Corona-Konsens versus Klimadebatte – die Rolle der Wissenschaft
Bei den derzeitigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geht es in gleicher Weise wie bei der Klimapolitik um existenzielle Fragen des Überlebens auf unserem Planeten. In beiden Fällen handelt es sich um eine klar erkannte, wachsende Bedrohung, die unverzüglicher politischer Handlung bedarf, da Schutzmaßnahmen erst nach einer gewissen Zeit Wirkung zeigen. Gastkommentar vor Dr. Manfred Vohrer
Beide Krisen haben eine gesellschaftsübergreifende, internationale Dimension. Und beide bedrohen insbesondere gewisse Alters- und Risikogruppen (beim Klima sind es indes nicht die Alten und Kranken, sondern unsere Kinder und Enkelkinder sowie die Bewohner von Schwellen- und Entwicklungsländern), die auf Schutzmaßnahmen und Solidarität der gesamten Gesellschaft angewiesen sind.
Selbst die entscheidenden Kurven, die unsere existenziellle Gefährdung dokumentieren, haben einen vergleichbaren Verlauf.
Hier die Corona-Kurve:
Da die Klima-Kurve:
Deshalb ist es angesagt, dass die Politik in beiden Feldern die Erkenntnisse der Wissenschaft konsequent nutzt, obwohl die Dringlichkeit der beiden Phänomene in der öffentlichen Meinung unterschiedlich gesehen wird: Weil bei
COVID-19 sich jeder persönlich und unmittelbar gefährdet sieht, entstand rasch eine Stimmung höchster Dringlichkeit und ein Wettlauf um wirkungsvolle Maßnahmen, wohingegen beim Klima die Folgen politischen Handelns oder Unterlassens global auftreten und sich meist nicht einzelnen Maßnahmen oder Akteuren zurechnen lassen. Generalisierend lässt sich jedoch die These vertreten, dass die Mehrzahl der Klimabelastungen von den Industrieländern verursacht werden und die Folgen primär Bewohner in Entwicklungsländern belasten – schon heute eine der Ursachen von Migration.
Das herausragende Ziel der Klimapolitik ist die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft bis spätestens 2050. Auf EU-Ebene hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit ihrer neuen Wachstumsstrategie die Zeichen der Zeit erkannt: Der von ihr vertretene „European Green Deal“ soll die EU bis spätestens 2050 klimaneutral machen. Geplant ist ein kompletter Umbau von
Energieversorgung, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft. Sie will die Wissenschaft konsequent heranziehen und alle politischen Aktivitäten und Vorschläge der EU-Kommission vor ihrer Umsetzung auf ihre Klimawirkung hin überprüfen.
Die deutsche Klimapolitik sollte aus der Corona-Entscheidungsfindung lernen:
Analog zur Rolle des Präsidenten des Robert-Koch-Instituts bei den Entscheidungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie könnte zukünftig Prof. Dr.
Dirk Messner als Präsident des Umwelt-Bundesamts neben den Politikern sitzen und eine mit ihm abgestimmte Klimapolitik der Bevölkerung verständlich machen – als Stimme der Wissenschaft und unterstützt von den zahlreichen hochqualifizierten deutschen Klimaforschern und ökologiebewussten Wirtschaftswissenschaftlern.
Diese Forderung gilt nicht nur für die Exekutive auf allen politischen Ebenen, sondern auch für alle Parteien, die sich zwar zu den Pariser Beschlüssen bekennen, sich jedoch schon heute für den „Tag nach Corona“ mit Vorschlägen zur „Entlastung“ der Wirtschaft übertreffen, möglichst rasch in alte Spuren zurückzukehren. Wir haben durch den Corona-Shutdown die einmalige Chance, den Wiederaufbau der Ökonomie von vornherein mit den Maßgaben der Ökologie, sprich: mit Ressourcenschonung, Ausbau Erneuerbarer Energien sowie Umwelt- und Klimaschutz zu verbinden.
Wenn der Staat sich auf dem Weg des Abbaus der Corona-Einschränkungen für ein Konjunkturprogramm mit Steuergeld verschuldet, dann darf dies nur mit der klaren Zielsetzung sein, jetzt die erforderliche klimapolitische Umstrukturierung unserer Volkswirtschaft zu fördern, der zu dem aufwendigen Umbau von Energieversorgung, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft notwendig ist. Und dies in enger Absprache mit den Wissenschaftlern, deren Ratschläge wir 50 Jahre lang nicht ernst genug genommen haben. Lasst uns aus den Corona Erfahrungen lernen!
