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Die Revolution des Mitgefühls

Wie können wir in den Zeiten der Klimaerhitzung, der Flüchtlingskrise, der Corona-Krise und der Umweltzerstörung geistig so wachsen, dass wir diese Herausforderungen – vielleicht – noch bestehen? Wie können wir reifen statt wachsen? Das ist wohl die Frage aller heutigen Fragen.

Alle Regierungen dieser Welt versichern uns, mit Hilfe materiellen Wachstums die Probleme unserer Zeit lösen zu wollen. Doch im materiellen Bereich gibt es kein ewiges Wachstum. Nur der Krebs wächst ewig – bis zum Tod. Die Regierenden propagieren eine Krebswirtschaft. Die Ergebnisse sehen und spüren wir immer deutlicher. Eine Krise jagt die nächste.

In meiner ARD-Fernsehsendung „Zeitsprung“ zeigte ich im Januar 1993, dass die gesamte Menschheit damals um die 22 Milliarden Treibhausgase pro Jahr in die Atmosphäre blies, heute sind wir bei etwa 40 Milliarden Tonnen pro Jahr angekommen – und das nach über 20 Weltklimakonferenzen mit jeweils Zehntausenden Teilnehmern und nach mehr als 27 Jahren.

Pro Tag emittieren wir heute global etwa 180 Millionen Tonnen CO2, wir rotten jeden Tag um die 150 Tier- und Pflanzenarten aus, verlieren täglich 50.000 Tonnen fruchtbaren Boden und vergrößern jeden Tag die Wüsten um etwa 80.000 Hektar. Unsere Gier nach Fleisch zerstört die Regenwälder. In Afrika erlebten 2019 hunderte Millionen Menschen die fürchterlichste Dürre seit Menschengedenken und fürchten sich vor der nächsten Hungerkatastrophe. Ein ganzer Subkontinent schreit nach Wasser: Angola, Botswana, Kongo, Lesotho, Malawi, Mosambik, Namibia, Ruanda, Sambia, Simbabwe, Südafrika. Im Sommer 2020 brennen nicht nur in Kalifornien die Wälder wie noch nie, sondern auch in Nordsibirien, in Zentralafrika und in Südostasien. Die Gletscher schmelzen heute dreimal schneller als noch vor zehn Jahren. Sind wir noch zu retten?

Bigi Alt | Der Dalai Lama ist das spirituelle Oberhaupt der Exilregierung Tibets mit Sitz in Dharamsala, Indien
© Bigi Alt | Der Dalai Lama ist das spirituelle Oberhaupt der Exilregierung Tibets mit Sitz in Dharamsala, Indien
Wir zerstören unsere Erde, weil wir gegenwartsversessen und zukunftsvergessen sind

Die Zukunft ist uns mehrheitlich ziemlich schnuppe. Ich hatte soeben nach einem Vortrag über die Energiewende dieses Erlebnis: ein älterer Mann kam an den Büchertisch und meinte: „Ach, Herr Alt, das ist ja alles recht und gut mit ihrer Solar- und Windenergie, aber wissen  Sie: Ich bin jetzt 75, für mich reicht´s noch“. Ich fragte ihn zurück: „Haben Sie Kinder?“ Dann senkte er den Kopf, schwieg und ging.

Viele Kinder und Jugendliche beginnen, uns zu durchschauen und sich gegen den Verbrennungswahn, gegen unsere Pyromanie, zu wehren. Die rasche solare Energiewende ist zur Überlebensfrage der Menschheit geworden. Zum Glück stellen sich bereits 28.000 Klimaforscher „Scientists for Future“ hinter die „Fridays for Future“-Bewegung, aber auch „Parents for Future“, ja sogar „Grandparents for Future“, „Farmers for Future“, „Doctors for Future“, „Entrepreneurs for Future”, aber auch die ersten „Journalists for Future“ und „Churches for Future“, ja sogar „Climbers for Future“. Das ist ganz im Sinn des Dalai Lama, der in dieser schwierigen Weltsituation in unserem neuen gemeinsamen Buch („Schützt die Umwelt“) eine „Weltrevolution des Mitgefühls“ fordert. Er hat Greta Thunberg einen Brief geschrieben und sie wissen lassen, dass ihre Fridays für Future-Bewegung zwei ganz starke Argumente auf ihrer Seite habe: Ihre Jugend und die Wahrheit.  

