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© pixabay.com | Gerd Altmann | Wie gut ist Europas kritische Infrastruktur vor Hackern geschützt?

Ukraine-Krieg: Kritische Infrastruktur schützen

In Europa sind seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine tausende Windkraftanlagen gestört. Hacker waren wahrscheinlich beteiligt. Experten sehen Gefahr für Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen als erhöht, aber nicht akut an.

Der Krieg in der Ukraine hat auch eine digitale Dimension. Behörden und Organisationen vor Ort melden seit Wochen immer wieder Cyberangriffe auf die kritische Infrastruktur des Landes. Eine europaweite Störung von Windkraftanlagen ist vermutlich ebenfalls auf einen Hackerangriff zurückzuführen. Das FBI warnte erst kürzlich vor möglichen russischen Angriffen auf kritische Infrastrukturen im Westen. Experten sehen eine erhöhte, aber noch keine akute Bedrohung für Deutschland und Europa.

Satellitennetzwerk gestört

Betreiber von Windenergieanlagen in ganz Europa arbeiten seit Wochen daran, die Fernüberwachung und -steuerung tausender Windräder wiederherzustellen. Die dazu notwendige Verbindung des Satellitennetzwerks KA-SAT ist seit dem Angriff Russlands dauerhaft gestört. Die US-Betreiberfirma Viasat, die auch für das Militär tätig ist, vermutet einen Cyberangriff. Der Ausfall betrifft europaweit rund 30.000 Satellitenterminals, mit Konsequenzen für tausende Windenergieanlagen.

Der deutsche Windenergieanlagen-Hersteller Enercon meldete den Ausfall bei 5.800 seiner Anlagen in Zentraleuropa. Zwar liefern die Windräder weiter wie gewohnt Strom, doch Fernzugriff und -wartung sind nicht mehr möglich. Langfristig erschwert dies den Betrieb massiv. So kann unter anderem nicht mehr zentral kontrolliert werden, ob die Windräder sich drehen oder wo eine Störung vorliegen könnte.

Kollateralschaden Windkraft

Ob die Windräder das Ziel des Angriffs waren, ist deshalb allerdings nicht geklärt. Denn der Satellitendienst wurde von verschiedenen Unternehmen und Organisationen genutzt, unter anderem auch vom ukrainischen Militär. „Es ist wahrscheinlich, dass das eine russische Operation war, um ukrainische Sicherheitskräfte von ihrer Kommunikation abzuschneiden. Die europaweite Störung der Steuerung von Windkraftanlagen war dann ein bewusster oder unbewusster Kollateralschaden“, meint Sven Herpig, Leiter Internationale Cybersicherheitspolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kam auch Grünen-Europapolitiker Niklas Nienaß gegenüber dem ZDF. Ein großes Schadenspotenzial erkennt Nienaß dennoch. Er forderte besseren Schutz für Europas kritische Infrastrukturen, im Besonderen im Hinblick auf die Abhängigkeit von Satellitentechnologie. Dass nun ausgerechnet Windkraftanlagen betroffen sind, stimmt im Hinblick auf die Bedeutung von Energie im Ukraine-Krieg auch nicht unbedingt zuversichtlich.

Kritische Infrastruktur gehackt

Cyberattacken auf kritische Infrastrukturen sind dabei nicht neu. Bereits 2015 griff Russland gezielt das ukrainische Stromnetz an, um das Land zu destabilisieren. In der Ukraine kam es daraufhin zu einem Stromausfall, von dem hunderttausende Bürger betroffen waren. Der Stromausfall gilt als weltweit erstes großes Blackout, das durch einen Hackerangriff verursacht wurde. 2017 kam es erneut zu Malware-Angriffen auf die ukrainische Infrastruktur, darunter die Stromversorgung. Der Virus breitete sich auch auf andere Länder aus und richtete unter anderem in Deutschland erheblichen Schaden an.

„Die Amerikaner haben vor ein paar Jahren russische Zugänge in ihren eigenen kritischen Infrastrukturen gefunden, auch im Stromnetz. Zu den Nachrichtendiensten, die offensiv im Cyberraum operieren und diese Fähigkeiten haben, zählen sicherlich auch die Russen. Es ist wahrscheinlich, dass sie versucht haben, in den letzten Jahren in kritische Infrastrukturen einzudringen. darüber ist mir nichts bekannt. Jedoch warnten deutsche Sicherheitsbehörden 2020 genau vor diesem konkreten Szenario. Aber wenn man sich da die Parallelen mit den USA anguckt, wäre es vermessen zu denken, dass wir nicht auch kritische Infrastrukturen im Energiesektor haben, die kompromittiert worden sind. Auf die könnten russische Angreifer-Gruppen auch jetzt noch Zugriff haben“, erklärt Herpig.

Gefahr ist erhöht, aber nicht akut

Das FBI meldete derweil, Russland scanne die amerikanische Infrastruktur auf Schwachstellen. Unter den Zielen waren auch fünf Energieunternehmen. Wie die Zeit berichtet, geht die US-amerikanische Regierung davon aus, dass Russland Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen erwägt.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erkennt seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine eine abstrakt erhöhte Bedrohungslage für Deutschland. Dazu wurde auch das Nationale IT-Krisenreaktionszentrum aktiviert und Betreiber Kritischer Infrastrukturen (Kritis) zu einer erhöhten Wachsamkeit und Reaktionsbereitschaft aufgerufen. Ein Sprecher des BSI teilte mit, dass Kritis-Betreiber derzeit jedoch keine Zunahme an Vorfällen im deutschen Stromnetz verzeichnen.

Auch Herpig schätzt die Bedrohungslage als nicht akut ein. Derartige Angriffe könnten im Zweifelsfall durchaus so klar zugeordnet werden, dass sie die NATO auf den Plan rufen könnten. Es sei weniger wahrscheinlich, dass Russland dies in der derzeitigen Situation riskieren wolle. Julia Broich

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ (Julia Broich) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 31/2021 | „Dezentral Erneuerbar – ein Update“ |  Jetzt lesen | Download

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