Die Blockade einer Vision
Zehn Jahre Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt: Naturschutzverbände kritisieren in Analyse Blockadepolitik
Vor zehn Jahren wurde die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt vom Bundeskabinett unter Bundeskanzlerin Angela Merkel verabschiedet. Ziel ist es, den Schwund an Arten und Lebensräumen in Deutschland aufzuhalten. Anlässlich des Jubiläums loben die Umweltverbände BUND, Deutsche Umwelthilfe (DUH), NABU, WWF und der Dachverband DNR die Strategie als ambitionierte und visionäre Zielvorgabe, warnen jedoch eindringlich vor einem Scheitern bei der Umsetzung.
Eines der größten Probleme stellt demnach die Blockade der Anstrengungen des Bundesumweltministeriums durch andere Ressorts der Bundesregierung dar. Aber auch auf Ebene einzelner Bundesländer und Kommunen würde die nationale Strategie durch massives Störfeuer immer wieder konterkariert. In einer gemeinsamen Analyse kommen die Verbände zu dem Schluss, dass sich der Zustand der biologischen Vielfalt in den vergangenen zehn Jahren nicht etwa verbessert, sondern sogar verschlechtert habe. Der Schwund an Arten und Lebensräumen hält laut dem Papier ungebremst an.
Viele deutsche Schutzgebiete sind demnach durch jahrelanges Missmanagement in einem katastrophalen Zustand. Die Meeresschutzgebiete würden durch nicht nachhaltige Fischerei weiterhin ausgebeutet und geplündert, die schädliche Intensivierung der konventionellen Landwirtschaft lasse ganze Landstriche ökologisch veröden. Die Populationen von Insekten und Singvögeln sind in Folge dessen dramatisch eingebrochen. Auch beim Waldschutz hinkt die Bundesregierung der Analyse zufolge hinterher. Ziel ist es, bis 2020 auf gerade einmal fünf Prozent der deutschen Waldflächen eine natürliche Entwicklung zuzulassen. Bisher dürfen sich allerdings nur zwei Prozent der Wälder zu „Urwäldern von morgen“ entwickeln.
Die selbstgesteckten Ziele der Bundesregierung zum Schutz der biologischen Vielfalt in Deutschland können nach einhelliger Einschätzung von BUND, DNR, DUH, NABU und WWF bis 2020 nur noch erreicht werden, wenn massiv umgesteuert wird. Das Papier der Umweltverbände beinhaltet daher auch einen 10-Punkte-Plan mit entsprechenden Sofortmaßnahmen, die ein Scheitern der Strategie abwenden sollen.
BUND-Vorsitzender Hubert Weiger: „Viele deutsche Schutzgebiete sind in einem miserablen Zustand. Der Verlust an Arten und Lebensräumen ist nur noch zu stoppen, wenn Schutzgebiete ausgebaut und Lücken zwischen Naturräumen geschlossen werden. Mindestens 200.000 Hektar naturnahe Lebensräume müssen in den ländlichen Regionen neu geschaffen und vor den Folgen industrieller Landwirtschaft und vor Versiegelung bewahrt werden. Es ist höchste Zeit für einen Bundesnetzplan Biotopverbund.“
DNR-Präsident Kai Niebert: „Was 2007 als Regierungsstrategie vorgestellt und vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, wird lediglich im Bundesumweltministerium ernst genommen. Eine ressortübergreifende Befassung mit den Herausforderungen der biologischen Vielfalt blieb aus. Soll die Strategie nicht scheitern, muss Naturschutz zur Querschnittsaufgabe aller Politikbereiche werden.“
Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer: „Deutschland tritt international als Anwalt der globalen Ökosysteme auf, aber zuhause fehlt schlicht der ernsthafte Wille, wenn es um den Schutz unserer Ökosysteme geht. So fehlen für Nord- und Ostsee selbst in Schutzgebieten klare Vorgaben und Verbote. Null-Nutzungszonen und naturverträgliche Fischerei müssen endlich Realität werden.“
NABU-Präsident Olaf Tschimpke: „Ein Haupttreiber des Artenschwunds in Deutschland ist die industrielle Landwirtschaft. Insekten und Vögeln fehlt die Nahrung, weil kein Platz ist für Hecken, Sträucher und Wildblumen. Die Strukturvielfalt muss erhöht und der Einsatz von Pestiziden massiv gesenkt werden. Wir wollen die Landwirte bei ihrem Engagement unterstützen und für ihre Naturschutzleistungen bezahlen. Pauschale Flächenprämien sollen der Vergangenheit angehören. Voraussetzung dafür ist eine grundlegende Reform der EU-Agrarpolitik.“
Diana Pretzell, Leiterin Naturschutz Deutschland beim WWF: „Die finanzielle Ausstattung ist völlig ungenügend. Auf EU-Ebene muss sich die Bundesregierung für die Einrichtung eines EU-Naturschutzfonds nach 2020 einsetzen. So bräuchten wir allein 1,4 Milliarden Euro jährlich zur Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien nur in Deutschland. Beim Bau und der Unterhaltung von Bundesfernstraßen muss die Bundesregierung Verantwortung übernehmen und mindestens ein Prozent der Investitionen für die Vernetzung der zerschnittenen Lebensräume zur Verfügung stellen. Und der eigentliche Topf der Strategie, das Bundesprogramm biologische Vielfalt, muss auf mindestens 50 Mio. Euro pro Jahr erhöht werden. Nur so hat die Strategie eine Chance, erfolgreich umgesetzt zu werden.“