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Die „Waldoption“ fehlt

Plädoyer für eine Doppelstrategie im Klimaschutz. Von Udo E. Simonis

Es ist nicht meine Art, doch diesmal muss ich mit einer Persiflage beginnen. Zur Vorbereitung auf diesen Beitrag hatte ich die Webseite des Bundesumweltministeriums aufgerufen. Als Antwort auf meine Suchfrage „Nationales Waldprogramm“ sagte der Computer: „Nichts gefunden. Meinten Sie Nationales Wahlprogramm?“

Dies ist seltsam und – wie mir scheint – zugleich symptomatisch für eine Klimapolitik, die auf einem Auge blind ist. In Klimawissenschaft und Klimapolitik haben sich Gruppen gebildet, die unter einander nicht einig sind. Der technische Weg und der natürliche Weg zum Klimaschutz werden von Wissenschaftlern und Politikern nicht grundsätzlich als die beiden zentralen Wege zum gleichen Ziel verstanden, obwohl es viele gute Gründe für eine solche Doppelstrategie gibt. Es herrscht stattdessen ein Entweder-Oder vor.

Die jüngste, von der „Friday for Future“-Bewegung beflügelte Suche nach eine effektiven Klimapolitik bestätigt diese Denkblockade. Die Regierung in Berlin hat im Frühsommer 2019 zwar ein sog. „Klimakabinett“ ins Leben gerufen, dem international wichtige Akteure, wie das Außenministerium und das Entwicklungshilfeministerium aber nicht angehören. Die Bundesumweltministerin hat im Juli drei externe Gutachten zur Reform der Klimapolitik vorgelegt bekommen, in denen der Begriff Waldoption überhaupt nicht auftaucht. Auch im Sondergutachten der sog. Wirtschaftsweisen ist der Begriff nicht zu finden. Und selbst in dem ausführlichsten und kompetentesten Gutachten von PIK-MCC findet sich dazu nichts.

Dort heißt es zwar, dass die deutsche Klimapolitik eine grundlegende Neuausrichtung benötige, weil die Unzufriedenheit mit dem unzureichenden klimapolitischen Fortschritt in breiten Teilen der Gesellschaft wachse. Daraus wird aber lediglich gefolgert, dass im Zentrum dieser Neuausrichtung eine umfassende und koordinierte Bepreisung der CO2-Emissionen stehen müsse. Von Natur auch hier kein Wort.

Der übergreifende Grund dieser Blindheit von Theorie und Praxis besteht wohl darin, dass die konventionelle Strategie der Klimapolitik auf „Emissionsminderung“ fokussiert ist. Das ist zwar nicht falsch, weil es ja in Zukunft tatsächlich um CO2-Null-Emission von Wirtschaft und Gesellschaft gehen muss, wozu CO2-Steuern bzw. Emissionszertifikate als essentielle Instrumente angesehen werden. Und um die geht es dann vor allem beim derzeitigen Parteienstreit, obwohl es um viele andere Instrumente gehen könnte.

Aber wo bleibt bei dieser Sicht der Dinge die Natur? Die Natur, insbesondere der Wald, hat eine andersartige, große Kapazität – nämlich die der Absorption industrieller Schadstoffe. Neben der technischen Emissionsminderung müsste es also bei der Neuausrichtung der Klimapolitik auch um die naturbasierte Absorptionserhöhung gehen.

Hierauf hat das Crowther Lab der ETH Zürich Ende Juni 2019 mit einer global angelegten Studie aufmerksam gemacht und damit eine weltweite Debatte angestoßen (in Science: „The global tree restoration potential“). Die Details dieser Studie sind heftig umstritten, doch an der Grundaussage kann kein Zweifel sein: Eine weltweite Aufforstung bzw. Wiederaufforstung von Wäldern wäre möglich und könnte über die Zeit einen großen Teil der globalen CO-Emissionen absorbieren.

Die Autoren gehen davon aus, dass die derzeit global vorhandenen 2,8 Milliarden Hektar Wald ohne große Flächenkonflikte auf mindestens 4,4 Milliarden aufgestockt werden können. Wo das vorzugsweise geschehen sollte, wird in der Studie nach Ländern und Regionen vorgestellt.

