Wie naturverträglich ist die Energiewende?
Der EE-Monitor des UFZ dokumentiert die Energiewende aus energetischer und umweltbezogener Perspektive.
Die Energiewende ist politischer Wille der Bundesregierung. Doch die gesellschaftlichen Diskussionen ebben nicht ab, weil der zunehmende Ausbau der erneuerbaren Energien auch negative Folgen für die Natur haben kann: Sollen Windkraftanlagen in Wäldern gebaut werden? Sind Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlich wertvollen Nutzflächen notwendig? Wie ökologisch sind kleine Wasserkraftanlagen an Fließgewässern im Mittelgebirge?
Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) hat nun eine Web-Anwendung veröffentlicht, die anhand von 41 Kennzahlen den aktuellen Stand des Ausbaus der erneuerbaren Energien (EE) in Deutschland auf Ebene der Bundesländer und der Landkreise beschreibt. Die Kernbotschaft: Die naturverträgliche Energiewende kann gelingen, allerdings müssen hierfür die Anlagen technologisch effizienter und die dafür bereitgestellten Flächen effektiver genutzt werden.
Für die Web-Anwendung des EE-Monitors hat ein von Prof. Dr. Daniela Thrän geleitetes Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern 41 Kennzahlen entwickelt, die sich nach Anlagentechnologien wie etwa Windenergie, Solarenergie, Bioenergie oder Wasserkraft sortieren lassen. Die Kennzahlen reichen von der Dichte der EE-Anlagen auf Acker-, Grünland-, Wald- und Siedlungsstandorten über die Anlagenzahl in Schutzgebieten bis zur Flächeneffizienz und Leistungsdichte von Standorten. Sie basieren auf statistischen Daten, bereinigten Angaben von Anlagenbetreibern aus dem Marktstammdatenregister (MaStR), dem Anlagenregister für den deutschen Strom- und Gasmarkt sowie wissenschaftlichen Veröffentlichungen. In der Regel decken sie die zeitliche Entwicklung zwischen 1990 und 2020 ab. „Wir können mit dieser frei verfügbaren und datenbasierten Webseite die Energiewende aus energetischer und umweltbezogener Perspektive räumlich und zeitlich abbilden“, sagt Daniela Thrän, Leiterin des UFZ-Departments Bioenergie und Bereichsleiterin Bioenergiesysteme am Deutschen Biomasseforschungszentrum.
Das Besondere: Die Kennzahlen können je nach Nutzerinteresse zusammengestellt werden, also nach Art der Technologie, in Form von Regionalberichten auf Länder- und Landkreisebene oder nach naturschutzfachlichen Zielsetzungen. Zu diesen zählen etwa die Minimierung des Flächenverbrauchs, die naturverträgliche Gestaltung der Standorte der EE-Anlagen, das Vermeiden besonderer Schutzgebiete oder eine möglichst hohe Energieeffizienz. „Mit den Kennzahlen lassen sich Potenziale und Fehlentwicklungen des Ausbaus der erneuerbaren Energien aufzeigen und die öffentliche Wahrnehmung für Naturschutzthemen der Energiewende fördern“, sagt die Projektkoordinatorin Nora Mittelstädt. Die Web-Anwendung werde regelmäßig aktualisiert und biete eine gute Wissensbasis für die Politik und den öffentlichen Diskurs.
Die Kennzahlen zeigen, dass eine naturverträgliche Energiewende bundesweit in vielen Bereichen bereits gelingt. „Streng geschützte Naturschutzflächen wie beispielsweise Nationalparke, Naturschutzgebiete oder Kernzonen von Biosphärenreservaten bleiben in Deutschland weitestgehend frei von Anlagen“, sagt Daniela Thrän, Mitglied des Bioökonomierats der Bundesregierung. Der Anteil von Photovoltaik-Gebäudeanlagen an der installierten Photovoltaik-Gesamtleistung beträgt fast 71 Prozent. Bei Freiflächenanlagen hat sich die Flächeneffizienz, also die installierte Anlagenleistung je Hektar, in den vergangenen 20 Jahren vervierfacht. Positiv aus Naturschutzsicht ist, dass immer mehr Photovoltaik-Freiflächen entlang von Autobahnen und Bahntrassen angelegt werden. Dieser Anteil an der gesamten Photovoltaik-Freifläche hat sich zwischen 2010 und 2020 von 8 auf fast 21 Prozent mehr als verdoppelt. Im Saarland und Bayern liegt der Anteil zum Beispiel bei über 30 Prozent. „Wenn Flächen in der Nähe von Verkehrswegen genutzt werden, werden wertvolle Biotope nicht zerschnitten“, sagt Nora Mittelstädt. Für den Arten- und Biotopschutz sei das vorteilhaft.
