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Energiewende stärkt Wirtschaftsstandort Deutschland

Wohin man auch hört wird aktuell in konser­vativen Wirtschafts­kreisen gebets­mühlen­artig eine Legende gepflegt: Die Mär von der De­industrialisierung Deutsch­lands. Diese sei eine zwangs­läufige Folge der Energie­wende, mit ihren uferlos steigenden Strom­preisen. Kommentar von Philipp Vohrer

Und, schlimmer noch, diese Deindustrialisierung sei bereits „schleichend in vollem Gange“, wie es – trotz der Schiefe des Bildes – etwa Energiekommissar Oettinger nicht müde wird zu betonen.

In kompletter Ermangelung von Belegen – z.B. in Form tatsächlich abwandernder Industriebetriebe, deren Hauptmotiv die steigenden Strompreise sind – wird argumentiert: „Schleichend“ sei der Prozess deshalb, weil eben gerade nicht die hier angesiedelten Unternehmen mit Pauken und Trompeten aus dem Land marschierten, sondern weil neue Investitionsentscheidungen gleich gar nicht mehr zugunsten des Standorts Deutschland getroffen würden.

Ein Blick auf die Fakten hilft – wie so oft – auch hier bei der Orientierung: Zunächst einmal haben die meisten hier existierenden Betriebe herzlich wenig Grund zur Klage. Für 92 Prozent der Industrieunternehmen machen die durchschnittlichen Energiekosten lediglich 1,6 Prozent der Bruttowertschöpfung aus. Die Energiekosten spielen am Umsatz der Industrie also kaum eine Rolle. Die deutsche Wirtschaft hat wegen der Erneuerbaren Energien deutlich mehr Motive, zu bleiben als abzuwandern – man denke etwa die Aufträge aus der EE-Branche, die jährlich um die 20 Milliarden Euro in Deutschland investiert.

Und dann sind da noch die energieintensiven Unternehmen, die stets besonders vernehmlich über die angebliche „Stromkosten-Explosion“ klagen. Sie verdanken den Erneuerbaren Energien erheblich gesunkene Börsenstrompreise (der VIK-Index für Industriestrom liegt heute wieder auf dem gleichen niedrigen Niveau wie 2005) – und das übrigens auf Jahre hinaus (s. Terminmarktpreise an der EEX). Zudem hat sich eine wachsende Zahl von Unternehmen, die z.T. in keinerlei internationalem Wettbewerb bestehen müssen, in den vergangenen Jahren zum energieintensiven Betrieb „hochgerechnet“ und mithin aus der solidarischen Finanzierung der EEG-Umlage verabschiedet.

Bleiben also die Unternehmen, die sich wegen der Energiewende angeblich erst gar nicht hier ansiedeln. Hier lohnt sich ein Blick ins „Grundwissen Betriebswirtschaft“: Investitionsentscheidungen werden stets aufgrund einer Vielzahl Standortfaktoren getroffen. Da spielt zum Beispiel die Nähe zum Markt eine Rolle, denn Transport und Vertrieb fern vom Produktionsort sind teuer. Da schlägt aber auch die Gesamtheit der Produktionsmittel zu Buche, von denen die Energie nur eines ist – neben den Arbeitskräften, Maschinen und der Infrastruktur. Und dann kommen insbesondere „weiche Standortfaktoren“ in Betracht, etwa ein funktionierendes politisches System, Rechtssicherheit, Lebensqualität und vor allem ein gutes Bildungssystem, das qualifizierte Arbeitnehmer und – mittels vielfältiger Forschungslandschaft – Innovationen hervorbringt.

Kein Wunder, dass der Global Competitiveness Index (GCI) des Weltwirtschaftsforums den Hauptfokus seiner Gewichtung auf die Innovationsfähigkeit eines Landes legt (15 %). Und nicht nur damit kann Deutschland punkten – auch und gerade wegen der Energiewende! Im Gesamtranking des GCI liegt das Energiewendeland Deutschland auf Platz 4, übrigens vor sattsam bekannten Niedrigenergiepreisländern wie USA (5), Norwegen (11), Saudi Arabien (20), Frankreich (23), Polen (42) oder Tschechien (46).

Auch in anderen einschlägigen Umfragen unter Unternehmern und politischen Entscheidungsträgern schneidet Deutschland als Wirtschaftsstandort sehr gut ab: So sehen Ernst & Young, A.T. Kearney und die UN-Handelsorganisation UNCTAD Deutschland auf Platz 1 in Europa und auf Platz 6, 7 bzw. 3 in der Welt. Die Studie von Ernst & Young Studie belegt zudem, dass die Umwelt- und Energietechnologie in Deutschland – neben der Transport- und Automobilindustrie sowie der Informations- und Kommunikationstechnik – einer der wichtigsten Wachstumstreiber ist.

Nicht zu vergessen ist auch die Tatsache, dass höhere Energiepreise immer auch ein Innovationsanreiz sind. Sie führen zu einer effizienteren Nutzung von Energie. So ist die Energieintensität in Deutschland besonders niedrig. Das heißt: Um einen Euro Wirtschaftsleistung zu erzeugen, benötigt Deutschland deutlich weniger Energie als beispielsweise die USA oder Polen. Deshalb werden die Vorteile niedriger Energiepreise in vielen Ländern an anderer Stelle durch den verschwenderischen Umgang mit Energie wieder aufgezehrt.

Der Zusammenhang ist doch augenfällig: Deutschland will die Energiewende, weil sie wirtschaftliche Perspektiven, Innovationen, regionale Wertschöpfung, Importunabhängigkeit und Generationengerechtigkeit bringt. Das sind Werte, für die es sich lohnt, zu kämpfen, sich zu entscheiden und – ja! – auch zu investieren. Sicherlich wird es trotzdem einzelne Unternehmen geben, die der (vermeintliche) Kostenfaktor Energie eine Investitionsentscheidung gegen Deutschland treffen lässt. Aber ebenso gab und gibt es Unternehmen, die sich aufgrund hoher Arbeitskosten gegen den Standort Deutschland entscheiden. Dennoch würde wohl nicht einmal der Wirtschaftsflügel der Union auf die Idee kommen, Errungenschaften wie Sozialversicherung, Arbeitsschutz und die 40-Stunden-Woche in Frage zu stellen – obgleich diese die deutschen Unternehmen eine Menge Geld kosten.

Quelle

Philipp Vohrer | Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien 2014energiezukunft 2014

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