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goodnews4 | China und seine brutalen Methoden in Tibet | Franz Alt und Tenzyn Zöchbauer

© goodnews4 | China und seine brutalen Methoden in Tibet | Franz Alt und Tenzyn Zöchbauer

China und seine brutalen Methoden in Tibet

„Kinder werden von ihren Eltern entfernt“ – Tenzyn Zöchbauer und Franz Alt im goodnews4-Interview. Wir veröffentlichen dieses Interview auf der Sonnenseite am Tag des 88. Geburtstags des Dalai Lama, am 6. Juli 2023.

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© Benevento Verlag

Die Beziehungen von Deutschland zu China stehen auf dem Prüfstand. Das riesige Land wurde durch billige Importe zum Wohlstandsfaktor für die gesamte westliche Welt. Die Exporte gleichen die riesigen Mengen der Einfuhren schon lange nicht mehr aus. Das Defizit lag für Deutschland bei 85,1 Milliarden, bei einem Gesamthandelsvolumen von 298,9 Milliarden Euro.

Die Abhängigkeit von China und seinen supergünstigen Waren spielt auch eine Rolle beim politischen Bewegungsspielraum. Im goodnews4-VIDEO-Interview geben der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt und Tenzyn Zöchbauer, Vorsitzende der Deutschen Tibet-Initiative, einen Einblick in die Repressionen und den chinesischen Machtanspruch am Beispiel von Tibet, das Tenzyn Zöchbauer als «Hochsicherheitsgefängnis» bezeichnet.Der Fokus, der auf Russland und die Ukraine gerichtet ist, lässt kaum Raum für die Wahrnehmung der brutalen Methoden der chinesischen Machthaber. «Eine neue Strategie, die wir momentan besonders mit großer Sorge beobachten, sind die Zwangsinternate, die vermehrt in der autonomen Region Tibet aufgebaut werden», berichtet Tenzyn Zöchbauer von einer Maßnahme, die die kulturelle Eigenständigkeit Tibets zerstören soll. Kinder im Alter ab sechs Jahren würden von ihren Eltern entfernt werden und müssen in den parteikonformen Schulen des chinesischen Systems leben.

„Was in Tibet passiert, ist ein kultureller Völkermord», habe der Dalai Lama Franz Alt gesagt, der mit diesem Zitat auf den jahrzehntelangen Kampf des spirituellen Oberhaupts des tibetischen Volkes aufmerksam macht. «Wir möchten der Situation in Tibet, aber auch den Menschen in Tibet eine Bühne und eine Plattform geben, in der deren Stimmen gehört werden. Das Besondere ist, dass es das erste Mal ist, dass es so etwas überhaupt gibt, ein Theaterstück in tibetischer Sprache, mit tibetischen Schauspielern über die aktuelle Situation in Tibet», berichtet Tenzyn Zöchbauer über ein Projekt, das auch in Baden-Baden bis 18. Juni präsentiert wurde und auch wegen der aktuellen Weltlage Interesse gefunden hat.Kurios sind die globalen machtpolitischen Verhältnisse. Ausgerechnet am chinesischen Einfluss auf Russland und die Ukraine machen sich westliche Hoffnungen für einen Friedensprozess fest.

Deutschlands Abhängigkeit von China

Es ist nicht mehr der Segen der Exportüberschüsse, was Deutschland so abhängig macht von China, sondern die «Billigimporte». Im Jahr 2022 wurden Waren im Wert von 298,9 Milliarden Euro zwischen Deutschland und der Volksrepublik China gehandelt, die Addition von Exporten und Importen. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, war damit die Volksrepublik China im Jahr 2022 zum siebten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner. Auf den Rängen zwei und drei folgten die USA mit einem Warenverkehr in Höhe von 248,7 Milliarden Euro und die Niederlande mit einem Außenhandelsumsatz von 230,0 Milliarden Euro.Wichtigstes Abnehmerland deutscher Waren im Jahr 2022 waren wie bereits in den Vorjahren die Vereinigten Staaten. Güter im Wert von 156,2 Milliarden Euro wurden von Deutschland in die Vereinigten Staaten exportiert. Auf den Plätzen zwei und drei der bedeutendsten deutschen Exportländer lagen Frankreich (116,0 Milliarden Euro) und die Niederlande (110,6 Milliarden Euro).Nach Deutschland importiert wurden die meisten Waren im Jahr 2022 aus der Volksrepublik China (192,0 Milliarden Euro). Auf den Plätzen zwei und drei der wichtigsten deutschen Lieferländer lagen die Niederlande (119,4 Milliarden Euro) und die Vereinigten Staaten (92,5 Milliarden Euro).Die höchsten Exportüberschüsse wies Deutschland im Jahr 2022 mit den Vereinigten Staaten (63,7 Milliarden Euro), Frankreich (46,7 Milliarden Euro) und dem Vereinigten Königreich (35,8 Milliarden Euro) aus. Mehr Waren importiert als dorthin exportiert wurden aus China. Für dieses Land wies der Außenhandel im Jahr 2022 einen Importüberschuss von 85,1 Milliarden aus.
Quelle: Statistisches Bundesamt www.destatis.de


