank „Global Coal Exit List“. Gemeinsam mit 51 Partnerorganisationen beleuchtet Urgewald darin die Geschäfte von 1.560 Kohleunternehmen und weiteren 1.204 Tochtergesellschaften.
Damit ist die Coal Exit List die umfangreichste Datenbank zur Kohleindustrie. Seit 2017 wird sie jeden Herbst – wenige Wochen vor dem Weltklimagipfel – aktualisiert.
Dabei werden nicht nur Kraftwerksbetreiber, sondern auch Bergwerksentwickler aufgeführt, und zwar 376. Diese planen aktuell einen Ausbau von Kohlegruben mit einer Gesamtkapazität von 2,6 Milliarden Tonnen Kohle pro Jahr. Das entspricht mehr als einem Drittel der gegenwärtigen Weltproduktion.
Ganz vorne dabei ist Indien, wo jährlich 950 Millionen Tonnen neue Kohle gefördert werden sollen, gefolgt von China mit 870 Millionen Tonnen und mit etwas Abstand Australien mit 200 Millionen Tonnen zusätzlicher Kohle.
Allein der größte Kohleminenentwickler Coal India plant derzeit 90 neue Kohlegruben oder Erweiterungen bestehender Gruben.
„Künftige Generationen werden nie verstehen, warum diese Branche in den 2020er Jahren weiter expandieren durfte, obwohl die Folgen auf jedem einzelnen Klimagipfel klar benannt wurden„, kommentierte Schücking die Entwicklung.
Nicht nur aus Spaß am Graben soll die Kohle aus dem Untergrund gefördert werden, sondern weil eine Vielzahl an Ländern weiterhin auf die Kohleverstromung setzt. Laut Coal Exit List sind neue Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 579.000 Megawatt geplant. Das entspricht 27 Prozent der weltweiten Kohlekraftwerkskapazität.
Der Löwenanteil davon soll in China entstehen. Die zweitgrößte Ökonomie der Welt ist das beste Beispiel dafür, dass der Erneuerbaren-Boom keineswegs mit einem fossilen Ausstieg einhergehen muss. Das Land baue zwei Drittel aller neuen großen Wind- und Solarkraftwerke, so Schücking, und sei gleichzeitig für 68 Prozent der globalen Neubauvorhaben für Kohlekraftwerke verantwortlich.
Auch scheint sich die Kohleindustrie bisher keineswegs mit ihrem Ende abgefunden zu haben. Mehr als 95 Prozent der gelisteten Unternehmen haben kein Kohleausstiegsdatum angekündigt.
Auch von den 124 Unternehmen mit Kohleausstiegsplänen liegt das Ausstiegsdatum nur bei gut der Hälfte im nächsten Jahrzehnt. Dabei müssten laut dem Netto-Null-Szenario der IEA reiche Länder bis 2030 und alle anderen spätestens 2040 die Kohleverstromung beenden, sofern kein CCS genutzt wird.
Deutsche Bank: Kohleinvestitionen seit Paris-Abkommen stabil
Nur sieben Unternehmen orientieren sich tatsächlich am Pariser Klimaziel – danach müsste Kohlekraft nach dem Ausstieg durch Erneuerbare ersetzt werden. Das ist nicht mal ein halbes Prozent der analysierten Kohlebranche.
Statt auf Erneuerbare setzt die überwältigende Mehrheit der Energieversorger mit Ausstiegsdatum nämlich auf Erdgas.
Einige europäische Banken und Fonds haben mittlerweile strengere Regeln eingeführt und streichen Kohleunternehmen peu à peu aus ihrem Portfolio. Der norwegische Pensionsfonds hat bereits 2015 Investitionen in Unternehmen, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes mit Kohle machen, beendet.
Seitdem hat der norwegische Pensionsfonds allerdings keine weiteren Schritte unternommen, während andere europäische Investor:innen inzwischen weiter sind. Die dänische Danske Bank zieht die Grenze etwa bei fünf Prozent Kohleumsatz.
Deutschlands fleißigster Kohlefinanzier, die Deutsche Bank, investiert hingegen heute noch genauso viel in den klimaschädlichsten Brennstoff wie vor acht Jahren.
Die Rechercheorganisation Reclaim Finance untersucht in ihrem „Coal Policy Tracker“, welche Banken, Vermögensverwalter und Versicherungen ein Enddatum der Kohleinvestitionen angekündigt haben.
80 Prozent haben bisher keinerlei derartige Zusagen getroffen. Einige nordamerikanische Schwergewichte – Bank of America, US Bancorp, Royal Bank of Canada – haben seit Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens vor neun Jahren ihr Investitionsvolumen in die klimaschädliche Branche sogar deutlich erhöht.
Das Zeitalter der Erneuerbaren ist ohne Frage angebrochen. Sonne und Wind sind weltweit die billigste Energiequelle. Aber das Zeitalter der Fossilen ist damit noch nicht Geschichte. Und darum geht es.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2024 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!