Wenn Klimaforschende nervös werden
Das Erdsystem verändert sich schneller, als die Wissenschaft erwartet hat. Nicht die einzige besorgniserregende Erkenntnis, die Johan Rockström, einer der führenden Erdsystemwissenschaftler, kürzlich der Öffentlichkeit mitteilte. Von David Zauner
„Ideen, die es wert sind, verbreitet zu werden.“ Das ist das Motto der Ted-Konferenzen. Ted steht für technology, entertainment, design.
In knappen Bühnen-Vorträgen stellen Menschen aus allen möglichen Bereichen dabei Innovationen, Geschäftsideen oder vermeintlich wichtige Botschaften einem breiten Publikum vor. Auf Youtube werden die Videos der sogenannten Ted-Talks nicht selten viele Millionen Mal geklickt.
Zwar werden auch fragwürdige Inhalte bei den Ted-Talks verbreitet. Doch vor gut zwei Wochen hielt einer der führenden Klimaforscher unserer Zeit, Johan Rockström, in Seattle einen gleichermaßen seriösen, wichtigen und beunruhigenden Vortrag (Video unten).
In knapp 20 Minuten umreißt der schwedische Erdsystemwissenschaftler und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung darin den Status quo des globalen Wandels. Was soll da in ein paar Minuten schon großartig Berichtenswertes gesagt werden, mögen sich nun manche fragen.
Es ist besonders ein Satz, auf den Rockström in seinem Vortrag immer wieder zurückkehrt. „Erdsystem- und Klimawissenschaftler werden immer nervöser.“ Denn der Planet, so Rockström, verändert sich schneller, als sie erwartet hätten.
Die Wissenschaft sorgt sich und warnt vor dem Klimawandel – das ist nichts Neues. Aber in den letzten zwei Jahren hat sich etwas verändert. Klimaforscher:innen sind nicht mehr nur besorgt, sie sind überrascht.
Da ist zum einen der beispiellose Anstieg der Meerestemperatur seit über einem Jahr.
Spätestens seit den 1970er Jahren zeigt das Oberflächenwasser der Weltmeere einen deutlichen Erwärmungstrend. Bis 2022 sei diese Entwicklung allerdings, obwohl besorgniserregend, gut verstanden und von den Klimamodellen abgebildet worden, erklärte Rockström. Doch 2023 sei irgendetwas passiert.
Die Temperatur stieg im Frühjahr deutlich an und lag in der zweiten Jahreshälfte um 0,4 Grad über dem bisherigen Höchstwert. Und auch in diesem Jahr setzt sich der Trend fort.
Was ist dafür verantwortlich? Rockström: „Um ehrlich zu sein, wir wissen es nicht.“ Könnte es ein Anzeichen dafür sein, dass die Meere ihre Resilienz verlieren und künftig Wärme an die Atmosphäre abgeben, statt wie bisher überschüssige Hitze zu absorbieren? Er richtet die Frage ans Publikum.
Regenwälder stoßen teils mehr CO2 aus, als sie aufnehmen
Aber es sind nicht nur die Meere, die sich wesentlich schneller verändern als angenommen. Zwischen 1970 und 2010 hat sich die Atmosphäre um 0,18 Grad pro Dekade erwärmt. Von 2014 bis heute waren es 0,26 Grad.
Die Erde erwärmt sich also nicht nur, sie erwärmt sich immer schneller. Selbst wenn sie sich nicht noch weiter beschleunigen sollte, würde die Erderwärmung, dem jetzigen Trend folgend, in 20 Jahren das Zwei-Grad-Limit überschreiten und zum Ende des Jahrhunderts bei einer Erwärmung von deutlich über drei Grad landen.
In den letzten drei Millionen Jahren – Homo sapiens ist vor etwa 300.000 Jahren auf der Bildfläche erschienen, die Gattung Homo vor frühestens 2,5 Millionen Jahren – war es zu keinem Zeitpunkt so warm.
