Postwachstumsökonom Niko Paech: “So sparen wir Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen.”
Prof. Dr. Niko Paech ist einer der bekanntesten Vertreter der Wachstumsrücknahme und der Postwachstumsökonomie.
Als außerplanmäßiger Professor forscht und lehrt er am Lehrstuhl Produktion und Umwelt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Er ist zudem Autor des Buchs Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie und im Vorstand der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ).
Christof Herrmann: Wie erklären Sie jemanden, der von Postwachstumsökonomie noch nie etwas gehört hat, dieses Wirtschaftssystem?
Niko Paech: Das kann ich hier nur skizzieren. Grob vereinfacht sind zwei Stoßrichtungen vonnöten. Erstens ein Zeitalter der Entrümpelung, also eine Suffizienzbewegung, und zweitens eine neue Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung, also mehr Subsistenz. Suffizienz kehrt das moderne Steigerungsprinzip ins Gegenteil um: Kreative Reduktion als Gestaltungsprinzip. Wir könnten viele Energiesklaven, Komfortkrücken und Infrastrukturen ausfindig machen, die wir gar nicht nötig haben – ganz gleich ob elektrisches Küchengerät, Wellness-Rezeptur, Flugreise oder Tiefseehafen. So sparen wir Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen. Weg mit dem Wohlstandsschrott, der nur unser Leben verstopft! Der zweite Ansatzpunkt, die Subsistenz, zielt darauf ab, unabhängiger von geldbasierter Fremdversorgung zu werden. Eigenarbeit ist angesagt! Wer durch handwerkliche und manuelle Versorgungsleistungen unentgeltlich produktiv ist, und zwar sowohl für sich selbst als auch für sein nahes soziales Umfeld, schlägt drei Fliegen mit einer Klappe: Erstens ist es der beste Selbstschutz gegenüber der zukünftigen Ressourcenknappheit, die das aktuelle Wohlstandsmodell unbezahlbar machen. Zweitens schützen wir direkt die Umwelt. Und drittens mildern wir strukturell Wachstumszwänge, die einem geldbasierten, arbeitsteiligen Industriemodell innewohnen.
Christof Herrmann: Welche Probleme und Krisenszenarien werden auf uns zukommen, wenn wir weiter auf Wirtschaftswachstum setzen?
Niko Paech: Absehbar sind historisch einmalige Ressourcenengpässe. Soziale und politische Krisen sind durch die globale Verbreitung des nordwestlichen Konsummodells prädestiniert und finden längst statt. Auch Finanzkrisen können das Wachstumsmodell zum Einsturz bringen. Psychische Krisen lassen sich an der Zunahme von Depressionen, Burnout, ADS und digitaler Demenz ablesen, denn nach Erreichen eines bestimmten Wohlstandsniveaus sorgt weiteres Einkommenswachstum nicht für mehr Glück, sondern für Reizüberflutung und Orientierungslosigkeit. Außerdem ist Wirtschaftswachstum, egal ob mit oder ohne grünen Anstrich, niemals zum ökologischen Nulltarif zu haben.
Christof Herrmann: Die Selbstbegrenzung ist also der Ausweg aus dem Schlamassel.
Niko Paech: Mindestens zwei Maxime der Selbstbegrenzung wären sinnvoll. Zum einen sollten wir uns an folgender Frage orientieren: Was steht dem Individuum im 21. Jahrhundert an materiellen Freiheiten zu, ohne über seine ökologischen und damit zwangsläufig sozialen Verhältnisse zu leben? Zum anderen müssen wir Suffizienz als Selbstschutz vor Erschöpfung und Reizüberflutung begreifen. Nur dann werden wir uns wieder auf jene konsumbasierten Objekte und Verrichtungen beschränken, die angesichts knapper Aufmerksamkeit und Zeit überhaupt sinnvoll ausgeschöpft werden können.
Christof Herrmann: Suffizienz bedeutet ja nichts anderes als eine minimalistische Lebensweise. Auf Konsum zu verzichten, Ballast abzuwerfen und das Leben zu entschleunigen, empfinden die meisten Menschen als befreiend und macht sie zufriedener. Ist dieser psychische Gewinn durch Suffizienz Teil Ihrer Forschung?
