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pixabay.com | OpenClipartVectors | Die Kurdistan Flagge ist gleichzeitig auch das Emblem der Peschmerga

© pixabay.com | OpenClipartVectors | Die Kurdistan Flagge ist gleichzeitig auch das Emblem der Peschmerga

Kein größeres Grauen als Sindschar zu sehen

Zu einem Besuch im von den Peschmergas befreiten Sindschar Gebirge. Von Rupert Neudeck

Manchmal ist der Weg zu einem spannenden Ziel auch schon dramatisch. Wir sind auf dem Wege in die sensationeller Weise wieder befreite große Stadt Sindschar im Nordirak. Nach Mosul wütete die IS-Barbarei ganz besonders heftig in der Stadt Sindschar wie im darum liegenden Gebirge. Die Stadt gilt als heimliche Hauptstadt der Jesiden und wurde von den Bewohnern unter Anwendung äußerster Brutalität entvölkert. Wir waren nun auf dem Weg dorthin, weil es am 13. November nach langen Kämpfen den Peschmergas gelungen war, die IS vernichtend zu schlagen und in die Flucht zu treiben. Es wurde uns gesagt, dass die Fahrt von Zumar nach Sindschar immer noch gefährlich sei, wir dachten an Hiterhalte und evtl. Scharmützel in der Nähe. Aber das genaue Gegenteil war der Fall.

Die Peschmergas der kurdischen Autonomiebehörde haben das ganze Gebiet in und um Sindschar total unter Kontrolle. Ich hatte mir auf dem Weg nach Sindschar die Mühe gemacht, alle Stützpunkte zu zählen, die die Strecke von ca. 100 km ausmachte. Es waren insgesamt 42 solcher Stützpunkte und Befestigungen, mit denen die kurdische Armee das gesamte Gebiet unter seiner Beobachtung und Kontrolle hat. Der Besucher fühlt sich in keinem Moment beunruhigt oder verängstigt. Wir kommen in die Stadt Sindschar hinein.

Die Stadt wurde von der irakischen Verfassung so belassen, dass erst ein Referendum dazu führen darf, dass die Stadt zum Gebiet des autonomen Kurdenstaates gehören wird.  Der Ausgang eines solchen Referendums kann nach den Ereignissen der letzten drei Jahre nicht mehr zweifelhaft sein.

Ich habe nun schon viele massive Stadtzerstörungen erlebt, aber etwas so Totales an mutwilliger Zerstörung habe ich noch nie gesehen. Mir fiel im Auto die Szene bei den ersten Straßenzügen ein, die Joseph Conrad in seiner Kongo Novelle „Das Herz der Finsternis“ beschreibt:  „Ich sah düsteren Stolz. Erbarmungslose Gewalt, blutigen Schrecken auf dem Gesicht aus Elfenbeintiefe und hoffnungsloser Verzweiflung. Flüsternd schrie er etwas irgendeinem Bild entgegen, einer Vision – er schrie zweimal nicht lauter als sein Atmen: Das Grauen! das Grauen!“

So ähnlich entfuhr es mir, als wir durch die Straßen einer total misshandelten zivilen Großstadt gingen. Alles war zerstört, nichts war mehr aufeinander. Das, was das Zusammenleben von Menschen, Generationen, Familien, Großfamilien im dem Verbunde einer solchen Stadt ausmacht, war total zerstört. Es war das Grauen.

Den früheren Generationen war der Horror im „Herzen der Finsternis“ lokalisiert in den unendlichen Urwäldern des Kongo. Joseph Conrad schrieb als polnisch-britisch-kolonialer Autor die Parabel, die alle bis zu Peter Scholl-Latour über alle Maßen beeinflusste. Nun aber gibt es den Horror oder das Grauen schon in erreichbarer Nähe, im Nahen Osten, in Syrien und im Irak. Wer wie ich in diesen Tagen die Stadt Sindschar gesehen hat, wird das Ausmaß des irrsinnigen Horrors nicht mehr vergessen können, den eine Truppe veranstalten kann, für die alle Begriffe fehlen, für die jede Zuordnung nicht mehr stimmt.