Im goodnews4-VIDEO-Interview geben der Baden-Badener Bestsellerautor Franz Alt und Tenzyn Zöchbauer, Vorsitzende der Deutschen Tibet-Initiative, einen Einblick in die Repressionen und den chinesischen Machtanspruch am Beispiel von Tibet, das Tenzyn Zöchbauer als «Hochsicherheitsgefängnis» bezeichnet.


goodnews4: Tenzyn Zöchbauer, Franz Alt, die rigorosen Maßnahmen die chinesischen Machthaber in Tibet beklagen wir seit Jahrzehnten. Wie ist die aktuelle Lage, die aktuelle Situation in Tibet?

Tenzyn Zöchbauer: Die aktuelle Lage in Tibet ist tatsächlich sehr dramatisch und hat sich in den letzten Jahren eigentlich nur verschlechtert. Wir sagen immer Tibet ist ein Hochsicherheitsgefängnis, denn inzwischen kommen weder Informationen und Menschen raus noch Informationen rein. Die kommunistische Partei Chinas hat sich in den letzten Jahren darauf spezialisiert, Tibet möglichst vom Rest der Welt abzuschirmen. Eine neue Strategie, die wir momentan besonders mit großer Sorge beobachten, sind die Zwangsinternate, die vermehrt in der autonomen Region Tibet aufgebaut werden. Das bedeutet Klosterschulen oder private Schulen gibt es gar keine mehr in der autonomen Region, es gibt nur noch Internatsschulen, die sozusagen parteitreu geleitet werden und in denen Kinder, wir sprechen hier von 800.000 bis 900.000 Kindern im Alter ab sechs Jahren, von ihren Eltern entfernt werden und in diesen Schulen leben müssen. Tibetisch wird dort nicht mehr unterrichtet, auch Buddhismus wird dort nicht unterrichtet, Gebetsketten oder buddhistische Symbole sind auf dem kompletten Schulhof verboten. Und das ist auch ein Versuch, ganz extrem die tibetische Identität an der Wurzel anzugreifen. Das besorgt uns sehr und wir fordern auch, dass mehr international gehandelt wird, denn Kinderrechte sind universal und müssen auch in Tibet berücksichtigt werden.

Franz Alt: Der Dalai Lama hat mir in vielen Interviews gesagt: «Was in Tibet passiert, ist ein kultureller Völkermord.» Und so ist es. Das hat mit Mao schon begonnen und hat bei Xi nicht aufgehört. So, wie es Tenzyn eben beschrieben hat, ist es heute schlimmer als vor einigen Jahrzehnten noch.

goodnews4: Was können denn Veranstaltungen, wie das Theaterstück, das hier in Baden-Baden aufgeführt wird, bewirken?

Tenzyn Zöchbauer: Aufmerksamkeit in erster Linie. Wir möchten der Situation in Tibet, aber auch den Menschen in Tibet, eine Bühne und eine Plattform geben, in der deren Stimmen gehört werden. Ich denke Theater ist da wirklich ein sehr starkes Mittel. Das Besondere ist, dass es das erste Mal ist, dass es so etwas überhaupt gibt, ein Theaterstück in tibetischer Sprache, mit tibetischen Schauspielern über die aktuelle Situation in Tibet. In diesem Stück handelt es sich ganz spezifisch um die Selbstverbrennungen. In Tibet haben sich inzwischen mehr als 160 Menschen selbst angezündet, darunter Nonnen, Mönche, aber auch studierte, junge Frauen und Männer, aus allen Bevölkerungsschichten. Dieser Hilfeschrei, den man eigentlich gar nicht überhören kann, wird hier sehr oft einfach ignoriert. Wir freuen uns, dass wir ein Publikum hier erreichen können und mit den Menschen auch direkt in den Austausch treten können. Diese Aufmerksamkeit, die die Menschen dann hoffentlich durch dieses Theaterstück mitbekommen, in die Welt zu tragen, das hoffen wir damit erreichen zu können. Was wir im Endeffekt versuchen ist, ein Fenster zu öffnen, denn, wie am Anfang erklärt, Tibet ist so abgeschirmt, wir haben keine aktuellen Bilder, aber mit diesem Theaterstück haben wir die Möglichkeit, die Menschen auch emotional zu erreichen und ein Fenster nach Tibet zu öffnen.