Die jetzt alles entscheidende Frage heißt: Wie bekommen wir den wirklichen Wandel? Nicht mit Angst, sondern mit positiv besetzten Emotionen wie Mitgefühl und Achtsamkeit. Die Technik allein wird uns nicht retten. Wir brauchen dazu eine Öko-Spiritualität. Diese finden wir zum Beispiel in der Bergpredigt Jesu oder im Achtfachen Pfad des Buddhismus. Die gesamte Botschaft Jesu ist voll ökologischer Bilder. Bilder von der Sonne („Die Sonne des Vaters scheint für alle“) und vom Wind (Wind ist bei Jesus immer identisch mit Geist), Bilder vom Sämann und vom Acker, von den Vögeln des Himmels und den Lilien des Feldes, Bilder von Samen, Sand und Senfkorn, vom Dorf und von den Dornen, von Reben, Regen und Reifen, von Ochsen und von Ottern, von Sternen und vom Sterben, von Seele und Segnen, von Verstehen und Vergeben, von Trinken und von Trauben, vom Wachsen und vom Wandern, von Waschen und von Wasser, von Wein und von den Weiden, von Weisheit und Weizen, von Wundern und Wölfen, vom Wohnen und vom Wohltun, vom Wurm, von der Wurzel und von der Wüste. Meine Frage an die Kirchen: Und dieser Jesus, der in diesen Bildern sprach,  soll kein Ökologe gewesen sein?

Der Dalai Lama sagte mir mal: „Buddha war ein Grüner und ich bin ein Grüner. Ich würde heute, wenn ich in Europa wohnen würde, die Grünen wählen. Ihre Umweltphilosophie ist der Naturverbundenheit des Buddhismus sehr nahe“. Der Gott Jesu ist geistige Energie. Wenn ich heute vor Theologen über dieses Thema spreche und sage „Gott ist Energie – die Sonne hinter der Sonne“ widerspricht niemand mehr.

Ohne Energie kann es in den heute noch armen Ländern keine ökonomische Entwicklung geben. Ohne Energie bleibt vielen Menschen in den Entwicklungsländern nur die Flucht in die ökonomisch reichen Länder. Was würden wir denn tun, wenn wir in den armen Ländern leben würden und keine Perspektive für unsere Kinder sähen?

Die UNO prognostiziert bis zum Ende unseres Jahrhunderts mehr als 400 Millionen Klimaflüchtlinge. Sie fliehen natürlich dorthin, wo sie auch ökonomische Perspektiven sehen. Wir ernten jetzt, was wir gesät haben. Wir in den Industrieländern haben den Klimawandel verursacht, nicht die armen Länder. Die Armen sind die Opfer unseres Handelns. Und deshalb werden sie zu uns kommen, wenn wir die Klimaerhitzung nicht stoppen. Ein Mensch in Bangladesch oder in Schwarzafrika verbraucht vielleicht ein Zwanzigstel der Energie eines deutschen Menschen. Wir sind die Fluchtursache, nicht die Afrikaner, die zu uns kommen wollen oder müssen. Wohin sollten sie denn sonst, wenn nicht nach Europa? Hier sitzen die Täter.

Depositphotos | maximsamos
© Depositphotos | maximsamos
Der 3. Weltkrieg gegen die Natur

Der durchschnittliche US-Bürger emittiert pro Jahr 18 Tonnen Kohlendioxid, ein Deutscher neun Tonnen, ein Schwede 4.5 und ein Mensch in Bangladesch oder Zentralafrika 0,5 Tonnen.

Bisher kamen meist Kriegsflüchtlinge zu uns. 2015 zum Beispiel aus Syrien oder aus Afghanistan. Sie gehen meist nach den Kriegen wieder zurück, um ihre zerstörte Heimat aufzubauen wie auch die Jugoslawien-Flüchtlinge nach den dortigen Kriegen in den Neunzigern. Wohin aber sollen die künftigen Klimaflüchtlinge zurück?

Die Klimaerhitzung betrifft die ganze Welt. Ein Problem, das wir wieder einmal verdrängen. Aber alles, was wir verdrängen, holt uns irgendwann ein. Millionen Klimaflüchtlinge werden künftig auch nach Deutschland drängen, wenn wir die Ursachen der Flucht, die Klimaerhitzung, nicht endlich und wirklich und rasch stoppen.

