„Warmzeit“ ist nicht gleich „Warmzeit“
Internationales Forschungsteam veröffentlicht neue Erkenntnisse zu Entwicklung der Nordmeere in Warmzeiten.
Aufgrund steigender Temperaturen und schmelzender Gletscher werden sich die Wassereigenschaften im Europäischen Nordmeer verändern. Um eine Idee von den Auswirkungen zu erhalten, untersucht die Wissenschaft auch die Entwicklungen in vergangenen Warmzeiten. Doch zwei aktuelle Studien internationaler Forschungsteams zeigen, dass die Wassereigenschaften in den Nordmeeren während verschiedener Warmzeiten durchaus unterschiedlich waren.
Egal ob in Norwegen, auf Island oder in Grönland: Rund um den Nordatlantik und das Europäische Nordmeer ziehen sich die Gletscher zurück und setzen dabei große Mengen Süßwasser frei. Auch die sommerliche Eisbedeckung der Arktis schrumpft beinahe kontinuierlich von Jahr zu Jahr, was wiederum die Menge des Süßwassers im Nordmeer zwischen Island und Spitzbergen beeinflusst. Ausgerechnet in dieser Region sinkt dichtes, salziges Wasser aus dem Atlantik in die Tiefe und fließt nahe des Meeresbodens wieder Richtung Süden. Diese Umwälzbewegung treibt unter anderem den Golfstrom und seine Ausläufer an und ist deshalb wichtig für den europäischen Wärmehaushalt. Mehr Süßwasser in den Meeren könnte den Strömungsmotor beeinflussen.
Um zukünftige Auswirkungen des aktuellen Klimawandels abschätzen zu können, richten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Blick auch auf Klimaschwankungen in der Vergangenheit. Abgeschlossene Warmzeiten gelten dabei als gute Modelle für die Warmzeit, in der wir leben. Zwei neue Studien von Forschenden des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven und der Universität von Hongkong mit Unterstützung des Niederländischen Instituts für Meeresforschung NIOZ, der Universität Utrecht (Niederlande) und der University of Victoria (Kanada) zeigen jetzt aber unabhängig voneinander, dass sich der Zustand der Nordmeere in den verschiedenen Warmzeiten deutlich unterscheidet. Gleichzeitig geben sie neue Einblicke, wie diese wichtigen Prozesse in verschiedenen Abschnitten der Erdgeschichte abgelaufen sind.
Eine der Studien, die in der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters erschienen ist, zielte darauf ab, den Salzgehalt in der Grönlandsee und im Europäischen Nordmeer in einer Warmzeit vor rund 400.000 Jahren zu rekonstruieren. Dafür nutzten die Autorinnen und Autoren der Studie Sedimentkerne aus dem Meeresboden südlich von Spitzbergen. Diese Kerne wurden mit einer neuartigen, vom NIOZ entwickelten Methode, analysiert. Das Verfahren basiert auf der Untersuchung von Wasserstoffisotopen in sogenannten Alkenonen. Das sind organische Verbindungen, die von bestimmten Meeresalgen produziert werden. „Da sich der Salzgehalt direkt auf die Zusammensetzung dieser Alkenone auswirkt, ist die Methode deutlich direkter und damit weniger fehleranfällig als bisherige Verfahren“, sagt Dr. Evguenia Kandiano vom GEOMAR, Erstautorin der Studie.
Die neuen Daten zeigen nun, dass die Meeresoberfläche im zentralen Nordmeer vor rund 400.000 Jahren wesentlich kälter war als bisher angenommen. Gleichzeitig waren die oberflächennahen Schichten auch sehr salzarm, was wahrscheinlich auf das kontinuierliche Abschmelzens der grönländischen Eisdecke und einer Süßwasserzufuhr aus der Arktis zurückzuführen ist. Diese Prozesse führten dazu, dass sich eine dicke, salzarme Schicht an der Oberfläche bildete, die das von Süden einströmende Atlantikwasser in größere Tiefen abdrängte.
In der zweiten Studie, die in der Fachzeitschrift Earth and Planetary Science Letters erschienen ist, hat sich ein Team um Dr. Benoit Thibodeau von der Universität Hongkong die Nährstoffnutzung im Oberflächenwasser der Grönlandsee und der Norwegischen See während drei Warmzeiten zwischen 400.000 vor heute und der Gegenwart angesehen. „Die von uns rekonstruierte Nährstoffnutzung deutet darauf hin, dass in den älteren Warmphasen zwischen zwei Eiszeiten sich eine gegenüber der heutigen dickere Mischschicht an der Oberfläche ausbildete. Diese wurde vermutlich durch ein dauerhaften Frischwassereintritt aufgrund des langen Abschmelzprozesses der damals sehr großen Landeismassen hervorgerufen“, sagt Dr. Thibodeau.
Die beiden unabhängigen Studien beruhen zwar auf ganz unterschiedlichen Methoden, „dennoch sind die Ergebnisse in recht ähnlich. Die Dicke der salzarmen Oberflächenschicht im Europäischen Nordmeer schwankt von Warmzeit zu Warmzeit deutlich und bestimmt somit auch die Wassertiefe, in der das salzhaltigere und schwerere Atlantikwasser in die nördlichen Meere vordringen kann“, sagt der Paläoozeanograph Dr. Henning Bauch, der am GEOMAR und am AWI forscht und Mitautor der beiden Publikationen ist. Und er fügt hinzu: „Die Ergebnisse zeigen uns vor allem, dass wir vorsichtig sein müssen, wenn wir ältere Warmzeiten als Analogie für unsere aktuelle Warmzeit nutzen oder sie sogar als Modell für die Zukunft verwenden.“
Originalarbeiten:
- Thibodeau, B., H. A. Bauch, and T. F. Pedersen, 2016: Stratification-induced variations in nutrient utilization in the Polar North Atlantic during past interglacials. Earth and Planetary Science Letters, http://dx.doi.org/10.1016/j.epsl.2016.09.060
- Kandiano, E. S., M. T. J. van der Meer, H. A. Bauch, J. Helmke, J. S. S. Damsté, and S. Schouten, 2016: A cold and fresh ocean surface in the Nordic Seas during MIS 11: Significance for the future ocean, Geophys. Res. Lett., 43, 10,929 – 10,937, http://dx.doi.org/10.1002/2016GL070294