Man mag bedauern, dass diese Studie für die in Deutschland derzeit heiß diskutierten Klimagutachten zu spät kommt, doch für die Wieder- bzw. Neuentdeckung der Waldoption kommt sie gerade zur rechten Zeit.

Denn vor nunmehr 20 Jahren hatten 80 Professoren und Praktiker bereits ein Manifest zu einer klimapolitischen Option veröffentlicht (Jahrbuch Ökologie 2000), die sofort und zusätzlich ergriffen werden sollte, um den CO2-Anstieg in der Atmosphäre zu verlangsamen und damit Industrie und Gesellschaft den nötigen Zeitraum zu verschaffen, den sie für eine sozioökonomisch verträgliche Änderung von Produktion und Lebensweise brauchen: die Wald- und Holzoption. Diese vorgeschlagene Option umfasste sechs Komponenten:

  • Emissionsminderung durch Waldschutz,
  • Kohlenstoffbindung durch Erhöhung der Biomasse in Wirtschaftswäldern,
  • Bindung von Kohlenstoff in neu zu schaffendem Wald,
  • Bindung von Kohlenstoff durch die Waldwirtschaft,
  • Emissionsminderung bei Ersatz fossiler Energieträger durch Holz,
  • Emissionsminderung bei Ersatz energieaufwendiger Materialien durch Holz.

Wie lässt sich auf dieser (oder einer ähnlich definierten) Basis eine Doppelstrategie der Klimapolitik begründen, die den technischen und den natürlichen Weg zum Klimaschutz – in Sonderheit also die „Energieoption“ und die „Waldoption“ – integriert und zur politischen Forderung macht? Drei wichtige Gründe will ich hier vorstellen:

  1. 1.   Machbarkeit und Realisierungschancen

Die Minderung der laufenden CO2-Emissionen und die Absorption der zu hohen CO2-Konzentration in der Atmosphäre müssen parallel angegangen werden, denn mit technischen Maßnahmen allein ist die Vermeidung einer gefährlichen Klimaänderung unwahrscheinlich.

  1. 2.   Gerechtigkeit und internationale Kooperation

Der Großteil der akkumulierten wie der laufenden CO2-Emissionen stammt aus den alten Industrieländern, die dementsprechend nach Kriterien der internationalen und intergenerativen Gerechtigkeit die größten Reduktions- und Absorptionspflichten haben. Ein großer Teil der gefährdeten aber zu erhaltenden Kohlenstoffspeicher und der zu mehrenden Kohlenstoffsenken (durch Aufforstung bzw. Wiederaufforstung) liegt in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Von daher verspricht nur internationale Kooperation einen höchstmöglichen Beitrag zum Klimaschutz. 

3. Multiple Effekte und intersektorale Synergien  

    Die Energieoption zielt primär auf betriebswirtschaftliche Effizienzgewinne und führt nur bei „Ressourcenwechsel“ auf Erneuerbare Energien zu multiplen Effekten (wie Arbeitsmarkt, Regionalökonomie, Armutsreduzierung, usw.). Die Waldoption hat per se multiple Effekte und führt zu vielfältigen intersektoralen Synergien (wie Wasserschutz, Ernährungssicherung, Erhöhung der Holzquote im Bauwesen, usw.).

Wie aber steht es um die Äquivalenz von Energieoption und Waldoption? Zur umfassenden Beantwortung dieser Frage müssten viele wissenschaftliche Studien und politischen Dokumente zitiert werden. Für diesen kurzen Beitrag muss ich mich auf einige wenige Quellen beschränken: auf den für den internationalen Klimaschutz weiterhin wichtigen Dritten Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC 2001), die UN-Klimarahmenkonvention und das Paris-Abkommen (www.unfccc.int), und auf das für die nationale Diskussion wichtige Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung zur Fortentwicklung der Klimaschutzstrategie im 21. Jahrhundert (WBGU 2003), auf das „Nationale Waldprogramm“ (Bundesministerium 2004) und die Empfehlungen des Rates für Nachhaltige Entwicklung zur „Waldwirtschaft“ (RNE 2004).

