Die Klima-Langzeitbombe unterm Eiswasser
Eine Studie hat erstmals die Mengen an Treibhausgasen abgeschätzt, die künftig aus Permafrostzonen im arktischen Meeresboden freigesetzt werden könnten. Früher genannte Horrorzahlen scheinen sich nicht zu bestätigen, dennoch sind die Effekte gravierend.
Permafrost – da haben wir Bilder sibirischer Weiten vor Augen. Gefrorener Boden bis in viele Meter Tiefe, inzwischen allerdings mit großen „Löchern“, die vermutlich vor allem durch das Auftauen des „ewigen“ Eises entstehen. Permafrostboden ist weiter verbreitet als oft angenommen. Auf der Nordhalbkugel gilt ein Viertel der Landfläche als dauerhaft gefroren.
Zu finden ist der hartgefrorene Boden auch unter Wasser, als sogenannter submariner Permafrost. Man nimmt an, dass hier ein ursprünglich terrestrischer Permafrost unter die Wasseroberfläche des Arktischen Ozeans geriet. Schließlich ist der Meeresspiegel nach der letzten Eiszeit um etwa 120 Meter gestiegen und hat dabei auch große gefrorene Landflächen bedeckt.
Forscher des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) modellierten 2019 erstmals, wie viel Fläche der submarine Permafrost unter dem arktischen Meeresboden einnimmt. Danach können etwa 2,5 Millionen Quadratkilometer des arktischen Meeresbodens als dauerhaft gefroren gelten – eine Fläche fast halb so groß wie die Europäische Union.
Mehr als 80 Prozent des submarinen Permafrostes sind dabei in den arktischen Meeren vor den Küsten Nordsibiriens zu finden. Diese Meere sind mit einer Durchschnittstiefe von 100 Metern relativ flach.
Die AWI-Forscher fanden auch schon heraus, dass der submarine Permafrost sich erwärmt und zu schrumpfen beginnt. Auch der untermeerische Eisboden birgt Überreste von Pflanzen und Tieren. Tauen sie auf, kann die organische Materie – wie die an Land – durch Mikroorganismen abgebaut werden. Am Ende gelangt der gespeicherte Kohlenstoff als CO2 oder Methan (CH4) in die Atmosphäre und verstärkt dort den Treibhauseffekt.
Die Prognosen, welche Klimawirkungen daraus resultieren können, münden teilweise in wahren Katastrophenszenarien. Zu Lande sollen bis zu 1.600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff im gefrorenen Boden schlummern. Das ist fast doppelt so viel Kohlenstoff, wie in der Atmosphäre überhaupt vorhanden ist.
Schmelzender Permafrost gehört auf jeden Fall zu den sogenannten Kippelementen im Klimasystem: Durch die Erderwärmung tauen die Permafrostböden, wobei Klimagase entweichen, die wiederum den Klimawandel beschleunigen.
So viele Emissionen wie Deutschlands Energiebranche
Ist der gefrorene Boden unter eiskaltem Arktiswasser begraben, dauern die Erwärmung und das Freisetzen der Klimagase deutlich länger. Der unterseeische Permafrost taut dabei schon seit dem Ende der Eiszeit vor rund 14.000 Jahren, als der Ozean ihn zu überfluten begann.
Ob die anthropogene Erwärmung diesen Prozess bereits beschleunigt, ist noch unklar, räumt auch eine neue Studie der Brigham Young University (BYU) im US-Bundesstaat Utah ein, die jetzt in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters veröffentlicht wurde.
Die Studie schätzt aber erstmals die Mengen an Klimagasen ab, die in den nächsten 300 Jahren aus den unterseeischen Permafrostzonen freigesetzt werden könnten. Das an der Untersuchung beteiligte 25-köpfige Team, koordiniert vom Permafrost Carbon Network (PCN), kam zum Ergebnis, dass der unterseeische Permafrost derzeit ungefähr 560 Milliarden Tonnen organischen Kohlenstoff und 60 Milliarden Tonnen Methan in Sedimenten und Böden einschließt.
Jedes Jahr werden davon etwa 140 Millionen Tonnen CO2 sowie 5,3 Millionen Tonnen CH4 an die Atmosphäre abgegeben. Umgerechnet in CO2-Äquivalente ist das etwa so viel, wie die gesamte deutsche Energiewirtschaft im Jahr 2020 emittierte.
Global betrachtet ist das dennoch eine eher geringe Menge. Die Forscher gehen zudem davon aus, dass bei weiterer Erderwärmung die Emissionen aus dem unterseeischen Permafrost eher allmählich als abrupt ansteigen werden. Mit konsequentem Klimaschutz, der die Erderwärmung unter dem Pariser Zwei-Grad-Klimaziel hält, könnten außerdem rund drei Viertel der drohenden zusätzlichen Unterwasser-Emissionen vermieden werden.
Permafrost bei Klimaverhandlungen außen vor
Diese Hinweise auf eine bisher eher langsame Klima-Rückkopplung sind für Studienautorin Sara Sayedi von der Brigham Young University entscheidend, denn sie relativieren frühere Berichte über die Meeresregion, die eine katastrophale Freisetzung vor allem von Methan voraussagten.
Auch für Projektleiter Ben Abbott von der BYU stellt der unterseeische Permafrost aller Wahrscheinlichkeit nach „keine Klima-Zeitbombe“ dar, die am seidenen Faden hängt. Dennoch sieht Abbott keinen Grund zur Entwarnung.
So spielten die Emissionen des submarinen Permafrosts noch keine Rolle in den globalen Klimaschutz-Vereinbarungen. Die mögliche Klima-Rückkopplung müsse dort berücksichtigt werden, fordert der Wissenschaftler.
Generell wisse man noch viel zu wenig über die Vorgänge unter den arktischen Meeren, betont Permafrostforscherin Sayedi. „Wir brauchen mehr Sediment- und Bodenproben und ein besseres Überwachungsnetz, um herauszufinden, wie schnell dieser riesige Pool an Kohlenstoff aus seinem eisigen Schlaf erwacht.“
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!