Die Klimaerhitzung ist ein Weltkrieg gegen die Natur und betrifft alle Länder. Wir werden unterscheiden lernen müssen zwischen Kriegs-Flüchtlingen und Flüchtlingen, die durch den Klimawandel von uns zur Flucht gezwungen wurden. Danach gibt es kein Zurück.

Die gesamte Menschheitsgeschichte ist eine Flüchtlingsgeschichte. In jedem von uns steckt ein Flüchtling. Das begann schon vor circa 200.000 Jahren als homo sapiens von Ostafrika aufbrach und sich über die ganze Welt ausbreitete.

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Ich schreibe diese Zeilen im ICE wenige Monate nach dem 250. Geburtstag des deutschen Universalgelehrten Alexander von Humboldt. Seine Forschungs- und Entdeckungsreise nach Lateinamerika 1799 bis 1804 brachten unendlich viele neue Erkenntnisse über Naturgesetze und über den Reichtum der Natur. Nie zuvor hatten Berichte über die Tropen so viel weltweite Aufmerksamkeit erregt. Viele deutsche Zeitungen nennen Alexander von Humboldt den „ersten Umweltschützer der Welt“. Tatsächlich schwärmte er geradezu von den „Wundern der üppigen Urwälder“ und deren Artenvielfalt. Er sei darüber „von Sinnen“, schrieb Humboldt begeistert. Dieser großartige, stets neugierige und weltberühmte Naturwissenschaftler wäre heute ebenfalls „von Sinnen“, wenn er die unfassbare und widerliche Brutalität erleben müsste, mit der in unserer Zeit diese „Wunder der Natur“ vernichtet werden – aus Gier und Dummheit.

Der universalistische Naturforscher hat die Welt als Ganzes betrachtet. Jetzt, in den Zeiten, in denen die Ergebnisse von ganzheitlich denkenden und forschenden Wissenschaftlern dreist geleugnet werden (zum Beispiel von der AfD oder von Donald Trump), kann Humboldt als vorbildlich gelten. Was für ihn ganzheitlich war, nennt der Dalai Lama die Interdependenz allen Lebens.

Humboldts Begeisterung für Blumen und Blätter, für die Flüsse und Fliegen der tropischen Regenwälder, gepaart mit wissenschaftlicher Akribie, ist das Gegenteil dessen, wohin uns der Geist maximaler Ausbeutung, ewigen Wachstums und brutaler Gier geführt hat. Dieser Ungeist lässt heute Amazonien lodern. im Herbst 2019 brannte auf Sumatra so viel Wald, dass ganz Städte zu ersticken drohten, tausende Schulen mussten schließen, die Brände setzten in fünf Wochen 360 Millionen Tonnen Kohlendioxid frei. Das Gletschereis schmilzt auf Grönland und in Alaska, in der Arktis und Antarktis, in den Alpen und im Himalaya. Die Permafrostböden in Sibirien tauen auf. Die Hälfte der Regenwälder, welche die Lunge unseres Planeten sind, haben wir in den letzten Jahrzehnten bereits vernichtet. Unsere Erde lebt nur noch mit einem Lungenflügel.

Mit den Urwäldern stirbt nicht nur die Idee einer beseelten Natur, in der alles mit allem zusammenhängt, sondern wir zerstören sogar unsere eigenen Lebensgrundlagen. Der heutige Präsident in den USA leugnet die Erderhitzung so wie in Deutschland eine ganze Partei, die AfD, obwohl alle Fachleute widersprechen. Alexander von Humboldt hat nie getrennt zwischen Wissen und Empfinden, zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Mensch und Natur, zwischen Ökonomie und Ökologie. Er wusste, dass der Mensch vom Klima abhängig ist. Humboldts vernetztes Wissen war immer gepaart mit Verantwortungsbewusstsein für das Weltganze.

Die Klimaerhitzung und die möglich gewordene globale Klimakatastrophe ist im gesamten 21.Jahrhundert und wahrscheinlich weit darüber hinaus die größte und wichtigste Baustelle auf unserem Planeten.

Benevento Publishing
© Benevento Publishing

Es ist nicht pathetisch, sondern einfach wahr: Das Ende der menschlichen Zivilisation ist möglich geworden.

