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Konzept für dezentrale Energiewende: „Ich mache mit, muss aber nichts machen“

Das von der Hochschule Rhein-Main entwickelte Energiebroker-Konzept will für Haushalte eine niedrigschwellige Energiewende ermöglichen. Weitgehend automatisiert sollen auch kleinste Strommengen gehandelt und damit Erzeugung und Verbrauch von „unten“ her ausgeglichen werden.

Könnte so die Energiewende 3.0 aussehen? Zu Hause angekommen, wird das E-Auto an der eigenen oder öffentlichen Ladestation eingestöpselt, den „Rest“  – welcher Ökostrom von welchem wohnortnahen Anbieter wann eingekauft oder auch wieder in Netz abgegeben wird – regelt das Fahrzeug mit der Ladesäule – und einem „Energiebroker“.

Diese virtuelle Plattform ist so programmiert, dass sich der Haushalt oder die Mietergemeinschaft so weit wie möglich selbst versorgt – vor allem mit eigenem Solarstrom vom Dach oder Gebäude. Die Verbraucher im Haus oder im Quartier sind flexibel in die Plattform eingebunden. Die E-Fahrzeuge dienen dabei auch als Batteriespeicher, als eine Art Ausgleichspuffer zwischen Erzeugung und Verbrauch.

Einen „zellularen Ansatz“ nennt das Heinz Werntges, Informatik-Professor an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden. Jede Zelle der Gesellschaft – und die kleinste ist ein Haushalt – soll versuchen, die Strombilanz auszugleichen und nur das zu „importieren“, was fehlt, sowie nur das zu „exportieren“, was übrig bleibt.

Dieses Prinzip lasse sich dann auf höherer Stufe ebenso anwenden für Straßenzüge, Quartiere und ganze Ortschaften, malte Werntges das unter seiner Leitung entwickelte Konzept kürzlich bei einer Online-Debatte des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt am Main zu smarten Energiesystemen aus.

Anzuschauen und auszuprobieren ist der „Energiebroker“ oder, wie es im Fachdeutsch heißt, die automatisierte Direktvermarktung kleiner Mengen erneuerbarer Energien, auf der Website der Hochschule zum Projekt „Impact“.

Werntges‘ Team hat dort eine interaktive Simulation eingerichtet. Je nachdem, wie die Parameter des „Brokers“ eingestellt werden, lassen sich die Energie- und Finanzströme beeinflussen. „Impact“ widmet sich den Themen Smart Energy, Smart Home und Smart Mobility und wird als eines von insgesamt 29 Vorhaben im Rahmen des Programms Innovative Hochschule vom Bundesforschungsministerium gefördert.

Private Verbrauchsdaten bleiben privat

Selbst zum Stromerzeuger und -händler zu werden und sich damit auch ein smartes Klimagewissen zu verschaffen, das bietet inzwischen schon eine unübersehbare Schar neuer wie alteingesessener Energieversorger an. Das Neue und Besondere am „Energiebroker“ ist: Er soll ohne viel neue und teure Technik auskommen.

Ein Smart Meter, ein intelligenter Stromzähler, sei zwar nötig, sagte Werntges – aber ohne das sonst übliche Gateway, das private Verbrauchsdaten an den jeweiligen Betreiber der Messstelle übermittelt.

Stattdessen sollen die Daten im Haushalt bleiben und in einen Steuerungsrechner, den eigentlichen „Broker“, fließen. Die nötige Rechenpower lasse sich zum Beispiel problemlos in einen handelsüblichen Wlan-Router „huckepack“ integrieren, meinte Werntges. Am schwierigsten sei es dabei noch, an die Messdaten der Zähler zu kommen.

Sollte das aber künftig klappen, könnte es ein wirklich niedrigschwelliges Angebot für die eigene Energiewende geben. Der „Broker“ kann dem Informatiker zufolge nicht nur kleinste Strommengen handeln, er kennt auch den Wetterbericht und weiß, wann Wolken das solare Stromangebot verringern könnten. Unmerklich im Hintergrund sollen auch die Abrechnungen mit dem Netzbetreiber und zuständigen Ämtern erledigt werden.

„Ich mache mit, muss aber nichts machen“, brachte Werntges den Reiz des „Energiebrokers“ für Leute auf den Punkt, die sich für die Energiewende einsetzen wollen, aber weder Zeit noch genügend Interesse haben, sich mit der üblichen, meist wenig smarten Technik auseinanderzusetzen.

Der geringe Aufwand für den „Broker“ macht es dabei auch für Durchschnittshaushalte attraktiv, ihr Verbrauchsverhalten zu ändern. Verhalte man sich entsprechend „netzdienlich“, werde am Ende auch ein finanzieller Anreiz übrig bleiben, gab sich Werntges sicher.

E-Autos sind der „Schatz“

Am Ende könne durch den „Energiebroker“ ein „geschicktes Schwarmverhalten“ entstehen, und das ganz ohne zentrale Kontrollen und Auflagen. Allerdings reicht es aus Werntges‘ Sicht nicht aus, dass der „Schwarm“ nur die Waschmaschinen zur günstigsten Zeit an- oder abstellt. „Der wirklich dicke Brocken kommt erst, wenn Deutschland seinen Fuhrpark umgestellt hat und etwa 40 Millionen batterieelektrische Autos unterwegs sind.“

Für seine „zellulare“ Lösung stellten die Akkus der Fahrzeuge einen „enormen Schatz“ dar, meinte der Professor. Dazu müsse man es hinbekommen, die E-Autos nicht nur als Verbraucher, sondern auch als Einspeiser ins Stromnetz zu integrieren. „Das übliche Auto steht 22 Stunden am Tag herum, das hat die Zeit dazu“, sagte Werntges in der Debatte.

Auch ihm ist klar, dass ein Land wie Deutschland am Ende nicht völlig ohne große Energiespeicher und auch wasserstoffbetriebene Backup-Kraftwerke klimaneutral werden kann. Ein automatisierter dezentraler Ansatz sei aber der kostengünstigste und helfe auch, die Netze nicht übermäßig zu strapazieren.

Um seine Idee weiterzuentwickeln, sucht das Energiebroker-Team jetzt übrigens Solar-Haushalte, die für einen Feldversuch ihre Ertrags- und Verbrauchsdaten zur Verfügung stellen. Vielleicht hat ja jemand Interesse, bei der Energiewende 3.0. schon jetzt mitzumachen.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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