Der Besucher der von den Peschmergas am 13. November 2015 eroberten Stadt kann am Ende auch nur fassungslos herausgehen mit den geflüsterten Worten: „Der Horror“. Das Teuflische ist nicht nur die Zerstörung der Häuser und der Infrastruktur, das Teuflischere ist die Auswahl der Häuser und Gebäude, die Arabern gehören, wobei ich vermeide, das ehrwürdige Wort Moslems hier in den Mund zu nehmen, weil ich nicht weiß, ob man dem Verbrecher-Macht-Syndikat damit  nicht einen zu großen Gefallen tut. Einige Bewohner, die uns beim Gang durch die total zerstörte Stadt begleiten, kündigen an, dass man die Moscheen zerstören wird, wenn die Peschmergas aus der Stadt sind. Rache oder Revanche ist ein menschliches Bedürfnis, das nicht immer sublimiert werden kann. Hier kann nur noch durch ein starkes Wort von Massud Barzani solcher Ausbruch von Hass verhindert werden.

Wir werden vom sehr diplomatisch-klugen Bürgermeister der Stadt, Mohammad Khalil, herumgeführt, es sind Szenen, die ich noch nirgendwo gesehen habe. Die wenigen Häuser von Arabern und einige Moscheen blieben stehen im endlosen Raum der Verwüstung. Welche irrsinnigen Anstrengungen diese Verbrecher machen mussten, um die Geburtsklinik nicht einfach in den Boden zu stampfen, sondern sie durch Plünderung und Vandalisierung nicht mehr gebrauchsfähig zu machen. Wir stehen vor einem anderen Hospital, das Erziehungsministerium hatte hier seinen Platz, auch da ist alles zerstört und geplündert worden. Dazwischen gibt es den schmalen Turm einer Moschee, die in diesem in die Unendlichkeit menschlicher Schmerzen ausgegossenen Trümmerfeld kerzengerade-unangetastet liegt. Das schafft wüste Hassgefühle in den Menschen, die hier zurückkommen und noch zurückkommen werden.

Die allerersten Bürger Sindschars kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Aber es werden mehr kommen, denn Sindschar ist die heimliche Hauptstadt der Jesiden gewesen und sie wird es  wieder werden. Der Bürgermeister, der in einem Gross-Zelt residiert, denn das eigene Rathaus ist ebenfalls noch total zerstört, empfängt jetzt Delegationen und Journalisten, die sich hierher aufmachen. Die Stadt bietet das Grauen der Verwüstung. Wer immer später mal wissen will, was dieser IS gewesen ist, der wird hoffentlich einen Fernsehfilm sehen können, den es aber noch nicht gibt.

Zu tun ist in der Stadt und im Umfeld von Sindschar so viel, dass sich eine Geber- und Gönner-Konferenz anbieten würde. Man muss erst die Minen räumen, damit haben eigene Abteilungen der Peschmergas schon begonnen. Dann muss der ganze Zerstörungsschutt beiseite geräumt werden, wobei man sicher unter den Trümmern noch die eine und andere Leiche hervorziehen wird. Ich spürte ein wenig von dem nie zu vergessenden Ruanda-Leichengeruch, dem süßlichen, der über einigen Straßenzügen lag.

Hier versteht man, wenn man sagt, die Muslimische Welt muss noch viel empörter, emotionaler und theologisch klarer werden. Es muss eine Form in der islamischen Theologie gefunden werden, diesen Banditen und Verbrechern den Namen des Muslims und die Berufung auf den Islam zu nehmen. Wie das in der Katholischen Kirche immer wieder mal möglich war, in dem man jemanden ausschloss aus der Gemeinschaft der Betenden.  Das wäre ein Wunsch der gesamten Menschheit, wenn wir so weit wären, dass der schaurige Titel IS oder ISIS nicht mehr gehen wird. Ob die führende ismalische Welttheologiehochschule Al Azhar dazu die Kraft hat?

Grünhelme | Rupert Neudeck - Schulprojekt in Kani SheerinGrünhelme
Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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