Wirtschaftswunder Muhammad Yunus
Öko-soziale Problemlösungen als das neue Wirtschaftswunder. Von Peter Spiegel
„Wann immer ich ein Problem sehe, gründe ich ein Unternehmen, um es zu lösen.“ So definierte der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus einst sein Geschäftsmodell. Ist dies Sozialromantik oder die Grundformel für eine neue Generation von Wirtschaftswunder, vielleicht sogar Weltwirtschaftswunder? Der „Reichtum“ an weltweiten ökologischen, sozialen, gesellschaftlichen und sonstigen Problemen ist dafür jedenfalls groß genug. Aber der Reichtum an Ideen für Lösungen?
Wirtschaft lebt in ihrem innersten Kern von Ideen und Lösungen. Soweit nichts Neues. Aber Probleme wie massenhafte und massive Armut oder eine radikale Ökowende oder fundamentale Revolution des Gesundheitswesens – sind das nicht eher staatliche Aufgaben?
Sein Geschäftsmodell für die unfassbar effektive Überwindung von Armut ist weltweit bekannt geworden durch die Verleihung des Friedensnobelpreises 2006. Er gründete für diese Problembewältigung eine Bank, die ausschließlich Kredite vergab an die Allerärmsten. Diese verfügten über keinerlei materielle Sicherheiten. Sicherheit für das Geschäftsmodell waren andere Faktoren. Zum einen die Bildung von 5er-Teams, die nur je einzeln Kredite bekamen, wenn sie füreinander bürgten. Sie wurden dadurch faktisch verblüffend effektive Berater füreinander. Zum zweiten, dass sie schnell lernten: Frauen sind die weitsichtigeren und verantwortungsbewussteren Kreditnehmerinnen und Investoren – und damit auch die zuverlässigeren Rückzahlerinnen. Zum dritten war die Grameen Bank felsenfest überzeugt und überzeugte damit auch die Ärmsten, dass gerade sie über unternehmerische Fähigkeiten verfügen, wenn sie es trotz aller Probleme schafften, mit fast nichts ihre Familien durchzubringen. Die Kleinkredite seien daher in besten Händen und die bestwirkende Befreiung aus Femdbestimmung und Ausbeutung. Yunus führte mit diesem Geschäftsmodell im Alleingang der Grameen Bank das allerärmste Viertel der Bevölkerung Bangladeschs final aus den Armutskreisläufen – und machte sie sogar zu Miteigentümern und Mitbestimmerinnen über Zukunftsinvestitionen bei seiner genossenschaftlich aufgestellten Bank.
Weitaus weniger bekannt ist das sehr weite Feld weiterer revolutionärer Geschäftsmodelle.
Wer hat mitbekommen, dass Bangladesch schon seit mehr als einem ganzen Jahrzehnt das Land ist, das mit weitem Abstand die meisten Solardächer installiert hat? Und das ohne staatliche Förderung. Das Geschäftsmodell: Yunus rechnete aus, wie lange es dauern würde, wenn armen Familien – mit ihnen fing er auch hier an – monatlich genau soviel von dem Kredit für die Solaranlage abbezahlen würde, wie sie bisher für die Nutzung der schmutzigsten Energieform ausgeben musste. Das Ergebnis: Mit diesem Rückzahlungsansatz war die Anlage nach drei Jahren abbezahlt – danach gab’s für sie die Energie mindestens fünf Jahre lang umsonst, so lang hielten sie im Durchschnitt. Grameen Shakti, das Yunus’sche Erneuerbare-Energien-Unternehmen bildete dann noch Frauen aus in der klugen Wartung der Anlagen, so dass diese Ökowunder noch weit länger andauerte und den Freiraum für weitere Nachhaltigkeits-Investitionen schuf. Ein Beispiel und Modell mit dem Potenzial zu einem regelrechten weltweiten Ökowendewunder.
Wer hat mitbekommen, dass das Geschäftsmodell von Grameen die ländliche Gesundheitsversorgung um Quantensprünge verbesserte und die Kosten gleichzeitig revolutionär senkte?
