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© Depositphotos.com | africa | Der Krieg in der Ukraine macht die Nahrungsmittelhilfe noch prekärer. Für den weltweiter Nahrungsmittelmarkt ist der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine verheerend.

Krieg: Es droht eine weltweite Nahrungsmittelkrise

Es gibt nichts Vergleichbares seit dem Zweiten Weltkrieg“, warnt der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms der Uno.

Fehlendes Getreide und fehlende Düngemittel führen zu katastrophalen Folgen. Das zeigt eine Recherche der «New York Times».

Für die Ernährung der Welt sind Russland und die Ukraine von entscheidender Bedeutung. Über die letzten fünf Jahre stammten nahezu ein Drittel des Weizens und der Gerste aus diesen beiden Ländern. Dazu kommen 17 Prozent des Maises und drei Viertel des Sonnenblumenöls.

Nun stecken grosse Mengen des weltweit angebauten Weizens und der anderen Nutzpflanzen in beiden Ländern fest. Auch dringend benötigte Düngemittel kommen nicht über die Grenzen. Die Marktpreise sind entsprechend explodiert. Seit der Invasion stiegen die Weizenpreise um 21 Prozent, Gerste wurde um 33 Prozent teurer und bestimmte Düngemittel um 40 Prozent. Dabei war die Lage aufgrund der Pandemie, wegen hohen Energiekosten, Dürren, Überschwemmungen und Feuer schon vorher angespannt.

Preise für Nahrungsmittel, Dünger, Öl, Gas, selbst für Metalle wie Aluminium, Nickel und Palladium steigen stark – und Expertinnen erwarten noch Schlimmeres. David M. Beasly, Exekutivdirektor des Uno-Welternährungsprogramms, das täglich 125 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt, erklärte der «New York Times»: «Was in der Ukraine passiert, ist eine Katastrophe innerhalb einer Katastrophe. Es gibt nichts Vergleichbares seit dem zweiten Weltkrieg.»

Ukrainische Bauern verpassen die Anpflanzsaison. Europäische Düngemittelproduzenten verringern die Produktion wegen der hohen Energiepreise. Bauern von Brasilien bis Texas setzen weniger des teuren und knapp geworden Düngers ein. Das wird die Ernten zusätzlich verringern.

China erwartet wegen schweren Überschwemmungen im letzten Jahr die schlimmste Weizenernte seit Jahrzehnten. Das Land will sich deshalb einen weit grösseren Anteil am weltweit schwindenden Angebot sichern. Und Indien, das normalerweise einen kleinen Anteil exportiert, sieht sich mit dreimal mehr ausländischen Anfragen konfrontiert als letztes Jahr.

Das alles wird rund um die Welt zu steigenden Lebensmittelpreisen führen. Im Februar lagen die Preise schon 8,6 Prozent höher als im Jahr zuvor – der grösste Anstieg in 40 Jahren. Ökonomen erwarten, dass der Krieg die Preise noch weiter in die Höhe treibt.

Ärmere Länder haben das Nachsehen

Viele Länder werden es schwer haben, genügend Nahrungsmittel zu beschaffen. Armenien, die Mongolei, Kasachstan und Eritrea importieren praktisch ihren ganzen Weizen aus Russland und der Ukraine. Sie müssen neue Quellen erschliessen. Aber auf dem Weltmarkt stehen sie weit finanzkräftigeren Käufern gegenüber, wie der Türkei, Ägypten, Bangladesch und Iran, die über 60 Prozent ihres Weizens aus den Kriegsländern beschaffen. Und alle bieten sie gegen China, den weltgrössten Konsumenten von Weizen. Am 5. März hatte China bekanntgegeben, dass schwere Überschwemmungen im letzten Jahr die Aussaat etwa eines Drittels verzögert hätten und die zu erwartende Ernte schlecht ausfalle. Der chinesische Landwirtschaftsminister Tang Renjian sprach von der «schlimmsten Situation in der Geschichte».

Hunger und politische Konflikte nehmen zu

Steigende Nahrungsmittelpreise haben immer wieder zu sozialen und politischen Unruhen in armen Ländern geführt. Viele subventionieren Grundnahrungsmittel wie Brot, um soziale und politische Unruhen zu vermeiden. Allerdings wird es bei immer knapperen Budgets immer schwieriger.