Der Sachstandsbericht des IPCC gibt einen kühlen Überblick zum Stand der Wissenschaft über den Klimawandel (AG I), die Notwendigkeiten der Anpassung an diesen Wandel (AG II) und die Möglichkeiten zur Begrenzung des Klimawandels (AG III). Die wald-bezogenen Aussagen des Berichts sind aber eher dürftig. In AG III heißt es unter anderem:

o Die Klimaänderung ist global, langfristig und mit komplexen Interaktionen verschiedenster Prozesse verbunden. 

o Als Sektor für potenzielle globale Emissionsreduktionen wird die Landwirtschaft, nicht aber die Forstwirtschaft explizit aufgeführt. 

Zur konkreten Waldoption sagt der IPCC-Bericht wenig, als Meilenstein einer globalen Waldpolitik kann er schon gar nicht angesehen werden. Man steht sich eher selbst im Wege, ist zwar skeptisch bezüglich der Umsetzung der Energieoption, aber reflektiert nicht die Rolle, die dem natürlichen Weg zukommen könnte, wenn sich der technische Weg als steinig oder gar blockiert erweisen sollte.

Doch konstatiert man zumindest das grundsätzlich Mögliche, dass eine biologische CO2-Minderung mittels dreier Strategien umgesetzt werden kann, durch:

 

  1. Erhaltung bestehender Kohlenstoffspeicher;
  2. Speicherung von Kohlenstoff durch Vergrößerung bzw. Mehrung von Kohlenstoffspeichern;
  3. Substitution, d.h. Ersatz nicht nachhaltiger Produkte und Techniken durch nachhaltig produzierte biologische Produkte.

Fast alles aber, was um diese grundsätzlichen Möglichkeiten herum argumentiert wurde, dient dazu, sie klein zu reden – ja, sie zu diskreditieren.

Zum Beleg zwei Zitate:

  • „… mit Konservierung und Speicherung von Kohlenstoff (kann) Zeit für die weitere Entwicklung und Umsetzung anderer Optionen gewonnen werden“ (S. 87).
  • „Eine Erhaltung kann nur nachhaltig gestaltet werden, wenn die sozioökonomischen Einflüsse auf die Abholzung … kontrolliert werden können“ (S. 87). 

Auf solchen Prämissen lässt sich – so denke ich – keine aktive internationale Klimapolitik aufbauen. Und Fragen bleiben:

  • Wie viel Zeit brauchen wir für eine effektive Energieoption, wie viel für die Waldoption?
  • Wie kann dafür gesorgt werden, dass Waldökosysteme stabil bleiben?
  • Was muss getan werden, damit Kahlschlag von Wäldern unterbleibt und Wiederaufforstung geschieht? 

So oder ähnlich hätte man fragen müssen, so oder ähnlich hätte man die selbst gestellten Fallen umgehen können. Immerhin: Das globale Potenzial an biologischen Minderungsmöglichkeiten bis zum Jahr 2050 wurde auf 100 Gigatonnen Kohlenstoff geschätzt. Je nach Annahme über die Entwicklung der Emissionen aus fossilen Brennstoffen entspricht dies 10 % bzw. 20 % der globalen CO2-Emissionen. 

Wenn man sich beim biologischen Minderungspotenzial aber um die Hälfte verschätzt haben sollte (was durchaus möglich ist), die fossilen Emissionen dagegen nicht wie erwartet reduziert werden (was sehr wahrscheinlich ist), dann wären Energieoption und Waldoption schon nahezu pari-pari – technischer Weg und natürlicher Weg des Klimaschutzes wären gleichrangig, Techniker und Forstleute stünden auf gleicher Augenhöhe. 

Das Ausschöpfen dieses biologischen Minderungspotenzials hängt natürlich von vielen Faktoren ab. Es aber nicht einmal ernsthaft in Betracht zu ziehen, ist eine sträfliche Vernachlässigung wissenschaftlicher und politischer Redlichkeit. 

Wo falsch gerechnet wird, kann nichts Gutes gedeihen. Das wissen wir aus der Schule. Das könnte aber auch ein zentraler Grund dafür sein, dass Äquivalenz im Klimaschutz – zwischen Energieoption und Waldoption – nicht eintreten will.