Wer hat mitbekommen, dass Grameen Telecom das Muster dafür lieferte, nach dessen beispielgebendem Erfolg weltweit Telekommunikationsunternehmen in allen lange Zeit als Entwicklungsländer bezeichnete Ländern aus dem Boden schossen und dadurch erheblich zu deren Entwicklung beitrugen? Grameen Telecom ist übrigens das größte Unternehmen Bangladeschs. – Es gäbe noch sehr viel mehr Erfolgsgeschichten zu erzählen über Geschäftsmodelle dieser neuen Art, die nicht nur Wirtschaftswunder hervorriefen, sondern ebenso und zugleich starke Ökowendewunder, Sozialwendewunder, Gesundheitswendewunder, ja sogar Bildungswendewunder.
Nun haben wir alle mitbekommen, was zwischen dem 5. Und dem 8. August in Bangladesch geschah. Das Militär in Bangladesch setzte die mit brutaler Macht regierende Dauerministerpräsidentin Sheikh Hasina ab. Es verfrachtete sie in einen Hubschrauber und brachten sie außer Landes. Nur drei Tage später rieb sich die Welt die Augen, als ausgerechnet Hasinas Lieblingshassobjekt, der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus in breitem Konsens mit der Zivilgesellschaft einschließlich der Führung der Studentenproteste als Interims-Nachfolger als Ministerpräsident vereidigt wurde.
Doch wir würden viel zu kurzgreifend Denken, wenn wir uns nur die Frage stellen würden, was dies für Bangladesch bedeutet und bedeuten kann. Dafür war Muhammad Yunus, den die „Business Week“ als „einen der fünf größten Unternehmer aller Zeiten“ bezeichnete, schon immer viel zu weltläufig in seinem Denken und Handeln. Er sorgte dafür, dass tausende von sogenannten „Social Businesses“ in der ganzen Welt entstanden.
Dererfolgreiche Politiker und erfolgreiche Unternehmensführer Lothar Späth erkannte bereits 1997, als er in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio für die Vergabe des „Planetary Consciousness Awards“ an Muhammad Yunus hielt, den tatsächlichen Wert seines neuartigen Denkens und seiner beispielgebenden Umsetzungs-Piloten: „Dies ist der Einstieg in die globale ökosoziale Marktwirtschaft“, war sein Resümee. Er erkannte das grandiose Potenzial, wenn man die klassische Trennung zwischen „Social“ und „Business“ überwindet und gesellschaftliche wie auch ökosystemische Probleme durch eine grundlegend neue Art von „Business“, von „Social Business“ lösen möchte. Dadurch kann zugleich eine grundlegend neue Art von Wirtschaftswunder und eine grundlegend neue Art von Gesellschaftswunder entstehen. Und durch den Regierungswechsel in Bangladesch wird dies nun noch einmal um eine weitere Stufe erweitert. Die spannende Frage ist nun sehr real geworden: Was passiert, wenn auch Politik dahingehend neu definiert werden kann, dass passende Rahmenbedingungen für „Social Business“ entwickelt und etabliert werden?
- „Solarpionier Muhammad Yunus – Banker der Armen“ | Als in Bangladesch der Friedensnobelreisträger und Gründer der „Bank für die Armen“ (Grameenbank), Muhammad Yunus, in diesen Tagen mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, sagte er: „Wir sollten in die Überwindung der Armut und in Klimaschutz investieren und nicht in Kriege und Waffen.“
- „Der Visionär und Praktiker Muhammad Yunus wird 80“ – Von Peter SpiegelPeter Spiegel
- „Muhammad Yunus – Banker der Armen, Gestalter der Zukunft“ (Deutsch) Taschenbuch
- Muhammad Yunus (Autor), Werner Roller (Übersetzer) „Social Business: Von der Vision zur Tat“
- Bildband „The Power of Dignity – The Grameen Family“ mit Fotos von Roger Richter.
Quelle
Peter Spiegel ist Zukunftsforscher, Leiter des WeQ Institutes und seit Mai 2024 auch – Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Vereins „Friends of Social Business“.