Tunesien konnte schon vor dem Krieg kaum für Nahrungsmittelimporte bezahlen und versucht jetzt, einen Wirtschaftskollaps zu vermeiden. Der Demokratie in Tunesien, die gegenwärtig vom Präsidenten suspendiert ist, riskiert eine unruhige Zukunft. 

In Marokko führte die Inflation bereits zu Protesten und im Sudan zu neuen Konflikten. 

In Kriegsgebieten wie Jemen, Syrien, Südsudan und Äthiopien drohen noch schwerere Hungersnöte. 

In Afghanistan melden Hilfswerke, dass der Krieg in der Ukraine die humanitäre Krise verschärft. Es wird noch schwieriger, die rund 23 Millionen Menschen zu ernähren. Etwa die Hälfte der Bevölkerung hat schon heute nicht genug zu essen.

Düstere Aussichten

Für den weltweiter Nahrungsmittelmarkt ist der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine verheerend. In Russland verhindern die Sanktionen die Ausfuhr von Nahrungsmitteln, in der Ukraine ist es die Blockade des Schwarzen Meeres. Die nächste Ernte ist in Gefahr. Ukrainische Farmen haben keinen Treibstoff mehr, weil das Militär das Benzin beansprucht. Ohne Treibstoff kann weder grossflächig gepflanzt, noch geerntet werden. Die Uno schätzt, dass etwa ein Drittel des Landwirtschaftslandes in der Ukraine Kriegsgebiet werden könnte. Wenn die Bevölkerung flüchtet oder im Krieg eingesetzt wird, bleibt niemand, um die Felder zu bewirtschaften.

Weizen aus Russland und Ukraine kann nicht so einfach ersetzt werden. Die Vorräte in den USA und Kanada schwinden, Argentinien schränkt die Exporte ein und Australien kann keine grösseren Mengen liefern. 

Weniger Düngemittel führen zu längerfristigen Folgen

Die Düngerkrise wird die Situation am Nahrungsmittelmarkt noch weit in die Zukunft hinein verschärfen. Russland ist mit 15 Prozent Anteil der weltgrösste Exporteur von Düngemitteln. Zu Beginn der Pflanzsaison hat Russland alle Exporte von Düngemitteln verboten. Viele Düngemittel werden mit teurer gewordenem Erdgas hergestellt. Innerhalb eines Jahres haben sich die Preise für Düngemittel verdoppelt oder verdreifacht. Europäische Düngelmittelproduzenten erklärten, ihre Produktion wegen steigender Energiepreise zurückzufahren. Das berichtet die New York Times.

Millionen Hungernde wegen fehlendem Dünger aus Russland und Weissrussland?

Brasilien ist der weltweit grösste Soja-Produzent. Das Land bezieht rund die Hälfte des Düngers aus Russland und Weissrussland. Die Vorräte dürften noch für drei Monate reichen. Dabei wird die Ernte wegen anhaltender Dürre ohnehin gering ausfallen. Antonio Galvan, Präsident der Vereinigung von Sojabohnenanbauern, kritisiert die internationalen Sanktionen: «Sie verhindern, dass Dünger zu den Produzenten gelangt. Wie viele Millionen werden deshalb an Hunger sterben?»

Tatsächlich könnten alle diese Faktoren jene Länder und Menschen, die jetzt schon am Rande stehen, in den Abgrund stossen. Nachdem die weltweite Zahl der Hungernden über die letzten fünf Jahre etwa gleichgeblieben ist, stieg sie während der Pandemie um rund 18 Prozent an. Zwischen 720 und 811 Millionen Menschen sind betroffen. Die Uno befürchtet, aufgrund der Kriegsfolgen könnten diese Zahlen um bis zu 13 Millionen zunehmen.

Die Kosten des Uno-Welternährungsprogramms sind bereits um 71 Millionen US-Dollar gestiegen – monatlich. David Beasly, Exekutivdirektor des Uno-Welternährungsprogramms: «Wir werden den Hungernden Essen wegnehmen, um es Verhungernden zu geben.»

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „INFOsperber.ch“ (Christa Dettwiler) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! 

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