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Jede dritte vorgeschriebene Lebensmittelkontrolle in Deutschland fällt aus

Etwa jede dritte vorgeschriebene Kontrolle in Lebensmittelunternehmen fällt aus, weil es den Behörden eklatant an Personal mangelt. Das belegen Recherchen der Verbraucherorganisation foodwatch. Datenrecherche zu 400 Behörden in ganz Deutschland offenbart politisches Versagen beim Verbraucherschutz.

Etwa jede dritte vorgeschriebene Kontrolle in Lebensmittelunternehmen fällt aus, weil es den Behörden eklatant an Personal mangelt. Das belegen Recherchen der Verbraucherorganisation foodwatch. Demnach sind nur gut zehn Prozent der rund 400 Kontrollämter in der Lage, ihr vorgegebenes Soll bei der Überprüfung von Betrieben zu erfüllen. Bundesweit konnten die Behörden im Jahr 2018 insgesamt mehr als eine Viertelmillion der verbindlich vorgeschriebenen amtlichen Kontrollbesuche nicht durchführen. 

Mit einer umfassenden Datenrecherche machte foodwatch erstmals die Lage in den fast 400 meist kommunalen Lebensmittelbehörden transparent – am Mittwoch veröffentlicht in dem Bericht „Kontrolle ist besser“. Besonders katastrophal ist die Lage in Bremen und Berlin, wo die Behörden 2018 noch nicht einmal die Hälfte ihrer Vorgaben für Kontrollbesuche einhielten. Am wenigsten schlecht war die Situation in Hamburg, wo jedoch immer noch jede zehnte vorgeschriebene Kontrolle ausfiel. Bundesweit fanden in einzelnen Ämtern sogar 80 Prozent der vorgeschriebenen Kontrollen nicht statt.

Die Zahlen zeigen aus Sicht der Verbraucherorganisation ein fatales Politikversagen. „Wenn Verbraucherschutzbehörden fast flächendeckend gegen Verbraucherschutzvorgaben verstoßen, ist das ein handfester politischer Skandal. Die Kontrolleurinnen und Kontrolleure, die einen harten Job machen, werden von der Politik im Stich gelassen. Die verantwortlichen Landräte, Oberbürgermeisterinnen und Minister schaden nicht nur den Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern auch den vielen sauber und ehrlich arbeitenden Lebensmittelbetrieben“, erklärte Martin Rücker, Geschäftsführer von foodwatch Deutschland. 

Die Verbraucherorganisation betonte, allein mit mehr Personal sei das Problem nicht zu lösen, wenn die Bundesländer nicht gleichzeitig eine umfassende Strukturreform in der Lebensmittelüberwachung angingen: Anstatt der unzähligen kommunalen Behörden müsse in jedem Bundesland eine einzelne, unabhängige Landesanstalt für die Kontrollen zuständig sein. Deren finanzielle und personelle Ausstattung müsse per gesetzlicher Festlegung allein an den Zielen des Verbraucherschutzes ausgerichtet werden. „Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit dürfen nicht von der Kassenlage oder von politisch motivierten Haushaltsentscheidungen in Ländern oder Gemeinden abhängig sein. Der politische Einfluss auf die Lebensmittelkontrollbehörden muss gestoppt werden“, so Martin Rücker.  
Zudem müssten die Ämter per Gesetz verpflichtet werden, ausnahmslos alle Kontrollergebnisse zu veröffentlichen. Wenn Lebensmittelbetriebe wüssten, dass Verstöße öffentlich werden, schaffe dies den besten Anreiz, sich jeden Tag an die lebensmittelrechtlichen Vorgaben zu halten. Das zeigten Erfahrungen aus Ländern wie Dänemark, Norwegen oder Wales: Seit dort alle Kontrollergebnisse veröffentlicht werden, ist die Zahl der beanstandeten Lebensmittelbetriebe deutlich zurückgegangen.   

Wie häufig Kontrollen in Lebensmittelunternehmen stattfinden müssen, regelt bundesweit die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift Rahmen-Überwachung“ (AVV RÜb), beschlossen von Bundesregierung und Bundesrat. Neben anlassbezogenen Kontrollen soll jeder Lebensmittelbetrieb routinemäßig in regelmäßigen Abständen überprüft werden – umso häufiger, je größer die Kontrollbehörde das Risiko einstuft. Wie die foodwatch-Recherchen belegen, können diese Plankontrollen jedoch in keinem Bundesland eingehalten werden, weil die politischen Entscheidungsträger am Personal sparen. In Niedersachsen versucht die Landesregierung sogar, mit einem ministeriellen Erlass von der bundesweiten Vorschrift abzurücken – sie gibt den kommunalen Kontrollbehörden vor, grundsätzlich nur 55 Prozent der aus der AVV RÜb folgenden Plankontrollen einhalten zu müssen. foodwatch stuft den Erlass als rechtswidrig ein. 

Erneut kritisierte die Verbraucherorganisation die Pläne von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner, die vorgeschriebenen Pflichtkontrollen noch weiter zu reduzieren. foodwatch hatte Ende November einen noch unveröffentlichten Referentenentwurf für eine Neufassung der AVV RÜb aus dem Bundesernährungsministerium publik gemacht, der weniger verbindliche Kontrollen als bisher vorsieht. Tägliche Kontrollen in Betrieben mit höchstem Risiko sind nach dem Vorschlag – anders als bisher – gar nicht mehr vorgesehen. Selbst bei einem Unternehmen wie dem hessischen Wursthersteller Wilke, der bundesweit wegen eines Listerien-Skandals in die Schlagzeilen geriet, wären in Zukunft nur noch vier statt zwölf Besuche durch die amtlichen Kontrolleurinnen und Kontrolleure vorgeschrieben. „Julia Klöckner will die Zielvorgaben an den Personalmangel anpassen, anstatt die Länder zu ermahnen, dass diese endlich die nötigen Stellen zur Erreichung der Ziele schaffen. Die irrwitzige Logik der Ministerin ist offenbar: Es fehlen Kontrolleurinnen und Kontrolleure – also kontrollieren wir einfach weniger. Diese Pläne der Ministerin sind eine Gefahr für die Lebensmittelsicherheit in Deutschland“, so foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker. 

Für den Bericht „Kontrolle ist besser“ hat foodwatch bei allen rund 400 Lebensmittelbehörden in Deutschland abgefragt, inwiefern die gesetzlich vorgeschriebene Anzahl von Kontrollen eingehalten wird und wie die Personalsituation in den Ämtern ist. Grundlage für die Datenabfrage war das Verbraucherinformationsgesetz (VIG), über das Bürgerinnen und Bürger Informationen bei Behörden beantragen können. Die Recherche dauerte rund sieben Monate. Während einige Ämter bereits nach Stunden antworteten, waren andere erst nach Widerspruchsverfahren oder gar Aufsichtsbeschwerden bei den verantwortlichen Landesministerien zur Auskunft bereit. 19 Behörden verweigerten sich gänzlich, davon 18 aus Bayern und eine aus Brandenburg.

Quelle

foodwatch 2019

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