Franz Alt: Ich denke, es ist auch für die Tibeter ganz wichtig, dass sie wissen und erfahren sie sind von der Welt nicht vergessen. Ich weiß genau, in Tibet weiß man, ob in Deutschland oder Amerika oder sonst irgendwo in der freien Welt die Menschen an sie denken. Wir Deutschen wissen ja, was eine Diktatur ist, wir haben die Nazidiktatur, wir hatten die kommunistische Diktatur in Teilen Deutschlands erlebt und es ist wichtig, dass die Welt weiß, was in den diktatorisch regierten Ländern passiert. Deshalb ist es ganz wichtig, dass gerade durch die Darstellung einer Selbstverbrennung, das ist ja eine ganz schreckliche Geschichte, aber in Vietnam hat die Selbstverbrennung buddhistischer Mönche dazu geführt, dass es in Amerika einen Aufstand gegen den Vietnamkrieg gab. Und ich hoffe, dass wir auch in den westlichen Ländern lernen, dass es hilfreich ist, wenn wir den Tibetern zeigen, dass wir solidarisch sind mit ihnen. Und durch die Aufführungen hier in Baden-Baden kommt das zum Ausdruck.

goodnews4: Wir schauen seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine auch genauer auf China. Auf was müssen wir denn achten im politischen und wirtschaftlichen Umgang mit China?

Bigi Alt | Der Dalai Lama ist das spirituelle Oberhaupt der Exilregierung Tibets mit Sitz in Dharamsala, Indien
Bigi Alt | Der Dalai Lama ist das spirituelle Oberhaupt der Exilregierung Tibets mit Sitz in Dharamsala, Indien

Franz Alt: Einerseits sagt der Dalai Lama immer es ist gut, wenn auch China mit freien Ländern, wie Deutschland, Wirtschaft treibt und organisiert. Aber andererseits dürfen wir dabei nicht vergessen, immer wieder auf die Menschenrechtsverletzungen in Tibet oder gegen die Uiguren in China und alle anderen Minderheiten aufmerksam zu machen. Es gibt auch eine Christenverfolgung in China. Darauf müssen wir immer wieder aufmerksam machen. Geschäfte sind in Ordnung, denke ich, das hilft beiden Seiten ökonomisch, aber wir müssen auch immer wieder, wie das zum Beispiel die deutsche Außenministerin tut, auf die Menschenrechtsverletzungen in China aufmerksam machen, da dürfen wir nicht nachlassen.

Tenzyn Zöchbauer: Wie Franz richtig sagt, die Menschenrechte dürfen nicht vergessen werden. Jetzt gerade finden die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen statt und die sind sehr, sehr öffentlich. Traurigerweise finden aber eigentlich keine öffentlichen Gespräche mit dem Kanzleramt und Menschenrechtsorganisationen, mit uns zum Beispiel, statt. Das wäre ein Zeichen, das wir fordern, dass auch Gruppen, die von Menschenrechtsverletzungen in China betroffen sind, eine öffentliche Plattform bekommen und man sich hier nicht versteckt, wenn ein Austausch geführt wird. Wir hoffen auch, dass diese Gespräche, wir sind auch Befürworter der Dialoge, aber sie müssen auch einen Output haben, der eben auch auf menschenrechtsbasierter Basis hilfreich ist und dass wir uns nicht verstecken hinter dem wirtschaftlichen Streben. China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner und wenn man weiß, wie die chinesische Regierung mit ihren eigenen Menschen umgeht, dann sollte man sich schon ganz genau überlegen, ob man sich wirklich abhängig machen möchte von diesem Regime.

Franz Alt: Ich denke es wäre auch ganz wichtig, dass zum Beispiel deutsche Politiker, wie die Außenministerin oder der Bundeskanzler, mit dem exiltibetischen Ministerpräsidenten Gespräche aufnehmen und auch den Dalai Lama empfangen würde. Immerhin, die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es, da durfte ich mithelfen dabei, 2007 gewagt, trotz chinesischer Proteste, den Dalai Lama zu empfangen. Diese Proteste kommen immer ganz routinemäßig. Wir müssen beides tun, Geschäfte auf der einen Seite ja, aber auch Hinweise auf die brutalsten Menschenrechtsverletzungen, die in China heute stattfinden.

goodnews4: Wenn wir mit allen totalitären und autokratischen Staaten auf Distanz gehen würden, dann bliebe nicht viel übrig. Ist die Idee der Demokratie gerade kein Exportschlager mehr?