Niko Paech: Und ob! Eine zeitökonomische Theorie des Konsums, an der ich arbeite, zeigt uns: Menschen können nicht stressfrei konsumieren, wenn ihnen die mindestens notwendige Zeit und Aufmerksamkeit fehlen, die man den Dingen widmen muss. Zeit ist mittlerweile eine knappe Ressource, die zum Engpassfaktor für das glücksuchende Subjekt geworden ist. Und Multitasking funktioniert nicht, denn mit mehr als zwei Dingen gleichzeitig können wir uns nicht beschäftigen. In einer Wachstumsökonomie versinken wir in der Flut an Möglichkeiten, die wir nicht mehr glückstiftend verarbeiten können. Besser wäre es also, sich auf wenige Dinge zu konzentrieren. Reduktion wird damit zum Selbstschutz. Wir sind doch längst überfordert und erschöpft. Eine Studie hat ergeben, dass ein Bundesbürger durchschnittlich 10.000 Dinge besitzt. Dienstleistungen kommen noch hinzu. Wie sollen wir das verarbeiten, wenn einerseits jedes Ding seine Zeit verlangt, der Tag aber andererseits nur 24 Stunden hat? Reduktion heißt, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Das hat nichts mit Verzicht zu tun, sondern wertet die nach der Entrümpelung verbliebenen Optionen ja sogar auf.
Christof Herrmann: Auch für mehr Subsistenz gibt es bereits zahlreiche Beispiele in der Praxis. Ich denke da an Gemeinschaftsgärten, Regionalwährungen, urbane Landwirtschaft, Tauschkreise, Open Source Projekte, Repair Cafes und DIY. Was muss passieren, dass sich diese Konzepte etablieren?
Niko Paech: Subsistenz bedeutet, dass wir in Gemeinschaft und in lokaler Arbeitsteilung einen Großteil der Dinge, die wir zum Leben brauchen, selbst herstellen und erhalten. Ich halte es zwar für unmöglich, dass wir aus unserer Industriegesellschaft gänzlich aussteigen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir wieder viel stärker in regionalen und lokalen Kreislaufzusammenhängen leben und arbeiten könnten. In drei Bereichen könnten wir Selbstversorgungsleistungen erbringen: Eigenproduktion, Gemeinschaftsnutzung und Nutzungsdauerverlängerung durch Reparatur.
Christof Herrmann: Sie schlagen eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 20 Stunden vor. Welche Vorteile sehen Sie darin und was würden wir in der gewonnenen freien Zeit machen?
Niko Paech: Wenn wir nach einem etwa fünfzigprozentigen Rückbau des Industriesystems die dann noch produktionsbedingt nötige Erwerbsarbeitszeit gerecht verteilen, würde nicht nur Arbeitslosigkeit vermieden, sondern eine fairere Einkommensverteilung möglich werden. Die freigesetzten 20 Stunden können im entkommerzialisierten Subsistenz-Bereich als Ressource genutzt werden. Denn ohne eigene Zeit sind die drei von mir eben erwähnten Formen der Selbstversorgung undenkbar. Zeit ist die Ressource, welche benötigt wird, wenn ich anstelle des Kaufs eines Brotes selbst eines backe oder anstelle der Neuanschaffung eines Möbels das alte Exemplar repariere. Zeit ersetzt Geld, Rohöl und Industrieproduktion.
Christof Herrmann: Politik und Wirtschaft scheinen wenig Interesse an einem Umdenken zu haben. Aber wollen wir Bürger denn überhaupt “schon” den Wandel oder braucht es erst weitere Finanzkrisen, Energiepreissteigerungen und Naturkatastrophen?
Niko Paech: Insoweit die Konzeption der Postwachstumsökonomie bescheidenere und subsistentere Versorgungsmuster voraussetzt, verortet sie sich diametral zum Komfort-Code. Daraus ergeben sich anspruchsvolle Erfordernisse an einen Wandel von Lebensstilen und Alltagspraktiken. Die resultierende Situation meistern zu können, ist keine Frage der Einsicht, des Wollens oder der bekundeten Akzeptanz, sondern der substanziellen Befähigung. Diese Befähigung wurde auf dem Weg in einen alles umfassenden Konsumismus systematisch verlernt. Wenn aber klar ist, dass eine Wirtschaft ohne Wachstum die Aufrechterhaltung des Konsummodells ausschließt, beschwört die Transformation abschreckende Überforderungen herauf. Politisch anschlussfähig können daher nur Lösungen sein, die etwas Zusätzliches eröffnen, die höher, schneller oder größer sind. Diese Strategie ist kulturell anschlussfähig, weil sie verspricht, dass sich niemand ändern muss. Aber sie führt ins Desaster, ganz gleich ob mit oder ohne grünen Anstrich. Wege aus der Pattsituation beginnen nicht im Inneren des stahlharten Politikgehäuses, das von der Angst ummantelt ist, die Wähler durch unbequeme Wahrheiten zu ängstigen. Nur wenn Krisen – “Peak Everything”, Klimawandel, Fukushima II, Finanzchaos, psychische Überforderung – es erzwingen oder die eigenständige Verbreitung einer de-globalisierten und partiell de-industrialisierten Lebenskunst sichtbar wird, könnten politische Akteure den Mut gewinnen, sich auf eine Postwachstumsökonomie einzulassen. In überentwickelten Konsumgesellschaften agiert die Politik nicht, sondern reagiert. Sie eilt einem nötigen Kulturwandel zum Weniger niemals voraus, sondern bestenfalls in sicherem Abstand hinterher. Und weil sie sich darin seit 40 Jahren übt, ist sie an allen Abzweigungen in Richtung Nachhaltigkeit vorbeigerauscht. Jetzt geht es nicht mehr um die Vermeidung des Kollapses, sondern um seine Gestaltung.
Christof Herrmann: Der durchschnittliche CO₂-Fußabdruck eines Deutschen liegt bei etwa 11 Tonnen CO₂-Äquivalenten pro Jahr, der weltweite Durchschnitt beträgt 6,8 Tonnen. Der für das Klima noch verträgliche Ausstoß liegt aber nur bei etwa 2,5 Tonnen CO₂-Äquivalenten pro Kopf und Jahr. Diesen Wert in absehbarer Zeit zu erreichen, scheint fast aussichtslos. Wie motivieren Sie sich persönlich, sich weiter für den Wandel zu engagieren?
Niko Paech: In meiner letzten Monographie habe ich die Kategorie des aufgeklärten Glücks ins Gespräch gebracht. Darunter verstehe ich, eine Glück stiftende Lebenskunst innerhalb eines verantwortbaren, nicht hemmungslos entgrenzten Handlungsrahmens zu praktizieren. Wer nicht über seine ökologischen Verhältnisse lebt, sondern ein kerosinfreies und auch sonst plünderungsfreies Glück genießt, muss nicht ständig neue Ausreden erfinden. Wie viel Selbstbetrug ist nötig, um mit Dingen glücklich zu werden, von denen ich wissen kann, dass ich sie – gemessen an meinem Bewusstsein für globales Wohlergehen – nie verantworten könnte? Ist Glück, das nicht ehrlich sein kann, weil es das Aushalten oder Verdrängen von ständig neuen Widersprüchen abverlangt, nicht ein Ding der Unmöglichkeit? Demnach würde aufgeklärtes Glück voraussetzen, nicht nur zu genießen, sondern dabei mit sich selbst im Reinen zu sein. Genau das ist es, was mich motiviert.
Christof Herrmann: Ihr Buch “Befreiung vom Überfluss” habe ich im April letzten Jahres als eines der wichtigsten Bücher der letzten Zeit bezeichnet. Welche Bücher zum Thema Postwachstumsökonomie empfehlen Sie mir und meinen Lesern?
Niko Paech: Da gibts viele … hier nur einige, die mir spontan einfallen.
“Plenitute” von Juliet Schor
“Vorwärts zur Mäßigung” von Hans-Christoph Binswanger
“Die Macht der Bedürfnisse” von Marianne Gronemeyer
“Wohlstand ohne Wachstum” von Tim Jackson
“Wirtschaft jenseits von Wachstum” von Herman Daly
“Selbstbegrenzung” von Ivan Illich
“Small is beautiful” von Ernst Friedrich Schumacher
“Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn” von Serge Latouche
“Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand” von Harald Welzer
“Urban Gardening: Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt” von Christa Müller
“The transition handbook” von Rob Hobkins
Christof Herrmann: Vielen Dank für das Interview, Herr Paech.