Der Dalai Lama sagt: „Es ist gut, dass junge Menschen auf der ganzen Welt heute für ein gutes Klima demonstrieren. Sie zeigen damit einen realistischen Blick auf ihre eigene Zukunft. Wir Erwachsene sollten die jungen Menschen unterstützen“. Es sei immer noch möglich, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert des Friedens uns der Umweltpolitik werde.

Transformation ist möglich – es gibt immer Alternativen Was wir tun, können wir auch lassen.

„Ich kann ja doch nichts ändern“  ist die fatalste und fatalistischste Ausrede, die Menschen je eingefallen ist. Zugleich ist diese Ausrede die weltweit am  meisten gebrauchte.

Jeder Mensch ist von Natur aus zur Transformation fähig. Das ist der Sinn unseres Hierseins. Alle Probleme, die von Menschen verursacht wurden, können auch von Menschen gelöst werden.

  • Frieden ist möglich
  • Liebe ist möglich,
  • Gerechtigkeit ist möglich,
  • Mitgefühl ist möglich,
  •  Klimaschutz ist möglich,
  • nachhaltiges Wirtschaften ist möglich,
  • eine bessere Welt ist möglich

Schönen Worten müssen freilich entsprechende Taten folgen. Nur Taten sind der Wahrheitsbeweis unserer Worte. Dann werden aus Utopien konkrete und realisierbare Visionen.

Die Gier nach Geld entsteht aus Nichtwissen, sagen Buddha und Jesus. Diese Gier ist folglich irrational. Keine Geldsumme, kein Aktienkurs, kein Sozialprodukt, kein Vermögen ist jemals hoch genug, um unsere Gier zu befriedigen und dieses irrationale Bestreben zu beenden. Die Menschen der reichen Industriestaaten, deren Einkommen sich nach 1945 alle 20 Jahre etwa verdoppelte, sind nicht glücklicher als vor 1945.

Das einzige Gegengift zu Geld und Gier ist das Mitgefühl, lehrt uns der Buddhismus, aber auch das ursprüngliche Christentum lehrte dasselbe solange es noch ein Jesus-tum war. Beiden Religionen ist im Ursprung der Dogmatismus fremd, sie sind dem Pragmatismus und der Wissenschaft verpflichtet. Wenn die Wissenschaft beweist, dass sich die Schriften irren, muss man die Schriften ändern, auch die sogenannten Heiligen Schriften, sie vor allem. In seiner Muttersprache Aramäisch spricht Jesus achtmal von „Wiedergeburt“. Die Theologen und Bischöfe haben diese Hinweise in späteren Jahrhunderten leider gestrichen. In einem Buch, das ich soeben zusammen mit dem Dalai Lama geschrieben habe, sagt der Papst des Ostens: „Wer wie wir Buddhisten an Wiedergeburt glaubt, ist schon aus egoistischen Gründen an der Bewahrung des Planeten interessiert. Er oder sie wissen ja, dass sie wiederkommen und dann einen schönen und keinen kaputten Planeten wollen“.

Menschen können sich ändern

Die besten Dramen der Weltliteratur, übrigens auch die Märchen, sind durchdrungen von der Idee der Wandlungsfähigkeit des Menschen: „Die Göttliche Komödie“ von Dante, Goethes „Faust“, die Odyssee, das Gilgamesch-Epos, Parzival, Jesu Bergpredigt, Platons Höhlengleichnis oder auch Mozarts „Zauberflöte.“

Die moderne Psychologie des 20. Jahrhunderts mit Sigmund Freud und Carl Gustav Jung hat uns ebenso wie die noch jungen Neurowissenschaften des 21. Jahrhunderts – Neuropsychologie, Neurophilosophie und Neurobiologie – erkennen lassen, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, sich zu ändern und zu wandeln. Unser Gehirn kann lernen wie wir einmal Radfahren oder Schwimmen gelernt haben. Prozesse der Wandlung nennt der Schweitzer Tiefenpsychologe C. G. Jung „Individuation“ oder „Selbstwerdung“. Ein Individuationsprozess bedeutet nach Jung die „Anima-Integration“ des Mannes, der seine weiblichen Seelenanteile zu integrieren versucht und die „Animus-Integration“ der Frau, die ihre männlichen Seelenanteile integriert. Das „Selbst“ oder die „Selbstwerdung“ stehen bei Jung für die „Einheit und Ganzheit der Gesamtpersönlichkeit“. Wandlung  – oder religiös gesprochen „Umkehr“ – ist immer und grundsätzlich möglich. Menschen können lernen, wenn sie es nur wollen. Unser Wille ist zwar oft blind, aber blöd ist er nicht. Wir können unseren Willen trainieren wie einen Muskel. Nur deshalb ist im Laufe der Geschichte scheinbar Unmögliches immer wieder möglich geworden: Die Abschaffung der Sklaverei und der Kinderarbeit, die Emanzipation der Frau und die Trennung von Staat und Kirche, die Menschenrechte und die Demokratie und 1989 die deutsche Wiedervereinigung.

