‹ Zurück zur Übersicht
claudiakemfert.de | Roland Horn | Claudia Kemfert

© claudiakemfert.de | Roland Horn | Claudia Kemfert

Claudia Kemfert: Nur Erneuerbare Energien schaffen Frieden

Wir könnten von heute auf morgen auf sämtliche Energielieferungen aus Russland verzichten, sagt die Energieökonomin Claudia Kemfert und mahnt: solange wir nicht aus fossilen Energien aussteigen, drohen immer wieder Kriegsgefahren.

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg.

Frau Kemfert, dieser Tage sehen wir verstörende Bilder mitten aus Europa: Millionen Menschen sind auf der Flucht. Wie geht es Ihnen, wenn Sie diese Bilder sehen?

Wie alle bin ich tief erschüttert, aber auch beeindruckt von den Menschen, die für ihre Freiheit, für Demokratie und Frieden kämpfen. Wie kann es sein, dass wir in Europa im 21. Jahrhundert so etwas erleben müssen? Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden. Wir befinden uns inmitten eines fossilen Energie-Krieges. Es ist schlimm.

Hätte es so weit kommen müssen?

Wir hätten uns sehr viel früher von fossilen Energien und damit von potenziellen fossilen Energiekriegen verabschieden können und müssen. Deutschland bezahlt über 70 Milliarden Euro pro Jahr allein für fossile Energien. Geld, das auch in Putins Kriegskasse fließt. Aber auch und gerade die Atomenergie ist keine Friedenstechnologie, wie wir aktuell eindrücklich erleben. Es ist nicht die erste Energiekrise, die wir erleben, aber eine sehr dramatische. Ich hätte mir sehr gewünscht, wir hätten mehr getan, um sie zu vermeiden.

Sie haben bereits gesagt, „dies ist ein fossiler Krieg“. Auch Hermann Scheer, einer der Geburtshelfer des EEG im Jahr 2000, hatte als friedensbewegter Mensch immer wieder auf das Konfliktpotenzial fossil-atomarer Energieträger hingewiesen. Was macht Kohle, Öl, Gas und Atom so brandgefährlich?

Dass Atomenergie auch für militärische Zwecke missbraucht werden kann, ist seit ihrer Erfindung bekannt. Seitdem wissen wir um die potenziellen Gefahren und bemühen uns in vielen Friedensvereinbarungen weltweit, die Risiken einzudämmen. Die aktuellen Ereignisse zeigen, wie gewaltig die Gefahr ist. Auch fossile Energien waren schon oft Anlass fürzu kriegerische Auseinandersetzungen. Es gab schon einige Ölkriege auf diesem Planeten. Und dass Putin Gas als politische Waffe einsetzt, ist ebenfalls nicht neu. Auch hier wissen wir schon immer um die potenzielle Gefahr.

Obendrein führt das Verbrennen fossiler Energien zum immer schnelleren Klimawandel. Die extremen Klimaereignisse verursachen Elend, Leid und erhebliche volkswirtschaftliche Schäden. Als Wissenschaftlerin ist für mich evident: Nur eine Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien schafft dauerhaft Frieden, stärkt Demokratie und Freiheit. Zudem sichert sie Wohlstand und Frieden auf der Welt. Die Energiewende ist das beste Friedensprojekt, welches wir weltweit haben.

 … und doch fließen die Milliarden für Kohle-, Öl- und Gaslieferungen weiterhin nach Russland und finanzieren die Waffen gegen die Ukraine – womit unzählige Menschen getötet werden. Was ist Ihrer Meinung nach notwendig, damit Deutschland endlich sagt „Nein Danke, Putin!“ und kein russisches Gas mehr kauft?

 Wir müssen so schnell wie möglich weg von fossiler Energie, und zwar durch den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien. Wir benötigen mindestens eine Vervierfachung des jetzigen Ausbautempos. Es müssen Flächen für Windenergie ausgewiesen, Genehmigungsverfahren erleichtert und finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten für Kommunen verbessert werden. Solarenergie gehört auf jedes Dach. Wir müssen Wärmepumpen fördern, gerade im Zusammenhang mit der energetischen Gebäudesanierung. Die Industrie muss energieeffizienter werden, auch hier bieten sich die industrielle Wärmepumpe und der Einsatz von Erneuerbaren Energien an. Im Verkehrssektor müssen wir so schnell wie möglich weg von Benzin und Diesel hin zu mehr Elektromobilität. Der Schienenverkehr muss gestärkt werden. Es geht um Verkehrsvermeidung, -verlagerung und -optimierung.

All dies wissen wir seit Jahren. Die Gesellschaft und die Industrie ist startklar. Das einzige, was uns aufhält, ist der fehlende politische Wille. Die Politik lässt sich bremsen von unsinnigen Gespensterdebatten, die uns an die Vergangenheit ketten. Stattdessen brauchen wir endlich ein Booster-Programm für die konsequente Energiewende.

Könnten wir wirklich von heute auf morgen auf sämtliche Energielieferungen aus Russland verzichten, ohne dass die Lichter ausgehen?

 Klare Antwort: Ja! Zwar beziehen wir über 50% unseres Erdgases, 36 % unseres Öls und über 50% unserer Steinkohle aus Russland. Aber wir können Gas aus anderen Ländern beziehen, wir können den Verbrauch drosseln und sehr schnell auf Wärmepumpe und Erneuerbaren Energien umstellen. Auch Öl und Kohle können wir aus anderen Ländern beziehen. Nein, deswegen gehen die Lichter sicher nicht aus. Wenn sie ausgehen, dann wegen fossiler Kriege. Deswegen müssen wir jetzt endlich den Weckruf hören.

Quelle

Das Interview führte Andreas SchugRedaktion “energiezukunft“ 2022  | Das Interview darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 31/2021 | „Dezentral Erneuerbar – ein Update“ |  Jetzt lesen | Download

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren