Wie die Energiewende gelingen kann
Wissenschaftsakademien plädieren für energiepolitischen Neustart
Die nächsten vier Jahre sind wegweisend: Deutschland kann in dieser Legislaturperiode Klimaschutz national wie international vorantreiben oder Chancen verpassen und zusehen, wie sich Zeitfenster schließen. Werden heute nicht die Weichen gestellt, sind die Klimaziele bis 2030 und 2045 kaum zu erreichen. Doch noch gibt es Handlungsspielräume. In dem Impulspapier „Wenn nicht jetzt, wann dann – wie die Energiewende gelingt“ legen die Wissenschaftsakademien kurz und fundiert elf zentrale Handlungsfelder für die Energiewende vor.
Mehr als 80 Prozent der heutigen Treibhausgasemissionen stammen aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Der Umbau des Energiesystems ist deshalb zentral für das Erreichen der Klimaziele und dafür, unwiderrufliche Folgen durch den Klimawandel abzuwenden. Das stellt die neue Bundesregierung vor eine große Herausforderung. Die Wissenschaftsakademien Leopoldina, acatech und Akademienunion plädieren nun in einem Impulspapier des gemeinsamen Projekts ESYS („Energiesysteme der Zukunft“) dafür, die kommende Legislaturperiode für einen entschlossenen Neustart der Energiepolitik zu nutzen.
Mit einem interdisziplinären Zugang Energie- und Klimapolitik gestalten
Die ESYS-Fachleute skizzieren elf Handlungsfelder, mit denen Deutschland die Energiewende national und international voranbringen kann. Als zentrales Element zukunftsgerichteten Handelns sehen sie einen interdisziplinären und systemischen Ansatz, der dem Facettenreichtum der Herausforderung Rechnung trägt. „Effektiver und effizienter Klimaschutz kann nur mit einer ganzheitlichen Energie- und Klimapolitik gelingen, die Raum für innovative Lösungen bietet und unterschiedliche Lebensrealitäten berücksichtigt,“ erläutert der Vorsitzende des ESYS-Direktoriums, Dirk Uwe Sauer (RWTH Aachen).
Er ergänzt: „Für viele Herausforderungen verfügen wir bereits über technologische Lösungen. Doch es gelingt uns nicht, diese voll zu nutzen. Um das zu schaffen, müssen wir gesellschaftlich akzeptierte Wege für die Umsetzung finden. Beispielsweise im Ausbau der Erneuerbaren: Um die Klimaziele erreichen zu können, müssen wir die Anlagen auf die vier- bis sechsfache Kapazität von heute ausbauen. Das gelingt nur mit neuen Geschäftsmodellen und Infrastrukturen, mehr Partizipationsmöglichkeiten für die Bevölkerung und mehr Digitalisierung. Hierfür ist eine couragierte Zusammenarbeit von Staat, Wirtschaft und Bevölkerung notwendig.“
Die Fachleute verdeutlichen in ihrem Papier auch die zentrale Rolle, die Wasserstoff und Bioenergie für die Energieversorgung der Zukunft spielen werden, und benennen die wichtigsten Einsatzgebiete. Sie diskutieren den Umgang mit unvermeidbaren Emissionen und zeigen die wichtigsten Schritte für den Weg zu einer klimaneutralen Industrie auf. Das Papier ordnet diese Handlungsfelder und ihre Bedeutung ein und skizziert Maßnahmen für einen zukunftsorientierten Umgang mit diesen Herausforderungen.
Markt ermöglichen, soziale Härten abfedern
Kurzfristige Wirtschaftlichkeit dürfe nicht alleiniges Entscheidungskriterium sein: „Die zentrale Frage muss sein, ob eine Maßnahme dazu beiträgt, die Klimaziele kosteneffizient zu erreichen,“ erklärt Karen Pittel, stellvertretende Vorsitzende des ESYS-Direktoriums (ifo Institut, Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen). „Es ist ein intelligenter Instrumentenmix nötig, der Markt ermöglicht, Investitionen anreizt und soziale Härten abfedert. Für diesen Mix müssen wir kritisch auf das gewachsene System aus Steuern, Abgaben und Umlagen blicken. Dieses bedarf einer Grundsanierung, die wir in dem Impuls skizzieren.“
Als unabdingbar sehen die Expertinnen und Experten den Blick über deutsche Landesgrenzen hinaus, denn Deutschlands Stromversorgung ist eng mit der Stromversorgung der Europäischen Union verknüpft. Eine progressive Energie- und Klimapolitik adressiert diese Zusammenhänge und ermöglicht somit Wandel. Zugleich gelte es zu verhindern, dass Deutschlands Rolle als Industriestandort geschwächt wird und sich der Ausstoß von Kohlendioxid in Länder mit niedrigeren Reduktionszielen verlagert, denn jede emittierte Tonne zählt, egal wo sie ausgestoßen wird.