pixabay.com | geralt | Erde behüten
© pixabay.com | geralt | Erde behüten
Zehn Gebote für das Klima
  1. Bis 2035 spätestens müssen die Treibhausgas-Emissionen auf null zurückgefahren werden. Die effektivste Art, das Klima zu schützen, ist der rasche Ausstieg aus der Kohlekraft. Die Slowakei will bis 2030 aus der Kohle aussteigen, Griechenland bis 2028 und das klassische Kohleland England bereits 2025. Warum Deutschland erst 2038?
  2. Alles was neu gebaut wird, muss emissionsfrei sein. Zum Beispiel durch mehr Holzbauten. Aluminium als Baustoff ist 128mal so Klimabelastend wie Holz. Immer mehr Europäer bauen schon heute mit Holz.
  3. Ab sofort darf der Bau von Kraftwerken nur dann zugelassen werden, wenn diese Erneuerbare Energien nutzen. Die heutigen Milliarden-Subventionen für Treibhaus-Dreckschleudern streichen.
  4. Ab 2025 dürfen nur noch E-Autos neu zugelassen werden oder Autos mit anderen CO2-freien Motoren. Dass das geht, hat Kalifornien schon in den 90-igern bewiesen, indem es Quoten für E-Autos einführte. China, der größte Automarkt der Welt,  führt solche Quoten ab 2019 ein. Jetzt müssen alle anderen folgen. In Kalifornien sind Verbrennungsmotoren ab 2035 verboten.
  5. Wir müssen den öffentlichen Verkehr stark ausbauen. Mehr Skype-Konferenzen statt persönlicher Treffen. Mehr Home-office. Und wir dürfen weniger Fläche für Häuser, Straßen und Industrie zubauen, sondern höher bauen und intelligenter verdichten. Ökologisch bauen heißt, nicht neu bauen, sondern primär sanieren und renovieren. Neue Industrieanlagen sollten ab 2025 frei von CO2-Emissionen sein. Ein Zeitplan, ab wann nur noch emissionsfreie Technologien verkauft werden dürfen, wird global die notwendigen Innovationen antreiben.
  6. Etwa 25% der jährlichen Treibhausgas-Emissionen sind auf die Produktion von Lebensmitteln zurückzuführen – besonders auf Fleischprodukte. Haben Sie bisher bedacht, dass die Produktion einer Rindfleischsuppe zehnmal so viele Treibhausgase erzeugt wie eine Gemüsesuppe? Schmeckt die Fleischsuppe wirklich zehnmal so gut wie eine Gemüsesuppe? Deshalb sollten alle die Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) beachten. Diese schlagen vor, den Fleischkonsum zunächst zu halbieren und dann zu dritteln. Dies hilft, Übergewicht und Bluthochdruck vorzubeugen, verlangsamt den Klimawandel und senkt die Stickstoffbelastung des Grundwassers. Der Klimawandel muss auch als medizinischer Notfall verstanden werden. Der Zusammenhang zwischen der Klimakrise und unserer Gesundheit ist bisher viel zu wenig beachtet worden. Die Klimaerhitzung ist die größte Bedrohung unserer Gesundheit im 21. Jahrhundert, sagt der Weltärztebund. Und Feinstäube erhöhen das Risiko für Asthma, Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes. Klimaerhitzung ist tödlich. Oder umgekehrt: Klimaschutz fördert die Gesundheit. Wenn wir mehr Radfahren oder zu Fuß gehen, schonen wir nicht nur die Umwelt, sondern gleichzeitig gehen die Herz-Kreislaufkrankheiten, Diabetes und Übergewicht zurück. Wenn wir weniger Kohle verfeuern gibt es weniger Feinstaub und weniger Lungenkranke.
  7. Wir müssen weltweit aufforsten und die Wüsten begrünen wie es die Kinder- und Jugendorganisation „Plant for the Planet“ seit vielen Jahren vorbildlich tut. Sie haben bereits 14 Milliarden Bäume gepflanzt. Ihr Ziel sind 1.000 Milliarden Bäume. Junge Bäumchen helfen nicht von heute auf morgen. Aber wenigstens keimt etwas. Das arme Pakistan hat angekündigt, bis 2030 zehn Milliarden Bäume zu pflanzen. Warum kündigt das deutsche Landwirtschaftsministerium an, nur 100 Millionen Bäume pflanzen zu wollen? Das bettelarme Äthiopien hält den Weltrekord beim Bäume pflanzen: Im Sommer 2019 über 350 Millionen junge Bäume an einem einzigen Tag! Wie wäre es, wenn Papst und Bischöfe und alle Religionsführer ihre Anhänger dazu aufriefen, in der ganzen Welt Bäume zu pflanzen?
  8. Wir dürfen nur noch Politiker wählen, die auch wirklich unsere Interessen vertreten und nicht die Interessen der alten fossil-atomaren Energiewirtschaft oder der fossilen Autowirtschaft. Demo-kratie statt Auto-kratie und: Sonne statt Atom und Kohle.
  9. Solare Entwicklung in armen Ländern ist die beste Vorsorge gegen ungebremstes Bevölkerungswachstum.
  10. Wir alle können weniger kaufen und wegwerfen, mehr Fahrrad fahren und laufen, grüner feiern, zu Ökostrom wechseln, Geld grün und fair anlegen. Wir sollten endlich tun, was wir für richtig halten. Einfacher leben, damit andere einfach überleben. Mehr denken und Widerstand leisten gegen Dummheit und Kurzsichtigkeit. Wir können uns selber vom Überfluss befreien.

