Energiepreise: Regierung schaut dem Aufruhr im Strommarkt zu
Der Streit zwischen Verbraucherschützern und Energieverbänden um Strompreise und das Geschäftsmodell der Discounter verschärft sich. Die neue Bundesregierung schaut dem Aufruhr am Strommarkt bisher weitgehend tatenlos zu.
Mehrere Verbraucherzentralen haben in den letzten Tagen Energieversorger abgemahnt. Diese hatten ihre Stromtarife in solche für Bestands- und solche für Neukunden gespalten. Letzteren wird nun das Doppelte für den Strom in Rechnung gestellt.
Eine kürzliche Stichprobe der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bei 23 Stromanbietern untermauert die gewaltigen Preisunterschiede. Neue Kunden mussten danach Mitte Januar im Schnitt 73 Cent für die Kilowattstunde zahlen, Haushalte mit sogenannten Altverträgen „nur“ 34 Cent.
Drei der untersuchten Unternehmen sollen von neuen Kunden sogar mehr als 90 Cent für die Kilowattstunde verlangen. In der Stadt mit dem teuersten Tarif kosteten 3.000 Kilowattstunden, die ein Durchschnittshaushalt jedes Jahr etwa benötigt, für neue Abnehmer fast 3.100 Euro. Haushalte mit Bestandsverträgen kämen dagegen auf knapp 1.140 Euro, rechnen die Verbraucherschützer vor.
Laut Angaben des Preisportals Check 24 haben inzwischen mehr als 330 Grundversorger spezielle neue Tarife nur für die Kunden eingeführt, die wegen der Kündigung durch den bisherigen Stromlieferanten in die sogenannte Ersatzversorgung gefallen sind. Der Strompreis sei dort im Schnitt um rund 100 Prozent gestiegen, erklärte das Vergleichsportal laut Medienberichten.
„Bei allem Verständnis für die nicht ganz einfache Situation der Grundversorger – so geht es nicht“, betonte Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW. Haushalte zu benachteiligen, die ohne eigenes Verschulden in die Grundversorgung zurückfallen, sei rechtswidrig und widerspreche dem Schutzzweck der Grundversorgung. Gegen die Benachteiligung werde die Verbraucherzentrale mit allen juristischen Mitteln vorgehen.
Viele Betroffene seien geradezu verzweifelt über die immensen Gas- und Strompreise, die einige Energieanbieter für die Ersatzversorgung aufriefen, schilderte der Vorstand weiter. „Das bringt gerade Haushalte mit weniger Einkommen in Bedrängnis.“
Energiebranche wehrt sich
Energie-Branchenverbände fühlen ihre Mitgliedsunternehmen allerdings sehr zu Unrecht an den Pranger gestellt. Das Problem seien die unseriösen Billigstrom-Anbieter, die ihre Lieferpflichten nicht erfüllten und ihre hausgemachten Probleme auf die Grundversorger abwälzten, konterte dieser Tage Kerstin Andreae, Chefin des Energiewirtschaftsverbandes BDEW.
Wegen des unseriösen Verhaltens hätten die Grundversorger für die betroffenen Kunden von heute auf morgen zusätzliche Strom- oder Gasmengen im Energiehandel einkaufen müssen – und das in der Phase, in der die Energiepreise an den Börsen „in nie dagewesene Höhen“ geschossen seien, sagte Andreae.
Die BDEW-Chefin kann deswegen die Haltung einiger Verbraucherzentralen nicht nachvollziehen, dass ein Neukundentarif nicht angemessen sei. Würden die Grundversorger die neuen Kunden zum gleichen Tarif wie Bestandskunden aufnehmen, dann stiegen die Kosten für alle. Es würden also auch Bestandskunden in Mitleidenschaft gezogen. Andreae: „Das ist kein umfassender Verbraucherschutz.“
Noch schärfer geht der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) die Verbraucherschützer an. Diese seien mit ihren Abmahnungen auf dem Holzweg, kritisiert VKU-Geschäftführer Ingbert Liebing. „Fakt ist: Wer immer kurzfristig auf die höchste Einsparung setzt – so wie es auch leider lange von Verbraucherorganisationen empfohlen wurde –, bezahlt das auch mit einem höheren Risiko.“
Die Verbraucherzentrale NRW solle eher bei den Billiganbietern und ihren kurzfristigen Geschäftsmodellen ansetzen, rät Liebing. Ansonsten schütze sie indirekt fragwürdige Geschäftsmodelle einiger Discounter und lasse Bestandskunden die von den Discountern eingebrockte Suppe auslöffeln.
Einig sind sich Verbraucherschützer und Verbände allerdings im Rat an die Haushalte, gegen die Discounter auf Schadenersatz zu klagen. Auch müsse das Geschäftsgebaren solch unseriöser Anbieter „schnellstmöglich geregelt werden“, fordert BDEW-Chefin Andreae. Ihr Verband habe deshalb die Bundesregierung gebeten, hier schnell zu handeln.
Regierung plant keine Sofortmaßnahmen
Von schnellem Handeln der Regierung ist bis dato aber nichts zu sehen. Zwar hält auch Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) laut Medienberichten die Kündigung der Stromverträge durch die Versorger für „teilweise rechtswidrig“ – bei der Bundestagsdebatte letzte Woche über ihr Ressort verlor sie dazu aber kein einziges Wort.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!