Die UN-Klimarahmenkonvention ist seit 1994 ein völkerrechtlich bindender Vertrag. Noch 1990 hatte sich ein strategischer Konsens abgezeichnet, wonach im Rahmen dieser Konvention zwei Umsetzungsprotokolle formuliert werden sollten: ein Waldprotokoll und ein Energieprotokoll. Dazu aber kam es nicht – vor allem aus Gründen divergierender Nord – Süd und West – Ost- Interessen.

Artikel 2 der Klimarahmenkonvention legt das Ziel wie folgt fest:

„Das Endziel dieses Übereinkommens … ist es, … die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird.“

Zweierlei fällt hierbei auf:

  1. Der Blick wird auf die Treibhausgaskonzentration gelegt, nicht auf die Klimaänderung selbst; es bleibt also offen, was eine gefährliche (und für wen und was gefährliche) Klimaänderung ist.
  2. Man geht von Anpassungserfordernissen aus, was im Umkehrschluss bedeutet, dass das völlige Vermeiden einer Klimaänderung nicht mehr im Blick ist bzw. nicht mehr für möglich gehalten wird.

Das Sondergutachten des WBGU sieht, im Sinne einer qualitativen Einschätzung „… die Grenze, ab der die Schäden am globalen Naturerbe nicht mehr hinnehmbar sind, … im Bereich von 2°C globaler Erwärmung gegenüber vor-industriellen Werten“ an (S. 1).

Daraus wird gefolgert, dass als „Absicherungsstrategie“ von einer CO2-Konzentration in der Atmosphäre unterhalb von 450 ppm ausgegangen werden solle. Hierzu müsste bis zum Jahr 2050 eine Minderung der globalen energiebedingten CO2-Emissionen von 45 bis 60 % gegenüber dem Jahr 1990 angestrebt werden (S. 2).

Die erforderlichen Maßnahmen zur Minderung der CO2-Emissionen sah der WBGU auf drei Gebieten:

  1. Verstärkte Energieeinsparungen;
  2. strukturelle Änderungen, insbesondere Einsatz erneuerbarer Energieformen und kohlenstoffarmer Technologien;
  3. geologische CO2-Speicherung (S. 3).

Kein Platz also für eine „Waldoption“ – auch nicht bei 60 % Reduktionserfordernis! Spät, sehr spät, konzediert der WBGU aber, dass die terrestrische Biosphäre im globalen Kohlenstoffkreislauf eine große Rolle spielt: „Naturnahe Wälder, Feuchtgebiete und Grasland sind wichtige Speicher für Kohlenstoff, solange sie nicht gerodet, entwässert oder umgepflügt werden“ (S. 4).

Der WBGU empfahl daher die internationale Vereinbarung eines „Protokolls zur Erhaltung der Kohlenstoffvorräte terrestrischer Ökosysteme“, einschließlich der Einrichtung eines Systems handelbarer Nutzungsverzichtsverpflichtungen (S. 4). Dazu ist es aber bis heute nicht gekommen.

Nun, wissenschaftliche Gutachten sind, wenn’s gut geht, Teil der Lösung eines Problems; gelegentlich aber sind sie auch Teil des Problems selbst. Ich fürchte, hier liegt der zweite Fall vor. In Frageform ausgedrückt:

  • Wie kommt es, dass – physikalisch – nur über den Erhalt, nicht aber über die Mehrung der Kohlenstoffvorräte terrestrischer Ökosysteme räsoniert wird?
  • Wie kommt es, dass – politisch – eine zusätzliche zwischenstaatliche Verpflichtung vorgeschlagen wird, statt die Umsetzung der bestehenden Verpflichtungen einzufordern?

Der Vorschlag des WBGU zur Vereinbarung eines zusätzlichen Protokolls im Rahmen der Klimarahmenkonvention rührt allerdings sehr wohl an die Logik der Architektur der internationalen Umweltpolitik – im konkreten Fall an die der Waldpolitik. 

 Die Institutionalisierung der internationalen Waldpolitik ist – um es deutlich zu sagen – keine Erfolgsgeschichte. Insofern könnte jeder neue Vorschlag ein Beitrag zur Aktivierung bzw. Revitalisierung des Themenfeldes sein. Doch wie steht’s damit?

