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Jahresprognose 2013: Erreicht Deutschland die Ziele der „Leitstudie 2010“?

Unter dem Begriff „Energiewende“ wurde von der Bundesregierung eine weitreichende Umstellung der Energiewirtschaft in Angriff genommen. Konkrete Ziele orientieren sich an einer „Leitstudie 2010“, die einen Zeitrahmen bis 2050 umfasst. In diesem Zusammenhang wurden mittelfristig wichtige Teilziele formuliert, z. B. soll der Anteil erneuerbarer Energien (EE) an der Bruttostromerzeugung am Ende des Jahres 2020 mindestens 35% betragen und zwei Jahre später sollen die letzten der derzeit noch stromproduzierenden neun Kernkraftwerke endgültig außer Betrieb genommen werden. Vorliegend wird die Entwicklung der jährlichen Stromerzeugung durch Windenergie- und Photovoltaikanlagen in Deutschland 2010-2013 analysiert und mit den Vorgaben der Leitstudie 2010 verglichen. Wegen des zu erwartenden zusätzlichen Stromerzeugungsbedarfs nach Abschaltung von weiteren Kernkraftwerken zwischen 2015 und 2022 wird ein Neuordnen der Prioritäten bei der Umsetzung der Ziele der Energiewende nahegelegt. Von Sigismund Kobe

Der Stand der Umsetzung der genannten Ziele bis 2011 wurde in einem ersten Monitoring- Bericht der Bundesministerien für Wirtschaft und Technologie sowie für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit „Energie der Zukunft“ [1] analysiert. Dieser Bericht wurde von einer unabhängigen Expertenkommission begutachtet [2].

Datengrundlage

Die diesem Artikel zugrunde liegende Studie bezieht aktuelle Daten bis 10.11.2013 in die Analyse ein. Verwendet wurden Angaben zur Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990–2012 nach Energieträgern (Stand: 14.2.2013) [3] sowie Daten der EEX Strombörse [4], die durch das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg zeitnah ausgewertet werden [5]. Als Kenngröße wird die jährliche Stromerzeugung verwendet. Die Jahresprognose 2013 für die Stromproduktion von Windenergie- und Photovoltaik- Anlagen erfolgt auf der Grundlage von Daten für den Zeitraum vom 1.1.-10.11.2013. Details der Datenanalyse werden diskutiert.

In der Abbildung sind die Energiedaten für die Gesamtproduktion von Windstrom, der Offshore-Anteil von Windstrom sowie die Stromerzeugung durch Photovoltaikanlagen für die Jahre 2010-2013 den entsprechenden Daten gemäß den Szenarien der Leitstudie [6] (Tab. 10-7, S. 191f.) für die Jahre 2010-2023 gegenübergestellt. Weiterhin ist der zusätzliche Bedarf an grundlastfähigem Strom aufgrund des geplanten Abschaltens von neun Kernkraftwerken bis 2022 angegeben (Daten gemäß [7]).

Erreichbarkeit der Erneuerbaren-Ziele

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine detaillierte Mittelfristprognose zum 31.12.2020 nicht möglich. Jedoch ist absehbar, dass – insbesondere durch den Rückstand bei Offshore-Windenergieanlagen – der Wert von 108 TWh Windstrom nicht mehr erreicht werden kann. Im Gegensatz dazu liegen die Planziele für Photovoltaik-Strom (43,9 TWh) im realisierbaren Bereich, obwohl voraussichtlich nach Erreichen des Deckelungswertes von 52 GW für die Photovoltaik- Förderung etwa im Jahre 2017

der weitere Anstieg etwas flacher ausfallen wird.

Auch unter der optimistischen Annahme, dass die Anteile der Stromerzeugung mittels Biomasse (49,5 TWh) und Wasserkraft (22,2 TWh) sich so entwickeln, wie in den Szenarien der Leitstudie vorgesehen, kann man aufgrund der vorliegenden Daten einen Anteil der EE an der Bruttostromerzeugung von höchstens 30–32 % im Jahre 2020 erwarten. In den Szenarien der Leitstudie nimmt die Stromerzeugung durch Windenergie eine herausgehobene Stellung ein. 2020 soll deren Anteil an der Stromerzeugung durch EE 48 % betragen, eine Steigerung auf 51 % im Jahre 2030 ist vorgesehen. Es ist zu beachten, dass bei Nichterreichen dieser Zielwerte für Windstrom eine Kompensation durch andere EE-Träger nicht möglich sein wird.

Ein Ersatz durch Biomasse muss verworfen werden, da diese Energieform nicht zu den „erneuerbaren Energien“ im engeren Sinne gehört: Im Gegensatz zu Wind, Sonne und Wasser steht Biomasse nicht unmittelbar am Generator zur Verfügung, sondern muss unter nicht unerheblichem Einsatz von nicht-erneuerbaren Energieträgern – zumeist fossilen Ursprungs wie Benzin und Diesel – z. B. auf landwirtschaftlichen

Nutzflächen erzeugt und dann transportiert werden. Biomasse macht zur Zeit 26 % der EE-Anteile für die Stromproduktion aus.

Größtes Problem: Begrenzte Speichermöglichkeiten

Das größte Problem besteht jedoch nicht in dem summarischen Beitrag der EE an der Stromerzeugung, sondern betrifft die voraussichtlich auch 2020 noch nicht vorhandenen Möglichkeit, diesen Strom in ausreichender Menge zu speichern. Es ist noch offen, ob es gelingt, chemische Verfahren der Stromspeicherung bis zu diesem Zeitpunkt großtechnisch umzusetzen. Nach dem Wegfall von drei Kernkraftwerken ist es erforderlich, Speicherkapazitäten in beträchtlichem Umfang für wind- und sonnenarme Perioden vorzuhalten. Diese müssen außerdem mit einer Leistung von bis zu 4 GW abrufbar sein. Ansonsten wäre man gezwungen, extra für solche Fälle auf fossile Energieträger zurückzugreifen.

Eine derart hohe Speicherkapazität entspricht etwa der von vier Pumpspeicherwerken in der Größe des größten derzeit in Deutschland vorhandenen Werkes (Standort: Goldisthal; elektrische Leistung: 1,06 GW, Speicherkapazität: 8,4 GWh). Diese wären nach acht Stunden erschöpft. Aus dem Kurvenverlauf ist zu erkennen, dass zwischen 2021 und 2023 zusätzlich noch einmal das Doppelte dieses Bedarfs – und damit insgesamt auch eine Leistung von bis zu 12 GW – ständig verfügbar sein muss, um die bis 2022 weggefallenen Kapazitäten weiterer sechs Kernkraftwerke zu kompensieren.

Da bei jeder Form von Speicherung auch die Zeiten für die Ladezyklen mit berücksichtigt werden müssen, erweist sich die Forderung nach ständiger Verfügbarkeit als begrenzender Faktor bei der Umsetzung der in der Leitstudie [6] formulierten Ziele. Der quantitative Aspekt des Speicherbedarfs wird in anderen Szenarien, z. B. in der Mittelfristprognose im Auftrag der Netzbetreiber vom November 2012 [8], nicht berücksichtigt.

Neuordnung der Prioritäten notwendig

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass durch die Analyse aktueller Kenngrößen wie „jährliche Stromproduktion“ und „Speicherbedarf“ ein Neuordnen der Prioritäten bei der Umsetzung der Ziele der Energiewende nahegelegt wird.

Quelle

Prof. S. Kobe 2013 Institut für Theoretische Physik | TU DresdenErstveröffentlichungENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 63. Jg. (2013) Heft 12 | S. 55

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