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„Die Kirche zerlegt sich selbst“

Am Verhältnis zur Frau erkennt man den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft und einer Kirche. Dieser Gedanke stammt nicht von Alice Schwarzer, sondern von Jesus.

Bahnt sich nach 2000 Jahren Frauenfeindlichkeit in der christlichen Männerkirche eine Wende an, vielleicht sogar eine Revolution? Gelten Frauen als vollwertige, von nun an mit Männern gleichberechtigte Menschen? Am 3. Juni 2016 nannte Papst Franziskus die Gefährtin und Vertraute von Jesus, Maria Magdalena, „Apostolorum Apostola“, „die Apostelin der Apostel“. Somit stellt der Papst klar, dass eine Frau de facto die erste Päpstin war, eine Frau die wahre Kirchengründerin.

In der offiziellen Stellungnahme des Vatikan heißt es dazu zusammenfassend: „Maria Magdalena ist Beispiel und Modell für jede Frau in der Kirche.“ Damit erschließt uns die „Apostelin der Apostel“  eine lebensfreudigere und liebenswürdigere Kirche. Diese Wiedergutmachung an Jesu 2000 Jahre lang umstrittener Partnerin ist wahrscheinlich die folgenreichste Entscheidung des gesamten Pontifikats von Franziskus.

Soweit die schönen Worte. Die Praxis der real existierenden Kirche sieht  freilich noch ganz anders aus. Mitte Juli 2022 veröffentlichte der Vatikan eine Erklärung im Basta-Stil: Danach ist die katholische Kirche Deutschlands nicht befugt, über die  Zulassung von Frauen zu kirchlichen Ämtern, über den Zölibat oder überhaupt über kirchliche Reformen auch nur zu debattieren. Zu Reformen der katholischen Kirche hatten sich auch mehrheitlich die deutschen Bischöfe bekannt. Deren Vorsitzender, der Limburger Bischof Georg Bätzing, hatte zuvor über den Zustand seiner Kirche gesagt: „Ich schäme mich für diese Kirche.“ Zu den Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche sagte Kardinal Reinhard Marx im Sommer 2021: „Das System Kirche hat versagt … Das ist Verrat an der Botschaft Jesu, für die ich um Entschuldigung bitte.“

Schon diese wenigen Zitate zeigen, dass die Kirche krank ist. Es geht ihr sehr schlecht. Am meisten leidet sie an sich selbst. In den christlichen Kirchen hat sich eine heillose Kultur der Angst verbreitet. Die christlichen Kirchen arbeiten noch immer mit der Angst ihrer treuesten Anhänger, um Macht über sie auszuüben. Jesus aber strahlte Güte aus und nicht Angst.

Missbrauch ist und bleibt eine Katastrophe

Der Jesuit und Professor für Psychologie und Psychotherapie, Hans Zollner, sagt: „Missbrauch ist eine Realität, die verdrängt wird.“ Er versucht in fünf Kontinenten die sexuellen Missbrauchsfälle der katholischen Kirche zusammen mit den Betroffenen aufzuarbeiten und hat erlebt: „Meine erste Hilfe vor Ort sind immer wieder Frauen.“

Dieser Theologe, Psychotherapeut und Berater von Papst Franziskus soeben über seine Schwierigkeiten innerhalb der Kirche: „Die hartnäckige Abwehr und dass man nur zugibt, was sich gar nicht mehr verbergen lässt, liegt oft an der Angst der Bischöfe, persönliche Verantwortung übernehmen zu müssen. Hinderlich ist auch der Glaube, dass man ja von Gott ins Amt berufen wurde und folglich nicht abberufen werden kann, allenfalls vom Papst. Es sind aber keineswegs nur Bischöfe, sondern auch einfache Gemeindemitglieder, die meinen, man tue der Kirche einen Gefallen, wenn man ihr Bild in der Öffentlichkeit schützt. Sie verstehen nicht, dass es genau umgekehrt ist: Je mehr man leugnet, desto unglaubwürdiger erscheint die Kirche… Ich sage meinen Studenten,  scheut euch nicht, die Kirche zu kritisieren. Nur dann können wir sie verändern.“ („Die Zeit“, 19. Januar  2023).

Aus Anlass  des Todes von Papst Benedikt XVI. sagte dessen Vertrauter und Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, sein Chef  habe ihn gebeten, dessen Notizen zu vernichten. Darunter waren auch Notizen zum Missbrauchsskandal während der Amtszeit von Benedikt. Dazu fragt die Süddeutsche Zeitung soeben den Verfasser des Gutachtens  zum Kindesmissbrauch in der Diözese München und Freising, den Gutachter Ulrich Wastl. Dieses Gutachten, eine Bilanz des Schreckens, hatte im Januar 2022 weltweit Aufsehen erregt.

Die Zukunft der Kirche ist weiblich

Wastl stellt nun drei kritische Fragen zur Aussage von Bischof Gänswein: „Gab es diese Anweisung des verstorbenen Papstes überhaupt? Geht es wieder nur um die einseitige Deutungshoheit?  Was gilt es zu verbergen?“ (Süddeutsche Zeitung,19. Januar 2023).

Wastls Kommentar dazu: „Für eine fundierte  Aufarbeitung wäre dies ein Schlag ins Gesicht. Es wäre aber auch für die Kirche schädlich.“ Das Fazit des Gutachters dieser endlosen Affäre: „So zerlegt die Kirche sich selbst.“ Jetzt, ein Jahr nach der Veröffentlichung der Münchner Studie sagt Kardinal Marx: „Der Schrecken ist geblieben. Missbrauch ist und bleibt eine Katastrophe.“ Wo aber bleiben die Konsequenzen in der kirchlichen Sexuallehre?

Die ersten Berichte über sexuelle Missbräuche innerhalb der katholischen Kirche kamen bereits Mitte der 80-iger Jahre in den USA ans Licht der Öffentlichkeit, dann Ende der 90-iger Jahre in Irland. Die breite Auseinandersetzung in Deutschland begann erst 2010. Eine besonders erschreckende Studie in Frankreich geht von 250.000 Opfern von Klerikern seit 1950 aus. Mit Spannung wird eine umfangreiche Missbrauchsstudie für 2023 in Spanien erwartet.

Die Frage aller Fragen bleibt: Was lernen die christlichen Kirchen aus ihren Fehlern? Und die Hoffnung für die Kirchen heißt: Die Zukunft ist weiblich.

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