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Rainer Baake: „Am Strukturwandel kommt keiner vorbei“

Er hob das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit aus der Taufe und verhandelte unter Jürgen Trittin den Atomausstieg.

Jetzt ist Staatssekretär Rainer Baake Sigmar Gabriels wichtigster Mann für die Energiewende. Im klimaretter.info-Interview erklärt er, wie Kohlekraftwerke in der Reserve den Strukturwandel sozialverträglich machen, warum das Abschalten von Kraftwerken trotz Emissionshandel nützlich ist und wie man bei Ausschreibungen für Photovoltaik-Anlagen Energiegenossenschaften nicht benachteiligt.

klimaretter.info: Herr Baake, vor Kurzem hat die Bundesregierung den klimapolitischen Rahmen für die kommenden Jahre abgesteckt. Sind Sie mit dem beschlossenen„Aktionsprogramm Klimaschutz“ und dem „Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz“ voll und ganz zufrieden? Oder wäre mehr drin gewesen?

Rainer Baake: Die Beschlüsse sind ein sehr wichtiger Zwischenschritt. Die Bundesregierung hat sich damit eindeutig zu den Zielen der Energiewende bekannt: zu einer Treibhausgasminderung von 40 Prozent bis 2020, zum Atomausstieg bis 2022 und zur Erhöhung der Energieeffizienz. Natürlich müssen den Beschlüssen jetzt die Ausführungen folgen, aber die Grundsatzentscheidungen sind gefallen.

Laut Aktionsprogramm soll die Energiewirtschaft ihre Emissionen um weitere 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid reduzieren – zusätzlich zu dem, was im Projektionsbericht 2013steht. Dieser geht davon aus, dass die Emissionen in diesem Bereich bis 2020 um 71 Millionen Tonnen Kohlendioxid sinken werden. Welche Einsparung will die Bundesregierung nun bis 2020 verbindlich festschreiben: nur die 22 Millionen Tonnen oder die zusammen rund 93 Millionen Tonnen?

Vorab: Das Klimaziel von minus 40 Prozent ist ohne den Beitrag der Energiewirtschaft nicht zu realisieren. Gegenüber dem Projektionsbericht fehlt tatsächlich der Betrag von 22 Millionen Tonnen. Zur Schließung dieser Lücke wird Bundeswirtschaftsminister Gabriel deshalb einen Gesetzesvorschlag machen, der ein Emissionsbudget für die Kraftwerke definiert. Die Regierung will es hierbei zu einhundert Prozent den Unternehmen überlassen, ob sie in Wirkungsgradsteigerungen investieren, die Auslastung ihrer Kraftwerke reduzieren oder bestimmte Anlagen ganz abschalten. Die Unternehmen müssen aus dem Emissionsbudget die für sie optimalen betriebswirtschaftlichen Schlussfolgerungen ziehen.

Diesen Budget-Vorschlag werden wir zeitlich mit unserem Vorschlag zum Strommarktdesign vorlegen, weil es zwischen beiden einen sachlichen Zusammenhang gibt. Zur Absicherung des Strommarkts werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit eine Kapazitätsreserve einführen. Diese kann man mit der Notwendigkeit, Kraftwerkskapazitäten zu reduzieren, kombinieren. In diesem Zusammenhang wird dann auch das Zahlengerüst geklärt. Rechnen Sie damit, dass es im ersten Halbjahr 2015 einen konkreten Gesetzesvorschlag zum Emissionsbudget geben wird.

Und das Budget, mit dem Sie die Emissionen der Kraftwerke deckeln wollen, enthält dann die rund 90 Millionen Tonnen?

Der Gesetzesvorschlag wird den Zielwert 2020 für die Energiewirtschaft enthalten. Eine Diskussion darüber, ob die Prognosen im Projektionsbericht realistisch sind oder nicht, möchte ich zu diesem Zeitpunkt nicht führen.

Welche regulatorischen Möglichkeiten haben Sie, das Emissionsbudget in Gesetzesform zu gießen? Wird es auf die einzelnen Unternehmen aufgeteilt?

Das sind genau die Fragen, die wir jetzt klären müssen. Zum Beispiel müssen wir vorab rechtlich prüfen, ob wir neue Anlagen genauso behandeln dürfen wie alte. Außerdem müssen wir mit der Europäischen Kommission sprechen, damit es von dort später keine Einwände gegen konkrete Ausgestaltungselemente gibt.

