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Solarglas ist der nächste Produktionsengpass

Die EU begibt sich in eine gefährliche Abhängigkeit von China weil sie diese Komponente ausblendet. Ein Bericht von Erich Merkle

Wenn von der gesamten PV-Wertschöpfungskette die Rede ist, wird die nach den Solarzellen gewichtsmäßig schwerste Komponente durchweg vernachlässigt: das Solarglas.

Noch ist die europäische Modulproduktion im Weltmaßstab unbedeutend und die Abhängigkeit von China gefährlich. Deutschland und die EU wollen dies massiv ändern und die europäischen Produktionskapazitäten hochfahren. Dass dazu auch die Beschaffung von Solarglas gehört, wird durchweg vergessen.

Die weltweit beste Produktionstechnologie für Solarglas gibt es in Deutschland – nachgefragt wird diese nur aus China

Die Chinesen planen ganzheitlich, denn ohne Solarglas ist keine Modulproduktion möglich und für die gigantischen PV Ausbauziele werden folgerichtig auch gigantische Mengen Glas gebraucht. Deswegen erhielt das deutsche Unternehmen Grenzebach schon 2020 Aufträge aus China für mehr als 160 Ziehglaslinien speziell für den Photovoltaikmarkt (Solarserver, 21.5.2021). Diese wurden inzwischen geliefert. In Europa gibt es gerade mal eine Handvoll solcher Linien und von Plänen, diese immer größer werdende Lücke zu schließen, ist nichts bekannt. Deutschland bietet die weltweit beste Schmelztechnologie mit Weltmarktführern wie Sorg und Horn. Auch Frankreich und England hat hervorragende Anbieter. Lisec in Österreich liefert die besten Anlagen für die Beschichtung und die Härtetechnik. Geliefert werden fast alle innovativen Anlagen für den Solarbereich nach China nicht nach Europa.

Der Bau einer Solarglasfabrik ist eine riesige Investition von bis zu 100 Mio. €uro für eine Produktionslinie optimaler Größe mit einer Schmelzleistung von 300 t. je 24 Stunden. Der Energieverbrauch (80 % Gas) und die Reduzierung der Umweltbelastungen (CO2 und Stickstoff) verursachen einen erheblichen Ingenieuraufwand und lange Genehmigungsverfahren. Der Zeitraum von der Planung bis zum Betrieb einer Solarglasproduktion liegt daher bei 3-4 Jahren. Das ist lang im Vergleich zu sechs bis 10 Monaten für eine PV-Modulproduktionslinie.

Man könnte argumentieren, dass wir Solarglas in China kaufen sollten. Allerdings bricht dann das Argument der Sicherung einer europäischen Lieferkette und der Einsparung von Logistikkosten durch europäische Produktion zusammen.  Dadurch wird die existentielle Abhängigkeit von China, die schon heute sehr kritisch gesehen wird, noch vergrößert. Schließlich wiegt auch der Vorwurf schwer, dass die Produktion in China unter schlechten politischen und Umweltbedingungen stattfindet. Mehrere Glasfabriken befinden sich in der Provinz Xinjiang, dem unterdrückten Uigurengebiet. Mit einem Gewichtsanteil von bis zu 80 % eines Standard-PV-Moduls ist der Transport des Glases fast so kosten- und zeitintensiv wie der der fertigen Module.

Gigantische Ausbauziele für die PV Produktion in der EU zementieren die 90-ige Abhängigkeit von China für lange Zeit

Die Ausbauziele für eine „Neue Europäische Solarindustrie“ sind gigantisch und wurden zuletzt angesichts des Krieges in der Ukraine deutlich nach oben korrigiert. In den meisten Fällen soll der Ausbau der Produktionskapazitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfolgen, d.h. vom Silizium über Wafer und Zellen bis hin zur Modulproduktion. Seltsamerweise fehlt in dieser Aufzählung und in den Plänen für Gigawattfabriken immer eine wichtige Komponente: das für 99% aller Module benötigte Solarglas. Dieser unverzichtbare Bestandteil ist in Europa nicht ausreichend verfügbar. Die folgenden Argumente zeigen dies:

1. Ultraweißes Solarglas wird hauptsächlich als Strukturglas in einem Walzverfahren hergestellt. Durch spezielle Formgebungswalzen wird die Stärke des Glases und auf beiden Glasseiten eine Mikrostruktur gebildet. Diese hält die Reflexion weitgehend im Glas und bewirkt dadurch einen hohen Transmissionsgrad. Die übliche Flachglasproduktion ist für Solarglas weniger geeignet.

2. Derzeit kann eine Modulproduktion von maximal ca. 3-4 Gigawatt mit in Europa produziertem Solarglas erfolgen. Nominelle Anteile des Glases wurden bis 2021 aus Indien und wenigen anderen Ländern importiert.

Da fällt auf, dass der größte europäische Solarglasanbieter Interfloat mit der Fertigung GMB Glasmanufaktur Brandenburg in Tschernitz im April 2022 an den indischen Marktführer Borosil verkauft wurde (PV magazine, 25.4.2022). Angesichts der Tatsache, dass die Fertigung dort voll von ununterbrochenen Gaslieferungen abhängig ist, wunderten sich Branchenkenner. Denn abgesehen von dem Risiko einer Unterbrechung der russischen Gaslieferungen ist bei den heutigen Gaspreisen auch eine kostendeckende Produktion nur bei fast unrealisitsch hohen Verkaufspreisen für das produzierte Solarglas möglich.