Bleibt noch eine Anmerkung eines lebenslang engagierten „Ökoliberalen“ an die Adresse seiner FDP
Die FDP hatte schon 1971 in den Freiburger Thesen die Forderung „Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben“ aufgestellt und wollte umweltehrliche Preise – also die Internalisierung externer Kosten – durch die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips erreichen. Dahinter steht die zentrale wissenschaftliche Erkenntnis, dass ein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystems nur dann zu dem gewünschten Ergebnis einer optimalen Verwendung knapper Ressourcen kommt, wenn die Lenkungswirkung der Preise und Gewinne nicht durch falsch oder nicht angerechnete Umweltkosten verzerrt wird. Für die Klimapolitik, als wesentliche Komponente der Umweltpolitik, wurden diese wissenschaftlichen Erkenntnisse aus populistischen Überlegungen – nämlich im Wettbewerb mit den anderen Parteien Wählerstimmen „der Wirtschaft“ zu gewinnen – fünf Jahrzehnte mehr oder weniger vernachlässigt.
Die Kosten der Folgewirkungen sind den Politikern spätestens seit den Berechnungen von Nicolas Stern bekannt, aber weitere Jahrzehnte vergingen, ohne auch nur die Subventionierung der Umweltbelastungen insbesondere in der Landwirtschaft und im Verkehr zu stoppen. Bei der von der Wissenschaft bewiesenen Dringlichkeit der politischen Maßnahmen ist jede weitere Verzögerung mit einer erheblichen Kostenprogression verbunden.
Auch heute vertritt die FDP mit der Mengensteuerung im CO2 Emissionshandel für alle Sektoren – also inklusive Wärme und Mobilität – eine konsequent ökoliberale Programmatik in der Klimapolitik, die auf Technologieoffenheit und Innovation setzt. Diese wissenschaftsbasierte Linie wird jedoch mit populistischen und auf Kurzzeit Wählerstimmen-Gewinne abzielenden „wirtschaftsfreundlichen“ Forderungen durchmischt – beispielsweise gegen die Windkraft, zur Erhaltung der Arbeitsplätze im Braunkohleabbau oder bei der Herstellung von Verbrennungsmotoren – die der FDP mit Recht in der öffentlichen Meinung die Glaubwürdigkeit in der Klimapolitik mindern.
Und auch die heute noch relevante Erkenntnis des früheren FDP-Vorsitzemden Walter Scheel findet derzeit leider wenig Beachtung: Da sich die Liberalen nicht als Volkspartei verstehen, haben sie einen großen Vorteil. Mit einer auf Freiheit und Vernunft – und mit Vernunft ist auch die Beachtung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die politischen Entscheidungen einbezogen – bauenden liberalen Politik, wie sie die FDP in ihren Freiburger Thesen schon 1971 formulierte, können wir sicher sein, dass mindestens 10 % der Wähler dies zu schätzen wissen.“ Der von Walter Scheel angeführte Bundestagswahlkampf 1972 stand unter dem Slogan „Vorfahrt für Vernunft“.
1972 F.D.P. – Bundestagswahl „Vorfahrt für Vernunft“ – Kandidat Dr. Manfred Vohrer mit seinem Vorbild Walter Scheel
Es ist das historische Verdienst des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, die Partei 4 Jahre nach der Wahlniederlage 2013 mit dem herausragenden Ergebnis von fast 10 % wieder in den Bundestag zurückgeführt zu haben. Wenn heute aber die Grünen/Bündnis 90 innerhalb von drei Jahren ihre Stimmen mehr als verdoppelt haben und die Liberale ihre halbierten, dann läuft in der FDP etwas „schief“ – und dies ist die Klimapolitik. Nach der Wahlschlappe der FDP bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar deutete Lindner an, „die FDP zukünftig ökologisch besser zu positionieren“. Die anstehende lange take-off Periode aus der Corona-Krise bieten die Gelegenheit zu einer öko-liberalen Standfestigkeit beim Umbau unserer Wirtschaft zur Nachhaltigkeit. Dann muss es aber Christian Lindner gelingen seine liberalen Fußtruppen in den Landtagen und den FDP-Landesverbänden auf die neue Marschzahl einzuschwören und die neue öko-liberale Linie nicht weiter mit populistischen Forderungen zu konterkarieren.
Quelle
Dr. Manfred Vohrer studierte nach abgeschlossener technischer und
kaufmännischer Lehre in Freiburg Volkswirtschaft | 1968 Gründungsmitglied der „Aktion Umweltschutz“ in Freiburg
– heute BUND | 1972 – 83 Freiburger FDP-Abgeordneter im Deutschen Bundestag | 1989 – 94 Mitglied des Europäischen Parlaments | Seit 1999 pflanzt Vohrer Bäume zur CO2 Bindung | Heute Vorstandsvorsitzender der global-woods international
AG mit Aufforstungen in Afrika und Lateinamerika