Diese Gebote zu realisieren, erfordert eine große Anstrengung. Aber am Ende haben wir eine lebenswertere und bessere Welt für Alle. Die Frucht von Klimagerechtigkeit ist der Frieden.

Die notwendige Überwindung eines materialistischen Weltbildes braucht eine positive Vision, die attraktiver ist als unser altes Weltbild. Die Weltrevolution des Mitgefühls, welche der Dalai Lama in unserem gemeinsamen Buch vorschlägt, kann dabei eine große, vielleicht sogar die entscheidende, Hilfe sein. Die Zeit scheint gerade jetzt dafür reif zu sein. Große Teile der jungen Generation, aber auch zunehmend die Älteren scheinen dafür offen.

Ein einzelner oder eine Einzelne kann nichts tun? Wenn jede und jeder vor seiner eigenen Haustür kehrt, wird die ganze Welt sauber. „Unsere Zukunft

 hängt davon ab, was wir heute tun“ (Mahatma Gandhi). Wer hindert uns daran, wenn nicht wir selber? Eine bessere Welt beginnt beim einzelnen Menschen.

Wenn wir nicht lernen, dass die Gesundheit des Waldes unsere eigene Gesundheit ist, droht die Gefahr, dass wir verschwinden. Vielleicht brauchen wir Menschen ein Baum-Bewusstsein. Der Romanautor Richard Powers meint, wir müssen sehr rasch unsere Blindheit gegenüber unserer angeblichen „Sonderstellung als Mensch“ ablegen. Helfen könnte uns ein „Pflanzenbewusstsein“. Diese Begriffe kommen dem buddhistisch ganzheitlichen Denken des Dalai Lama und seiner Botschaft einer „Revolution des Mitgefühls“ oder auch der Ethik Albert Schweitzers von der „Ehrfurcht vor allem Leben“ recht nahe. Wer seine Augen aufhält, kann die drohende Katastrophe nicht länger leugnen. Wie viel sind wir bereit zu tun, um die Apokalypse aufzuhalten?

W i r  entscheiden, ob  wir ressourcenschonend bauen oder ressourcenvernichtend, ob w i r uns umweltbewusst fortbewegen oder klimazerstörend, ob w i r  uns ressourcenvernichtend ernähren oder aus biologischer Landwirtschaft, ob w i r  Öko- Energie nutzen oder fossil-atomar erzeugte. Der Wandel, den w i r für eine gute Zukunft für alle brauchen, hat bei Millionen Vorbildern bereits stattgefunden. Dieser Wandel ist kein Wunschtraum, sondern schon oft Realität.

