Das Selbstversorger-Hausboot
Ein Leben abseits von Autolärm und Abgasen – immer mehr Menschen zieht es ans Wasser. Energieautarke schwimmende Häuser erfüllen nicht nur dieses Lebensgefühl, sondern kurbeln auch die Wirtschaft an.
Immer beliebter in Deutschland werden schwimmende Häuser – und das nicht nur als Feriendomizil, sondern auch als fester Wohnsitz. Das Lausitzer Seenland bietet sich hierfür besonders an: Es ist mit 23 Seen und einer Fläche von 13 000 Hektar das größte künstliche Seengebiet Europas. Die Region zwischen Ostsachsen und Südbrandenburg war über Jahrzehnte durch den Braunkohletagebau geprägt. Das Lebensgefühl auf dem Wasser soll der Landschaft in den kommenden Jahren zu mehr Anziehungskraft und wirtschaftlichem Erfolg verhelfen.
Dieses Ziel verfolgt auch das in der Lausitz angesiedelte Projekt autartec©, an dem die beiden Dresdner Fraunhofer-Institute für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI und Keramische Technologien und Systeme IKTS beteiligt sind sowie weitere Partner aus der Region, darunter Mittelständler, Industrie sowie die Technische Universität Dresden TUD und die Brandenburgische Technische Universität BTU. Sie alle arbeiten Hand in Hand, um bis 2017 auf dem Geierswalder See nordwestlich von Hoyerswerda ein schwimmendes Haus zu bauen, das nicht nur elegant aussieht, sondern sich selbst mit Wasser, Strom und Wärme versorgt. »Solche energieautarken schwimmenden Häuser gibt es noch nicht«, betont autartec©-Projektkoordinator Professor Matthias Klingner vom IVI. Viele Seen in der Lausitz seien von Infrastrukturen wie Wasser- und Energieversorgung abgeschnitten. »Für dieses Umfeld wollen wir eine Lösung finden«, sagt Klingner.
Energieautark wohnen auf dem Wasser
Das Haus auf dem 13 mal 13 Meter großen Stahlponton erstreckt sich über zwei Ebenen: Das Erdgeschoss umfasst 75 Quadratmeter Wohnfläche, das Obergeschoss weitere 34 Quadratmeter. Auf der 15 Quadratmeter großen Terrasse überblickt man den gesamten See. Das Haus verbindet moderne Architektur und Bautechnik mit hoch effizienter Anlagen- und Gebäudeausstattung. Solarzellen werden beispielsweise in die Gebäudehülle integriert, Lithium-Polymer-Akkumulatoren speichern die gewonnene Energie. Um Platz zu sparen, werden die vom IVI entwickelten Batteriesysteme in die Textilbetonwände oder Treppenelemente eingebaut.
Forscherinnen und Forscher des IVI arbeiten auch an der effizienten Bereitstellung von Wärme und Kälte. Für wohlige Wärme an eisigen Wintertagen sorgt ein Salzhydrat-Kamin: Oberhalb des Feuers befindet sich eine wassergefüllte Wanne mit Salzhydraten. »Brennt das Feuer, werden die Salzhydrate flüssig und nehmen Wärme auf«, beschreibt Dr. Burkhard Faßauer vom IKTS. Sind sie vollständig verflüssigt, lässt sich die Wärmeenergie zeitlich nahezu unbegrenzt speichern. Um sie bei Bedarf wieder freizusetzen, werden funkbasierte Kristallisationsauslöser verwendet. Das Prinzip kennt man von Taschenwärmern: Die Kristallisation löst ein geknicktes Metallblättchen aus, so dass der Taschenwärmer fest wird und Wärme abgibt. Erhitzt man ihn im Wasser, wird er wieder flüssig und speichert Wärme bis zum nächsten Knicken. Allerdings reicht ein Kamin nicht aus, um das Haus den Winter über zu heizen. Ein Zeolithspeicher im Ponton hilft weiter: Die Zeolithmineralien werden im Sommer getrocknet – ein rein physikalischer Prozess, bei dem Wärme gespeichert wird. »Und im Winter reicht feuchte Luft aus, damit der Speicher Wärme abgibt«, erklärt Faßauer. Für angenehme Temperaturen im Sommer sorgt die adiabate Kühlung. Anders als bei herkömmlichen Klimaanlagen benötigt das System keine elektrische Energie, sondern nutzt die Verdunstungskälte von Luft und Wasser. Eine Seitenfläche des Hauses wird begrünt und befeuchtet, die entstehende Verdunstungskälte kühlt die Gebäudehülle.
Um die Wasserversorgung im Hausboot kümmern sich Experten des IKTS. »Wir entwickeln und erproben zurzeit ein geschlossenes Kreislaufsystem für Trink- und Brauchwasser«, erklärt Faßauer. Dafür setzen die Wissenschaftler auf eine Kombination aus keramischen Membranen und verschiedenen elektrochemischen und photokatalytischen Prozessen. Während an Land das Abwasser immer auch biologisch behandelt wird, ist dieser Prozess auf einem schwimmenden Haus nicht möglich. »Wir sind auf physikalische und chemische Methoden angewiesen. Da bietet die Keramik sehr effiziente Möglichkeiten, um Prozesse wie Photokatalyse, Elektrochemie und Filtration auf engstem Raum zusammenzubringen«, sagt Faßauer. Andere Materialien wie Stahl und Kunststoff würden bei derart aggressiven Vorgängen versagen. Die Technik für das Kreislaufsystem soll im Ponton untergebracht werden.
In dem Projekt autartec© arbeiten Mittelständler, Industrie, Universitäten sowie zwei Fraunhofer-Institute Hand in Hand.
Quelle
Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI 2015