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AWI | Stefan Hendricks | Polarstern bei Stationsarbeiten an einer Eisscholle

© AWI | Stefan Hendricks | Polarstern bei Stationsarbeiten an einer Eisscholle

Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Bewohner der Arktis aus?

Polarstern-Expedition untersucht Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Eis und Ozean und Effekte auf die Lebewelt.

49 Atmosphären- und Wolkenforscher, Meereisphysiker, Meeresbiologen und Biogeochemiker starten am Mittwoch, den 24. Mai 2017 von Bremerhaven aus zu einer gemeinsamen Expedition Richtung Spitzbergen. An Bord des Forschungsschiffes Polarstern vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) eint sie über alle Fachdisziplinen hinaus die Frage: Wie verändert sich das Klima der Arktis und wie wirkt sich das aus? Von Longyerbyen (Spitzbergen) aus starten parallel die AWI-Forschungsflugzeuge Polar 5 und Polar 6 zu Atmosphärenmessungen aus der Luft

Das schrumpfende Meereis ist der am deutlichsten sichtbare Indikator für die rapide Erwärmung des Arktischen Ozeans. Waren in den 1980er Jahren noch über sieben Millionen Quadratkilometer der Arktis im Sommer von Meereis bedeckt, so lag seine minimale Ausdehnung in den vergangenen zehn Jahren überwiegend unter fünf Millionen Quadratkilometer. Das Meereis ist daher ein zentrales Forschungsobjekt, zugleich aber auch ein wichtiger Standort für die geplanten Arbeiten nördlich von Spitzbergen: Das Forschungsschiff Polarstern wird an einer Eisscholle festmachen, auf der Atmosphärenforscher zwei Wochen lang kontinuierlich messen, wie sich der Energiehaushalt am Boden bei unterschiedlicher Bewölkung verändert. Damit wollen die Forscher offene Fragen zu den Rückkopplungsmechanismen zwischen Meereis, Wolken und Partikeln in der Luft klären, die zur Erwärmung in der Arktis beitragen.
„Unsere These ist, dass die typischen tiefen Wolken in der Arktis einen deutlichen Anteil daran haben, dass sich diese Region in den letzten Jahrzehnten mehr als doppelt so stark erwärmt hat wie der Rest der Erde. Dieses Phänomen wird ‚Arctic Amplification’ (arktische Verstärkung) genannt und kann in den globalen Klimamodellen bisher nicht berücksichtigt werden, da die Mechanismen nicht ausreichend verstanden sind“, erklärt Prof. Andreas Macke vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), der den ersten Fahrtabschnitt wissenschaftlich leiten wird.
Sein Projekt soll helfen, besser zu verstehen, welche Prozesse im Detail wie stark dafür sorgen, dass das Meereis in der Arktis so drastisch schrumpft. Die atmosphärischen Messungen an Bord der Polarstern werden dabei durch einen Fesselballon auf der Eisscholle, Flüge der AWI-Forschungsflugzeuge Polar 5 und Polar 6 sowie parallele Messungen an der AWIPEV-Station in Ny-Ålesund ergänzt, um ein möglichst vollständiges Bild der Prozesse in der Atmosphäre der Arktis zu erhalten, die letztlich auch das Wetter in Europa beeinflussen. 
Parallel zur Wolkenforschung finden während der Drift mit der Scholle meereisphysikalische, biologische und biogeochemische Messungen statt. Ein Fokus liegt bei dieser Frühsommer-Expedition auf den Lebensbedingungen zu Beginn der Schmelzperiode, wenn zwischen den Eisschollen offenes Wasser entsteht, das durch seine dunkle Farbe mehr Energie aufnimmt als die reflektierende helle Eisoberfläche. So kann mehr Licht durch das Eis gelangen und Kleinstalgen im Wasser als Energiequelle dienen. Dieses Phytoplankton bildet die Grundlage des arktischen Nahrungsnetzes, denn von ihm ernährt sich das Zooplankton, das wiederrum räuberischen Tieren wie Vögeln, Robben oder Eisbären als Futter dient.

„Wir interessieren uns besonders für den Polardorsch, denn er hat als Hauptnahrungsquelle für Robben und Vögel eine Schlüsselrolle im arktischen Ökosystem“, sagt Dr. Hauke Flores. Der Biologe vom Alfred-Wegener-Institut ist ab Bremerhaven an Bord und übernimmt nach kurzem Zwischenstopp am 21. Juni in Longyearbyen (Spitzbergen) die Leitung des zweiten Expeditionsabschnitts. Junge Polardorsche nutzen häufig den Lebensraum an der Unterseite des Meereises, der ihnen als Jagdrevier und Unterschlupf vor Räubern dient. Bedingt durch den Klimawandel vermindert sich die räumliche Ausdehnung des Untereis-Lebensraumes zusehends.

„Wir werden die räumliche Verteilung des Polardorsches, seiner Nahrungsgrundlagen, seiner Fressfeinde und anderer Umweltparameter simultan beproben. So können wir die Überlebensfähigkeit der Fische und der von ihnen abhängigen Warmblüter einschätzen und Aussagen über ihre Empfindlichkeit gegenüber dem Klimawandel treffen“, so Hauke Flores. „Neben den aktuellen Beobachtungen freue ich mich besonders auf den Austausch mit den Wissenschaftlern aller Fachdisziplinen. Denn an Bord haben wir Arktisinteressierte die einmalige Gelegenheit, uns über lange Zeit intensiv über unsere Forschungsthemen auszutauschen“, so sein Ausblick auf die kommenden zwei Monate bis zum Expeditionsende Mitte Juli im norwegischen Tromsø.

Im Anschluss an diese Expedition nutzen AWI-Tiefseeforscher und Kollegen die Polarstern für biologische und ozeanographische Langzeituntersuchungen im sogenannten AWI-Hausgarten. In der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen sind Mitglieder der Helmholtz-Allianz ROBEX im August und September unterwegs, um unter anderem den Tiefsee-Roboter Tramper nach einem Jahr Arktiseinsatz zu bergen. Die letzte diesjährige Arktis-Expedition führt ab Mitte September nach Ostgrönland, wo Ozeanographen und Glaziologen gemeinsam den Mechanismen schmelzender Gletscher auf den Grund gehen. Die Polarstern wird Mitte Oktober in ihrem Heimathafen Bremerhaven zurückerwartet. 

AWI | Mar Fernandez | Mehrer Gruppen knüpfen sich den Lebensraum Meereis bei jeder Eisstation vor: Wasserproben aus den Schmelztümpeln, das Eis selber sowie das Wasser darunter, alles wird nach nach Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen durchsucht.AWI | Hauke Flores | Der Polardorsch Boreogadus saida in der Arktis.AWI | Mar Fernández-Méndez | Dieses Bild zeigt die Überreste abgestorbener Eisalgen, die sich am Grund eines Schmelztümpels abgelagert haben.
Quelle

Alfred-Wegener-Institut | Helmholtz-Zentrum
für Polar- und Meeresforschung 2017

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