Auf der Rio-Konferenz 1992 (UNCED) hatte man sich – anders als beim Thema Klima, Biodiversität und Desertifikation – nicht auf eine globale Wald-Konvention einigen können. Drei Jahre lang herrschte Funkstille. Nach 1995 entstanden dann drei, jeweils temporäre internationale Wald-Institutionen:

  • das Intergovernmental Panel on Forests (IPF), von 1995 – 1997;
  • das Intergovernmental Forum on Forests (IFF), von 1997 – 2000;
  • das United Nations Forum on Forests (UNFF), von 2001 – 2005. 

IPF wie IFF generierten eine breite Palette an Vorschlägen zu nachhaltigem Forstmanagement, fanden aber keinen Konsensus für eine globale, vertraglich abgesicherte Waldstrategie. Das UNFF hatte einen höheren Status (universelle Mitgliedschaft, Multi-Stakeholder-Dialog), doch zu einer völkerrechtlich bindenden Wald-Konvention, die nicht nur dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der bestehenden Wälder, sondern auch und vor allem der globalen Mehrung und Wiederherstellung von Wäldern dienen müsste, kam es nicht. UNFFinished business – sozusagen.

Angesichts dieser unsäglichen Geschichte hätten die ETH-Forscher auf die ungelösten institutionellen Fragen der internationalen Waldpolitik sorgfältig eingehen müssen. Das geschah (noch) nicht – und das ist meine Kritik.

Wie aber sieht die Lage auf der nationalen Ebene aus? Ergibt sich in Deutschland vielleicht ein optimistischeres Szenario für die Waldoption? Zwei Initiativen sind hier anzusprechen:

  • das „Nationale Waldprogramm“ und
  • die „Nationale Nachhaltigkeitsstrategie“.

Das „Nationale Waldprogramm“, das sich aus einem schrittweisen forstpolitischen Dialog nach 1999 ergab, ist primär kein Klimaschutzprogramm, also keine Symbolisierung der Waldoption. Es ist aber immerhin ein breiter gesellschaftlicher Verständigungsprozess darüber, wie nachhaltige Waldbewirtschaftung aussehen könnte (sollte), die den vielfältigen forstlichen und gesellschaftlichen Ansprüchen Rechnung trägt und den internationalen Vereinbarungen zur Nachhaltigkeit entspricht.

Nur noch 31 % der deutschen Landesfläche sind von Wald bedeckt. Der Walderhalt und die nachhaltige Nutzung des Waldes liest sich in den Zeilen oder zwischen den Zeilen des Nationalen Waldprogramms – doch Waldmehrung ist das Thema nicht!

Es gibt nicht einmal eine Ausrichtung am europäischen Durchschnitt (EU 15), der immerhin bei 37 % liegt. Da man für eine prospektive Politik immer auch anspruchsvolle Vorgaben braucht, wäre für Deutschland das Erreichen des Europäischen Durchschnitts ganz sicherlich empfehlenswert. Doch auch davon ist, trotz der provokanten ETH-Studie bisher nichts zu hören.

Immerhin gibt es einige lokale Resonanzen: Schleswig-Holstein, das Bundesland mit dem derzeitigen Vorsitz im Bundesrat will zur nächsten Deutschlandfeier im Herbst 40.000 Bäume pflanzen (auf Vorlage einer Spende der Fa. Fielmann von 10.000 Bäumen) und hat die Bevölkerung zu entsprechenden Spenden aufgerufen (fünf Euro für einen Setzling). Der bayerische Ministerpräsident hat einen kürzlich „Waldpakt“ mit den Waldbesitzern des Landes geschlossen und die Pflanzung von 30 Millionen Bäumen in den nächsten fünf Jahren versprochen. Einen mitreißenden Aufruf der Bundesumweltministerin an die Bundesbürger zur Pflanzung von Bäumen war aber bisher nicht zu vernehmen. Dagegen wird immer wieder über den globalen Entwaldungsprozess (Urwaldzerstörung, illegaler Holzeinschlag, Korruption) geklagt. Die Chance, den Wald als Klimastabilisator, die Waldoption als zentrales Element der Klimapolitik zu begreifen, wurde aber immer wieder verpasst.