Ökoprozesse sind Liebesprozesse

Alles Leben ist beseelt und das Leben ist keine Maschine. Natur ist ein Raum der Verwandlung und Begegnung, ein Seelenraum. Wir teilen den Atem des Lebens mit allen Tieren und allen Pflanzen und allen Bäumen und mit allen Menschen aller Zeiten, auch mit Jesus und Buddha, mit Albert Schweitzer und mit Mahatma Gandhi, mit Nelson Mandela und mit Martin Luther King.

Grundvoraussetzung für ein freiheitlich-kreatives Leben ist, dass Menschenrechte geachtet werden, aber auch eine intakte Natur. Die wirtschaftliche Freiheit in einer ökosozialen Marktwirtschaft hängt immer mit allen anderen Freiheiten zusammen.

Der Nobelpreisträger und Banker der Armen aus Bangladesch Muhammad Yunus fasst diese Idee so zusammen: „Ich glaube, dass es keine bestimmte Gruppe von Menschen gibt, die man Unternehmer nennen sollte. Jeder Mensch ist ein potentieller Unternehmer, und allen jungen Menschen sollte dieser Weg offen stehen. Wir alle können Unternehmer sein, und als Unternehmer bringen wir die Welt und die Wirtschaft zum Erblühen.“ Sozial orientierte Unternehmen (Social Business) können die größten Probleme unserer Zeit entscheidend lösen helfen: die Armut beseitigen, die Arbeitslosigkeit abschaffen und eine nachhaltige Wirtschaft fördern. Kreative Entfaltung und Entwicklung ist nur in einem Klima der Freiheit möglich, niemals in einem Klima der Angst.

Machtkonzentration und Geldkonzentration verhindern freilich die Kreativität und Entwicklung aller. Für die Vision einer besseren Welt sind noch viele tiefgreifende Veränderungen notwendig. Allerdings: Auf der ganzen Welt arbeiten Millionen Menschen bereits an der Verwirklichung dieser Veränderungen. Jede und jeder von uns hat die Möglichkeit, die Welt zu verbessern. Der erste Schritt dazu ist wohl der schwerste: Unser Denken aus alten Strukturen zu befreien und zu transformieren. Jeder ist ein Siebenmilliardstel Teil des Problems.

Gütersloher Verlagshaus
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Die Frage aller Fragen heißt: Wie werden wir Teil der Lösung?   Wir benötigen ein Wirtschaftssystem, das den Bedürfnissen aller Menschen dient und nicht nur der Kapitalvermehrung von wenigen Milliardären. Denn wir haben neben der ökologischen und sozioökonomischen Krise auch eine Gerechtigkeitskrise, eine spirituelle und eine philosophische Krise: Wir orientieren uns an einer Form von Freiheit, die primär „die Freiheit der Starken und die Unfreiheit der Schwachen“ (Ernst Ulrich von Weizsäcker) ist. Das ist weder gerecht noch enkelverträglich. Es besteht die Gefahr, dass wir ohne mutige Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten global total scheitern. Ein Schlüsselwort zur Rettung ist das kleine Wort „möglich“. Nicht zufällig ist dieses Zauberwort im Titel mehrerer meiner Bücher: „Frieden ist möglich“, „Liebe ist möglich“, „Eine bessere Welt ist möglich“, „Die Energiewende ist möglich“, – oft werde ich gefragt, ob ich, was unsere Zukunft angeht, ein Optimist oder eine Pessimist sei?  Ich bin ein „Possibilist“. Alles ist möglich – das hängt meist von uns selbst ab. Das griechische Wort „Krise“, krisis, bedeutet so viel wie Entscheidung. Um Entscheidungen kommen wir in diesen Krisenzeiten nicht herum.

Wir können und sollten die doch recht erfolgreiche soziale Marktwirtschaft in Deutschland zu einer ökosozialen Marktwirtschaft weiter entwickeln. „Ökosozial statt marktradikal“ könnte die Devise heißen. Die weibliche Stimme der indischen Autorin Arundhata Roi: „Eine andere Welt ist nicht nur möglich. Sie ist im Entstehen. An einem stillen Tag höre ich sie atmen“. Im Schoß einer alten Gesellschaft wächst immer eine neue heran. Ökoprozesse sind Liebesprozesse.

Quelle

FRANZ ALT 2020

Bücher von Franz Alt und dem Dalai Lama zum Thema:

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