Sei es da verwunderlich, fragt Rockström, dass Wissenschaftler:innen nervös werden? Neueste Erkenntnisse zeigten außerdem, dass natürliche CO2-Senken zu schwächeln beginnen.
Bisher haben die Ökosysteme an Land 31 Prozent der anthropogenen Treibhausgase aufgenommen und damit als natürlicher Klimawandel-Puffer gewirkt. Waldökosysteme in verschiedenen Regionen der Welt verlieren jedoch zunehmend ihre Kapazität, CO2 aufzunehmen.
Hitzestress, Dürren, Abholzung und Schädlingen setzen den Wäldern zu. Teile des Amazonas-Regenwaldes stoßen heute bereits mehr CO2 aus, als sie aufnehmen.
Natürlich sind das alles nur kleine Ausschnitte, die verdeutlichen, wie schnell sich unser Erdsystem aufgrund des menschengemachten Klimawandels verändert. Nach wie vor gibt es Unsicherheiten und Fragezeichen. Aber, betont der Erdsystemwissenschaftler in seiner Rede, je besser die Wissenschaft das Erdsystem verstehe, als desto kritischer erweise sich die Lage.
In einem Bericht des Weltklimarates IPCC aus dem Jahr 2001 wurde das Risiko, dass ein oder mehrere Kipppunkte des Klimasystems überschritten werden, erst ab fünf Grad Erderwärmung als moderat bis hoch angesehen. Laut einer Metastudie, die mittlerweile auch schon zwei Jahre alt ist, wird dieses Kipp-Risiko tatsächlich bereits bei 1,5 Grad erreicht.
Nicht nur ein naturwissenschaftliches Problem
Trotz alledem sieht sich Rockström nach wie vor als realistischer Optimist. Die Klimakrise zu lösen, sei keine Utopie oder Fantasterei. Der Weg sei bekannt.
Rockström spricht von dem verbleibenden CO2-Budget von 200 Milliarden Tonnen, das die Menschheit noch emittieren darf. Er weist darauf hin, dass der Ausstieg aus den fossilen Energien nicht ausreicht. Nicht anders zu erwarten von dem Wissenschaftler, auf den das Konzept der planetaren Grenzen zurückgeht.
Es brauche auch eine Ernährungswende und einen Wandel zu zirkulären Wirtschaftsmodellen. Natur dürfe nicht nur nicht weiter zerstört werden, sie müsse wiederhergestellt werden.
Dass Johan Rockström nicht verdrießlich enden möchte und deshalb noch einige der altbekannten Lösungswege herunterrattert, ist verständlich. Ganz der klassische Klimaforscher, belässt er es auch dabei.
Die Frage, was eigentlich den klimagerechten Wandel verhindert, bleibt außen vor. Schuld am Klimawandel sind laut Rockström fossile Rohstoffe und unökologische Landnutzung. Doch Wälder roden sich nicht von allein und auch die rücksichtslose Förderung und Verbrennung von fossilen Rohstoffen ist keine zwingende Begleiterscheinung gesellschaftlichen Fortschritts.
Das dahinter stehende Wirtschaftssystem, in dem sich Produktion nicht am gesellschaftlich Sinnvollen orientiert, sondern einem inhärenten Profitmotiv folgt, bleibt bei Rockström unerwähnt.
Vielleicht ist das von einem Naturwissenschaftler nicht anders zu erwarten. Vielleicht zeigt es aber auch, dass selbst führende Erdsystemforscher:innen den Klimawandel noch zu oft als rein naturwissenschaftliches Problem und nicht als Krise der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse verstehen.
Das muss sich ändern, schließlich geht es um alles oder nichts. Oder wie Rockström seine Rede schließt: „Die planetare Krise zu lösen, ist nicht nur notwendig, sondern auch möglich, und wir alle gewinnen, wenn wir erfolgreich sind.“
Mehr sehen: https://go.ted.com/johanrockstrom24
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (David Zauner) 2024 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!