In der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie findet sich ein Text, der neugierig macht: „Waldwirtschaft als Modell für nachhaltige Entwicklung: ein neuer Schwerpunkt für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie“ (RNE 2004). Im Hinblick auf die Waldoption wurden zwei Gesichtspunkte genannt – und auch anregend formuliert:

1. Wald- und Holzwirtschaft dienen der Klimavorsorge 

In den Wäldern Deutschlands sind rund 2,5 Mrd. Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Das entspricht in etwa der 10-fachen Menge der jährlichen CO2-Emissionen durch Nutzung fossiler Brennstoffe. Bei nachhaltiger Waldbewirtschaftung kann Holz diesen Speicher klimaneutral entnommen und zu Produkten verarbeitet werden. Durch Wieder- und Weiterverwendung von Holzprodukten lässt sich die Nutzungsdauer und damit die Dauer der CO2-Fixierung erheblich verlängern.

Eine strategische Größe ist hierbei die Holzquote, der Anteil von Holz an der Gesamtsubstanz von Hausbauten. Diese Quote liegt in Deutschland gerade mal bei 14 %, in den Niederlanden bei 33 % – in den skandinavischen Ländern aber bei über 50 % !

2. Die deutsche Waldwirtschaft muss mehr internationale Verantwortung übernehmen 

Der RNE ist der Meinung, dass Deutschland einen nicht unerheblichen Einfluss darauf haben könnte, wie Wälder in anderen Teilen der Welt bewirtschaftet werden. Deutschland ist ein einflussreicher Verhandlungspartner in der Welthandelsorganisation, ein wichtiger Geldgeber in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit – und die deutsche Forstwissenschaft genießt ein hohes Ansehen in der Welt. Diese Möglichkeiten sollten genutzt werden. Der Rat sagt leider nicht wie. Die drei von ihm genannten Pilotprojekte: „Innovationsinitiative Holz“, „Nachhaltigkeitsbildung“, und „Vermarktungsinitiative Holz“ sind allzu allgemein formuliert.

Schlussfolgerungen

Zum internationalen Klimaschutz gibt es nicht nur den technischen Weg, die Energieoption, vor allem die Erhöhung der Energieeffizienz, den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die technische Bindung des atmosphärischen Kohlenstoffs. Es gibt auch den natürlichen Weg, die Waldoption, vor allem den Erhalt der bestehenden Kohlenstoffspeicher (Urwälder und naturnahe Waldbewirtschaftung), die Substitution energieintensiver Materialien durch biologische Produkte und die Vergrößerung bzw. Mehrung der Kohlenstoffspeicher durch (Wieder-) Aufforstung.

Die ungleiche Beachtung, Bewertung und Anwendung dieser beiden Optionen im Klimaschutz haben unterschiedliche Gründe: solche informatorischer, konzeptioneller und macht- und interessengeleiteter Art, aber auch solche wie Einfallslosigkeit, Fantasielosigkeit und Zukunftspessimismus.

Die Informationsbasis verbessern, neue Konzepte entwickeln, Machtblockaden überwinden, Interessen kommender Generationen aufnehmen, fantasievoller werden, neue Zukunftsszenarien entwickeln – dies wären dann die allgemeinen Schlussfolgerungen.

Die besonderen Schlussfolgerungen sind institutioneller Art. Es bedarf durchgreifender institutioneller Innovationen auf der internationalen Ebene: der pro-aktiven Interpretation, Umsetzung und Fortschreibung des Paris-Abkommens, der Fortentwicklung des UN-Forums für Wälder, in Richtung einer globalen, völkerrechtlich verbindlichen Wald-Konvention, die (nach dem Vorbild der UN-Biodiversitäts-Konvention) dem Schutz und der nachhaltigen Bewirtschaftung der vorhandenen Wälder, der Mehrung der Wälder durch Aufforstung bzw. Wiederaufforstung und dem fairen Vorteilsausgleich aus der Nutzung der Wälder gewidmet sein müsste.

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Quelle

Dr. Dr. h.c. Udo E. Simonis 2019 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)

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