Franz Alt: Leider ist es so, die Demokratien sind weltweit derzeit in der Defensive. Das sah 1990 mal etwas anders aus. Da sah es so aus, als würde die Demokratie jetzt durchgängig überall aufkommen können. Leider wurde das gebremst, nicht zuletzt auch durch unsere westlichen Politiken. Wir haben überwiegend auf militärische Maßnahmen gesetzt. Die NATO hatte 1990, am Ende des Kalten Krieges, 16 Mitglieder, heute hat sie 31 Mitglieder. Das reicht nicht, nur militärisch präsent zu sein und zu sagen Demokratie heißt wir rüsten immer mehr auf. Ich denke, es wäre noch viel wichtiger zu sagen, dass wir bereit sind, auch mit Russland zu verhandeln, auch in der jetzigen schwierigen Situation. Also neben Waffenlieferungen und militärischer Rüstung, müssen wir auch Gesprächsbereitschaft mehr pflegen als das bisher der Fall war. Wir haben die Sicherheitsinteressen Russlands zu wenig berücksichtigt, deswegen sind wir auch in der Dritten Welt so wenig glaubwürdig. Die sagen, die USA zum Beispiel hat den Irak überfallen, das war genauso schlimm wie Russlands Überfall auf die Ukraine. Und da haben wir zu sehr nur auf das Militärische gesetzt und zu wenig auf Diplomatie und Menschenrechte und Demokratieverbreitung.

Tenzyn Zöchbauer: Das Thema des gewaltlosen Widerstandes, was ja in unserem Theaterstück sehr präsent ist und auf dieser Tournee, wo wir wirklich zeigen möchten es gibt auch andere Wege, es muss nicht immer alles militärisch ausgehandelt werden, aber leider finden friedliche Proteste meistens nur sehr wenig Aufmerksamkeit. Was ich denke ist, man muss verstehen, dass die Menschen, die in Tibet zum Beispiel auf die Straße gehen und protestieren, versuchen, die Kultur zu beschützen, das sind Demokratieverteidiger und -verteidigerinnen. Das sind Menschen, die ihr Leben und ihre Zukunft dafür riskieren, dass sie grundlegende Menschenrechte ausüben können und sich innerhalb der chinesischen Strukturen etwas verändert in Richtung Demokratie. Eigentlich müssten diese Menschen und diese Bewegungen viel stärker unterstützt werden. Und das ist leider sehr, sehr traurig zu sehen, dass von den wenigen demokratischen Ländern und Strukturen, die es gibt, oft die Solidarität fehlt.

Franz Alt: Ich stand mit dem Dalai Lama 1989 an der Mauer in Berlin, als die Mauerspechte auf beiden Seiten schon die Mauer angeklopft und zum Teil eingerissen hatten. Die Menschen gaben dem Dalai Lama eine Kerze in die Hand, hievten ihn auf die Mauerreste und dort stand er und sagte für mich unvergesslich: «So sicher, wie diese Mauerfallen wird, so sicher wird Tibet eines Tages frei sein.» Wir sind noch nicht so weit, leider, aber der Dalai Lama ist nicht zuletzt deshalb der populärste Mensch auf der ganzen Welt heute, bei allen Umfragen ist das so, weil er für Gewaltfreiheit steht, für eine andere Politik als die Russen sie heute in der Ukraine machen und die Chinesen erst recht sie machen. Letztlich ist die Politik dieses Dalai Lama, die Politik der Gewaltfreiheit, für die die ganze Welt so unendlich wichtig, weil wir jetzt im Atomzeitalter spätestens lernen müssen, dass wir unsere Konflikte anders lösen müssen als bisher. Ich habe Michail Gorbatschow mal gefragt, was ein Atomkrieg wäre – und Putin droht mit Atomkrieg heute und wir sind nicht ganz unschuldig an dieser Drohung – da sagte Gorbatschow, ein Realpolitiker: «Ein Atomkrieg wäre der letzte Krieg der Menschheit, weil es danach keine Menschen mehr gäbe, die noch einen Krieg führen könnten.» Ich denke deshalb ist die Politik der Gewaltlosigkeit des Dalai Lama für die ganze Welt so unendlich wichtig und vorbildlich.

Quelle

goodnews4 2023 | Das Interview führte Nadja Milke







       

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