Borosil war wohl eher an dem Marktzugang interessiert, zumal in ca. 3 Jahren Kosten von ca. 30 Mio. € für eine dann voraussichtlich anstehende “Kaltreparatur” der Schmelzwanne aufgebracht werden müssen. Borosil will seiner Produktionskapazitäten auf 2.600 t./d insgesamt bis 2025 erhöhen. Ob davon wirklich die behaupteten 450 t. auf die Fertigung in Brandenburg entfallen, darf bezweifelt werden. Aber selbst diese Menge würde nur für ca. 2,5 GW Modulproduktion reichen.

3. Die von der EU veröffentlichten Ausbauziele gehen von einem Ausbau der europäischen Modulproduktionskapazitäten von bis zu 30 GW bis 2030 aus. Diese wurden nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine noch weiter erhöht. Selbst wenn die Modulwirkungsgrade steigen, würde dies im Jahr 2030 zu einem fast zehnfachen Bedarf an Solarglas gegenüber 2021 führen. Es stellt sich die Frage, wie diese Nachfrage gedeckt werden soll, da neue Produktionskapazitäten für Solarglas nicht in Sicht sind.

4. Die Glasproduktion erfordert einen hohen Energieaufwand, der zu 80 % durch Erdgas gedeckt werden muss. Die Produktion ist nicht flexibel und die Schmelzöfen müssen rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr beheizt werden. Bei einem Gaspreis von etwa 6 € pro MW entfielen im Jahr 2020 rund 35 % der Produktionskosten auf Energie. Am 7. März wurde auf dem Spotmarkt TTF Dutch Future ein Preis von 211 € notiert. Selbst wenn sich dieser Höchstpreis inzwischen auf € 87 (am 27.5.22)  reduziert hat, rechnet derzeit niemand damit, dass in den nächsten Jahren Preise unter 50 € pro MW erreicht werden.

5. Als mögliche Alternative kommen sogenannte Hybridwannen in Betracht. Die Hybridtechnologie für die Glasproduktion ist überzeugend: Bei einem maximalen Elektroanteil von 80 % und nur 20 % Gas könnten bis zu 16 % Energie eingespart und die CO2-Emissionen um 80 % reduziert werden (laut Veröffentlichungen der Firma Sorg: www.sorg .de).

Allerdings ist kritisch anzumerken, dass diese im Prinzip nur für Behälterglas entwickelt wurden und auch bei dieser Produktion noch keine Industrieanlage in Betrieb ist.

Die Transformation der Glasproduktion vom Erdgas zu grüner Energie

Nachhaltige elektrische Energie wird bei der Transformation der Glasindustrie eine wichtige Rolle spielen, weil diese von allen Energieträgern die höchste Energieeffizienz aufweist. Bei einigen Prozessen ist allerdings ein gewisser Anteil an Energie aus Gas notwendig, um das Glasschmelzsystem flexibel zu halten.

Die Hybridwannen-Technologie hat das Potenzial, die direkten CO2-Emissionen der Wanne um 60 % und die der gesamten Anlage um 50 % zu senken, indem 80 % des Erdgases durch erneuerbaren Strom ersetzt werden. Das CO2-Reduktionspotenzial dieser Innovation ist noch höher, wenn sie anschließend mit anderen innovativen Energiequellen wie Wasserstoff kombiniert werden kann (Öfen der Zukunft – Hybride Glasschmelztechnologie – FEVE).

Eine europäische Solarindustrie ist unabdingbar

Ein Beamter der Europäischen Kommission wies auf dem jüngsten Solarstromgipfel im April 2022 in Brüssel darauf hin, dass die Solarproduktion in Europa wieder aufgebaut werden müsse – „koste es, was es wolle.“ 

Die derzeitige Behandlung der Förderung einer europäischen Solarindustrie ist jedoch eindeutig zu kurzsichtig: Ohne die Einbeziehung von Solarglas als energieintensivste und schwerste Komponente bleibt die Abhängigkeit von China im Solarbereich bestehen. Die derzeitige geschätzte Lücke bei Solarglas von 60 % wird durch die Ausbaupläne auf mehrere GW auf 90% anwachsen.

Niemand käme auf die Idee, in der Produktionskette der Automobilproduktion den notwendigen Stahl aus der Betrachtung auszuschließen. Das wird aber bei der Betrachtung der Wertschöpfungskette für die  PV-Modulproduktion gemacht!

„Ähnlich wie mit Russland ist die Asymmetrie und die Einseitigkeit der Abhängigkeit Deutschlands von China ein zentrales Problem“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Das nutzt China zunehmend als Druckmittel gegenüber Deutschland und Europa. Die Abhängigkeit von chinesischen Komponenten (inclusive der BOS Komponenten einschließlich Wechselrichter) liegt bei ca. 90%.

Sie wird mit dem Ausbau der Modulfertigung in Europe noch zunehmen.

Eine Abhängigkeit die sich nur zu hohen ökonomischen Kosten korrigieren läßt. Dies gilt vor allem im PV Bereich. Die EU braucht eine Industriepolitik, die den Aufbau strategischer Schlüsselbranchen konsequent unterstützt. Sicher nicht eine Politik, die eine in der Zukunft mehr als 90% ige Abhängigkeit bei der unverzichtbaren Komponente Solarglas ausblendet.

Quelle

Dr. Erich Merkle 2022 | Erich Merkle ist seit über 20 Jahren in der PV-Branche tätig. Er war einer der Pioniere sowohl beim Aufbau der ersten Produktionslinien für Module in Deutschland als auch beim Bau von PV-Kraftwerken im Megawattbereich. Bereits 2007/8 plante er die erste deutsche Solarglasproduktion in Brandenburg. Das Projekt wurde aufgrund des Zusammenbruchs der PV-Industrie in Europa und der Finanzkrise nicht realisiert. Derzeit leitet er die GridParity AG und berät die AGORA s.r.o. in der Slowakei beim Aufbau einer PV-Modulproduktion 150 MW in 2023, 450 MW ab 2024) .

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