15.11.2018
Deutsche Umwelthilfe sieht Bundesregierung im Panikmodus
Der Kabinettbeschluss zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ist teilweise EU-rechtswidrig und wird von den Gerichten ‚unangewandt‘ bleiben – DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch: „Wir werden in 2019 das Recht auf ‚Saubere Luft‘ in allen Städten durchsetzen, die Gerichte werden die Aufweichung der Grenzwerte ignorieren“ – Autokonzerne beweisen erneut eindrucksvoll, wer in Deutschland die Grundzüge der Politik bestimmt – Luftreinhaltepolitik absurd: Alle Euro 6 Diesel-Pkw, auch solche mit bis zu 25-facher Überschreitung des NOx-Grenzwerts, sollen dauerhaft von Fahrverboten ausgenommen sein – DUH kündigt Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik wegen Verstoß gegen EU-Recht an.
Der Beschluss des Bundeskabinetts zur Aufweichung
des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) nach Vorgaben der
Autokonzerne bezeichnet die Deutsche Umwelthilfe (DUH) als teilweise
EU-rechtswidrig. Die DUH weist darauf hin, dass die Bundesregierung
bereits mit vorherigen rechtlichen Tricksereien zur Verhinderung von
Diesel-Fahrverboten im Interesse und Auftrag der Automobilkonzerne
krachend gescheitert ist: Mit der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig zur Zulässigkeit und Notwendigkeit
von Fahrverboten am 27. Februar 2018.
Dazu Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Diese
Bundesregierung ist erkennbar im Panikmodus. Anders ist es nicht zu
erklären, dass sie im Auftrag der Diesel-Konzerne eine Gesetzesnovelle
durchpeitschen möchte, die gleich mehrfach gegen Europarecht verstößt.
Weder ist die Einführung eines erhöhten NO2-Jahresmittelwertes
EU-rechtskonform noch die generelle Ausnahme von Fahrverboten für
mehrere Millionen Euro 6 Diesel-Pkw mit bis zu 25-facher Überschreitung
des NOx-Grenzwerts. 2019 werden wir in über 30 Städten
Diesel-Fahrverbote bis inkl. Euro 5 Fahrzeuge durchsetzen. Dort wo dies
nicht reicht, wie in Stuttgart, Berlin oder München, folgen in 2020
Fahrverbote auch für Euro 6 Diesel-Fahrzeuge. Um die Autokonzerne vor
Diesel-Fahrverboten zu schützen, ist diese Regierung zu immer absurderen
Kreativleistungen fähig.“
Die DUH geht davon aus, dass sich
die deutschen Gerichte der Machtübernahme von BMW, Daimler und VW
entgegenstellen, die demokratische Grundordnung verteidigen und überall
dort Diesel-Fahrverbote verfügen werden, wo ohne diese Maßnahme im Jahr
2019 der Grenzwert für das Dieselabgasgift Stickstoffdioxid (NO2)
überschritten ist. So erklärte am vergangenen Donnerstag, dem 8.
November 2018, der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Köln, dass
die gegen die von der EU verbürgten Schutzrechte verstoßende Novelle des
BImSchG ‚unangewandt‘ bleiben müsse. In der Verhandlung verfügte der
Richter unter anderem ein Diesel-Fahrverbot für die Stadt Bonn wegen
eines NO2-Jahresmittelwertes von 48 µg NO2/m3 in der Luft.
Die
DUH kritisiert die geplante Befreiung von allen Fahrzeugen unter 270 mg
NOx/km, die den aktuellen Grenzwert von 80 mg NOx/km damit um das
3,5-fache überschreiten. Technische Nachrüstungen ermöglichen es
beispielsweise, selbst schmutzige Diesel der Abgasstufe Euro 5 wie einen
VW Passat mit nachgewiesener Betrugssoftware von 1.000 mg NOx/km auf
unter 80 mg NOx/km zu verbessern. Zudem soll dieser viel zu laxe
Grenzwert von 270 mg NOx/km nur bei höheren Temperaturen einzuhalten
sein, nicht aber bei Temperaturen unter 0 Grad Celsius. Bei kalten
Außentemperaturen leiden die betroffenen Menschen aber ganz besonders
unter den gesundheitlichen Folgen des Dieselabgasgiftes NO2.
Die
klar gegen EU-Recht verstoßende Regelung, alle Euro 6 Diesel-Pkw,
völlig unabhängig davon, wie schmutzig sie auf der Straße sind, per
Gesetz und nicht durch eine neue Abgasanlage von Fahrverboten zu
befreien, soll aus Sicht der DUH offensichtlich den Abverkauf
schmutziger Euro 6 Diesel-Pkw beflügeln.
Die DUH warnt
ausdrücklich vor dem Kauf von Euro 6 Diesel-Pkw, da selbst bei mehreren
Euro 6d temp Fahrzeugen klare Hinweise auf immer noch verbaute
Abschalteinrichtungen gefunden wurden und im Jahr 2020 Fahrverbote auch
für schmutzige Euro 6 Diesel folgen werden.
Handwerks- und
Lieferdienste sollen ebenfalls zu Neuwagenkäufen gedrängt werden. Anders
ist die geplante Einschränkung im Gesetz nicht zu verstehen, dass nur
Halter von Handwerker- und Lieferfahrzeugen förderberechtigt sind, die
ihren Firmensitz in der von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Stadt
oder den angrenzenden Landkreisen haben oder deren Firmen nennenswerte
Aufträge in der betroffenen Stadt haben.
Die geplante Novelle
des BImSchG folgt kurz nach der vierten Heraufsetzung der Zahl der
vorzeitigen Todesfälle durch das Dieselabgasgift NO2 durch die
Europäische Umweltagentur. Allein in Deutschland sind dies 13.100
Menschen, fast viermal so viele wie durch Verkehrsunfälle jährlich ums
Leben kommen. Notwendig wäre aus Sicht der DUH eine Verschärfung des
NO2-Jahresmittelgrenzwerts auf mindestens 30 µg/m3, so wie dies die
Schweiz seit 1986 festgeschrieben hat.
Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH bei den Klagen für Saubere Luft vertritt: „Die
zuständigen Gerichte sind auf Basis der geltenden Rechtsprechung daran
gebunden, jede der Einhaltung des Unionsrechts entgegenstehende Norm des
nationalen Rechts – also eben auch den von der Bundesregierung
vorgelegten Gesetzentwurf – unanwendbar zu lassen.“
Die DUH
kündigt im Falle einer Änderung des BImSchG die Einleitung eines
Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik wegen Verstoß
gegen EU-Recht an. Zudem fordert die DUH im Rahmen eines UIG/IFG-Antrags
eine vollständige Einsicht in alle Dokumente, insbesondere die Kontakte
der Bundesregierung mit den Autokonzernen und ihrem Verband VDA zur
Genese dieser Gesetzesnovelle.
Quelle Deutsche Umwelthilfe 2018
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