Jedoch belegen die Zahlen auch, wie schwierig es ist, in einem so dicht besiedelten Staat wie Deutschland geeignete Flächen für EE-Anlagen zu finden. So lagen zum Beispiel im Jahr 2020 17 Prozent der bundesweit fast 30.000 Windenergieanlagen (WEA) in Schutzgebieten, allerdings vor allem in Schutzgebieten mit geringem Schutzstatus wie Naturparken und Landschaftsschutzgebieten. Besonders augenscheinlich ist das in Nordrhein-Westfalen: Dort sind mehr als 1.600 WEA in Schutzgebieten, die meisten in Landschaftsschutzgebieten. Immer mehr WEA werden auch an ökologisch sensiblen Waldstandorten errichtet: Standen im Jahr 2000 lediglich 1,1 Prozent aller Windräder im Wald, waren es 2020 bereits 8,2 Prozent. Auch bei anderen Energieträgern zeigt sich eine ähnliche Tendenz der konkurrierenden Nutzungsansprüche, Beispiel Photovoltaik: Zwischen 2010 und 2020 hat sich jene Fläche, auf denen Photovoltaik-Freiflächenanlagen in Schutzgebieten zu finden sind, mehr als verdreifacht: Von 1.208 auf 3.812 Hektar. Etwa die Hälfte aller Anlagen in Schutzgebieten befindet sich in Landschaftsschutzgebieten.
„Die Kennzahlen zeigen, dass sich immer mehr erneuerbare Energien-Anlagen in Schutzgebieten wie Landschaftsschutzgebieten und Naturparken befinden, weil aufgrund konkurrierender Nutzungsansprüche nur begrenzt Flächen zur Verfügung stehen“, sagt Daniela Thrän. „In Zukunft ist es wichtig, dass die Auswirkungen auf die Natur besser verstanden werden: Ein verbessertes Monitoring von Vogel- und Fledermausarten ist zum Beispiel notwendig, damit insbesondere Windanlagen an möglichst konfliktarmen Standorten errichtet werden können.“
Der UFZ-Agrarökologe Prof. Dr. Josef Settele, der sich unter anderen für den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) mit den Auswirkungen des Windenergie-Ausbaus auf die Natur befasst hat, betont: „Der Ausbau der EE kann und muss im Einklang mit dem Naturschutz erfolgen. Das heißt, dass ökologisch besonders wertvolle Schutzgebiete von Windenergieanlagen freigehalten werden müssen.“
Um die naturverträgliche Umsetzung der Energiewende weiter voranzutreiben, sollte zuallererst der Energieverbrauch drastisch gesenkt werden. „Die Nutzungseffizienz der von den EE-Anlagen in Anspruch genommenen Flächen muss weiter verbessert werden, zum Beispiel durch noch mehr Photovoltaik-Anlagen auf Gebäuden, innovative sogenannte Agri- Photovoltaik-Anlagen auf Agrarflächen oder das Repowering der Windkraftanlagen“, nennt Daniela Thrän weitere Maßnahmen. Auch die richtige Form der Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Standortwahl sei wichtig, um so Flächen mit geringeren negativen Folgen für den Naturschutz auszuwählen. „Die naturverträgliche Energiewende kann nur gelingen, wenn beides effizient genutzt wird: die verfügbare Fläche und die darauf bereitgestellte Energie“, sagt sie.
Das Forschungsprojekt wurde gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).
- Weitere Informationen:
- Erneuerbare-Energien-Monitor (EE-Monitor)
- InPositiv – positive Wirkungen der Energiewende auf Natur und Landschaft