Schutz der Biodiversität: Dunkle Infrastruktur schaffen
Nicht nur physische Hindernisse wie Zäune, Straßen und Gebäude schränken Tiere in ihrem natürlichen Verhalten ein und zerschneiden ihre Lebensräume. Auch Licht kann dies tun – in Form von Lichtverschmutzung.
Das heißt zu viel künstliches Licht zur falschen Zeit am falschen Ort. Daher sollten Nachtlandschaften genauso geschützt werden wie andere Lebensräume, finden die Autor*innen einer aktuellen Studie in Landscape and Urban Planning, unter Leitung von UMS PatriNat in Frankreich.
Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des IGB plädiert für die weltweite Entwicklung einer dunklen Infrastruktur. Damit sind Bereiche und Korridore ohne unnötiges künstliches Licht bei Nacht gemeint, welche die biologische Vielfalt vor Lichtverschmutzung schützen.
Lichtverschmutzung verändert Mobilität nachtaktiver Tiere wie Vögel und Insekten
„Licht kann als Barriere insbesondere für nachtaktive Tiere wirken, die Lichtquellen meiden, man spricht dann auch vom Vermeidungseffekt. Es gibt aber auch Sink- oder Crash-Effekte, dass nämlich Vögel, Fledermäuse oder Insekten von künstlichen Lichtquellen irritiert und angezogen werden oder sterben und dann in anderen Ökosystemen fehlen. Beide Effekte wirken sich auf Populationen aus – auf Sterberaten ebenso wie auf die Fortpflanzung oder die Nahrungssuche. Lichtverschmutzung wird daher mittlerweile als ein Grund für das weltweite Insektensterben und den allgemeinen Verlust der Biodiversität betrachtet“, erläutert Dr. Franz Hölker. Der IGB-Forscher ist einer der Pioniere bei der Erforschung von Lichtverschmutzung auf die biologische Vielfalt, ein Themengebiet, dass er seit mehr als 10 Jahren bearbeitet.
Selbst in Schutzgebieten gibt es Lichtverschmutzung
Trotz der bekannten und vermuteten ökologischen Auswirkungen ist Lichtverschmutzung selbst in Naturschutzgebieten bislang kein Bewertungskriterium. So hat sich gezeigt, dass zwischen 1992 und 2010 die dunklen Flächen in Europa um 15 Prozent abgenommen haben, auch in den Schutzgebieten. „Wir sind also mit einer Bedrohung konfrontiert, gegen die Gebiete wie Nationalparks, Reservate und Natura -2000-Gebiete nur sehr schlecht oder gar nicht geschützt sind“, sagt Dr. Sibylle Schroer, IGB-Forscherin und Mitautorin der Studie.
Dunkle Infrastruktur in grüne und blaue Infrastruktur integrieren
In den letzten Jahrzehnten haben Strategien zum Schutz der biologischen Vielfalt zunehmend ökologische Netzwerke integriert, und zwar durch sogenannte grüne Infrastrukturen, die von der Europäischen Umweltagentur definiert werden als „ein strategisch geplantes Netzwerk natürlicher und naturnaher Gebiete, das so gestaltet und verwaltet wird, dass es zur Erhaltung der biologischen Vielfalt in fragmentierten Landschaften beiträgt und eine breite Palette von Ökosystemleistungen erbringt“. Der Begriff blaue Infrastruktur wird verwendet, um sich speziell auf aquatische Lebensräume zu beziehen. Aber in der Praxis kann der Begriff „grüne Infrastruktur“ sowohl terrestrische als auch aquatische Lebensräume umfassen. Viele Mitgliedstaaten haben seit Ende der 90er Jahre grüne Infrastrukturprojekte umgesetzt.
„Wir schlagen daher vor, dass für die grüne und blaue Infrastruktur die nächtliche Dunkelheit als Schutzkriterium mitberücksichtigt wird. Ziel ist es, ein ökologisches Netzwerk mit einem möglichst hohen Grad an natürlicher Dunkelheit zu erhalten oder wiederherzustellen, der den Erhalt der biologischen Vielfalt ermöglicht“, sagt Franz Hölker.
Die Forschenden haben einen operativen Prozess in vier Schritten beschrieben, der Folgendes umfasst:
- Kartierung der Lichtverschmutzung in all ihren Formen und Dimensionen in Bezug auf die biologische Vielfalt,
- Identifizierung der dunklen Infrastruktur, die von der bereits identifizierten grünen/blauen Infrastruktur ausgeht oder nicht,
- Planung von Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der dunklen Infrastruktur, wobei der sparsamen Beleuchtung und nicht nur der Energieeinsparung Vorrang eingeräumt wird,
- Bewertung der Wirksamkeit der dunklen Infrastruktur mit geeigneten Indikatoren.
Pilotprojekte in Frankreich haben dunkle Infrastruktur mittels Fledermausortung geplant
„In der Schweiz, in Frankreich und in den USA gibt es bereits Projekte für dunkle Infrastrukturen. Sie können auch in anderen Ländern als Fallstudien für städtische und natürliche Gebiete dienen“, sagt Sibylle Schroer.
In der französischen Stadt Douai wurde beispielsweise mithilfe einer akustischen Untersuchung der Fledermausaktivitäten im Gemeindegebiet eine dunkle Infrastruktur ermittelt. Diese wurde nicht in Kerngebiete und Korridore übersetzt, sondern in eine Reihe von Übergängen mit einem wechselnden Grad an Dunkelheit. Die Stufen spiegeln dabei die Intensität der Fledermausaktivität wider. Sie ermöglichen eine Priorisierung der weiteren Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der dunklen Infrastruktur.
Auch Deutschland hat Potenzial: Hier gibt es bereits 6 Sternenparks und Europas erste Sternenstadt
„Auch in Deutschland gibt es das Potenzial, mit einfachen Untersuchungen und Mitteln eine dunkle Infrastruktur innerhalb der grünen und blauen Infrastruktur umzusetzen. Deutschland kann bereits vier zertifizierte Sternenparks – im Westhavelland, der Rhön, der Eifel und im Chiemgau – zwei zertifizierte Sternenpark-Inseln – Pellworm und Spiekeroog – und mit Fulda die erste zertifizierte Sternenstadt in Europa vorweisen. Die Bemühungen der Gemeinden und Städte dieser Regionen können als Best Practice dienen um Schritt für Schritt die natürlichen Nachtverhältnisse von Wanderkorridoren für Wildtiere nachhaltig zu schützen“, sagt Franz Hölker.
Quelle
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) 2022