Lässt sich so ein Gesetz zu einhundert Prozent klagesicher machen oder muss sich die Regierung darauf einstellen, dass sich die Kraftwerkseigner rechtlich wehren?

Wenn wir Gesetze machen, müssen wir immer damit rechnen, dass jemand sie vor Gericht infrage stellt. Unsere Verfassung schützt in der Tat das Eigentum, aber sie sagt auch ganz klar, dass Eigentum nicht absolut gilt, sondern der Gesetzgeber die Inhalte und Schranken bestimmen kann.

Helfen Ihnen hierbei Ihre Erfahrungen mit dem Atomausstieg?

Es gibt Parallelen, aber auch gravierende Unterschiede: Kohlekraftwerke haben zum Beispiel nicht dasselbe Gefahrenpotenzial wie Kernkraftwerke. Außerdem reden wir hier über ganz andere Zeiträume, denn wir werden noch einige Jahrzehnte fossile Kraftwerke in Deutschland haben. Klar ist aber, dass der fossile Kraftwerkspark im Rahmen der Energiewende schrittweise zurückgefahren werden wird.

Dagegen wehren sich mit aller Kraft die Gewerkschaften. Der drohende Verlust der Arbeitsplätze in der fossilen Energiewirtschaft ist eines der gewichtigsten Argumente in der Debatte um den Kohleausstieg. Wie kann man den Strukturwandel gestalten?

Meine erste Nachricht ist: An diesem Strukturwandel kommt keiner vorbei. Ich glaube, dass die Gewerkschaftsführungen das auch so sehen. Sich gegen Strukturwandel zu stemmen, hat noch langfristig nie geholfen. Am Ende kommt der Absturz dann doch und er ist umso härter. Also gestaltet man lieber den Strukturwandel, denn wenn man gestaltet, hat man Einfluss auf den Prozess und kann die Dinge sozialverträglich regeln.

Heißt das: Sie parken per Strommarktdesign Kohlekraftwerke in der Reserve und brauchen dann dort für den Standby-Betrieb die Belegschaften nahezu unvermindert weiter?

Wenn wir beim Marktdesign mit einer Kapazitätsreserve arbeiten, kann das auf der einen Seite eine Maßnahme zur Absicherung von Versorgungssicherheit sein, auf der anderen Seite aber auch eine Maßnahme, um den Strukturwandel sozialverträglich zu gestalten.

Kommen Ihnen für Ihre Verhandlungen mit der Energiewirtschaft nicht langsam die Partner abhanden? Wenn nun Eon seine fossile Kraftwerkssparte an einen Finanzinvestor abtritt, müssen Sie mit dem nicht anders verhandeln?

Zunächst sehe ich die sehr grundsätzliche Neuaufstellung des größten Stromversorgers in Deutschland positiv. Hätte mir jemand vor fünf oder zehn Jahren vorhergesagt, Eon würde sich ab 2014 voll auf die neue Energiewelt konzentrieren, hätte ich das wahrscheinlich nicht geglaubt. Gespräche mit der Energiewirtschaft werden durch diese Entwicklung für uns weder schwieriger noch einfacher. Wir sind in einer Umbruchsituation und die Wirtschaft richtet sich jetzt an der neuen Energiepolitik aus.

Haben wir in Deutschland die größten energiepolitischen Auseinandersetzungen schon hinter uns oder noch vor uns?

Ich glaube, die haben wir hinter uns. Wir haben einige Jahrzehnte lang sehr grundsätzlich über die Ausrichtung der Energiepolitik gestritten, aber die Entscheidung ist jetzt gefallen – glücklicherweise in die richtige Richtung. Wir haben noch einige schwierige technische und ökonomische Herausforderungen zu lösen, aber die haben nicht mehr diese gesellschaftliche Sprengkraft, wie zum Beispiel die Auseinandersetzung um die Atomkraft.

Teil 2 des Interviews: Lohnt sich der Kohleausstieg trotz europäischem Stromhandel?

Quelle

KLIMARETTER.INFO | Interview: Eva Mahnke und Jörg Staude 2014

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