Auch bei Atom gilt: Ende der Abhängigkeit von Russland
Zwar wird im öffentlichen Raum viel über einen Sofortboykott russischer Energielieferungen diskutiert. Jedoch geht es dabei fast immer nur um Erdgas, Erdöl und Kohle.
Dass die Stromversorgung der EU aber auch besonders von russischer Atomtechnologie abhängig ist, wird oft nicht zur Kenntnis genommen. Von unbelehrbaren Atombefürworter*innen gibt es sogar die absurde Forderung, mit mehr Atomstrom die russische Energieabhängigkeit zu verringern.
Vor allem die osteuropäischen und einige finnische Atomkraftwerke sind aus technologischen Gründen vollständig von der Lieferung russischer Brennelemente abhängig.
Der neue Uranatlas von Nuclear Free Futur Award (NFFA) zeigt klar auf: Das Uran für die Atomkraftwerke in der EU und auch für die noch laufenden in Deutschland kommen zu etwa 20% direkt aus Russland und zu knapp 20% aus Kasachstan.
Etwa 40% des in der EU verbrauchten Urans werden also über den von Putin 2007 gegründeten und per Gesetz direkt dem Kreml unterstellten russischen staatlichen Atomkonzern Rosatom geliefert und tragen damit erheblich zur Kriegsfinanzierung Russlands bei. Wie systemkritisch diese Atomabhängigkeit der EU von Russland ist, kann man daran sehen, dass entgegen des EU-Flugverbots für russische Flugzeuge doch kürzlich Landeerlaubnisse in der EU zur Belieferung von europäischen Atomanlagen mit russischen Brennelementen erteilt wurden.
Zudem verdient Rosatom mit vielen Beteiligungen an europäischen Atomanlagen mit und will immer stärker in der EU auch kommerziell Fuß fassen. Das geschieht weiter trotz aller Kriegsaggression Russlands.
So beharren einige europäische Staaten, insbesondere Ungarn und Finnland auch nach Kriegsbeginn in der Ukraine weiter darauf, ihre Atomkraftwerks-Neubauwünsche mit Rosatom zu verwirklichen. Die Tatsache, dass mit Siemens auch ein deutsches Unternehmen dabei ist, könnte skandalöser nicht sein. Der atompolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Stefan Wenzel, übt daran scharfe Kritik: „Es ist völlig unverständlich, dass sich die EU mit neuen Atomkraftwerken (AKW) – geplant, gebaut und finanziert aus Russland – weiter in die Abhängigkeit von Putin begibt“, sagte er der taz. Weiter erklärt er: „Europäische Firmen wie Siemens dürfen diese Projekte nicht ermöglichen, sondern müssen konsequent ihre Geschäfte mit russischen Staatskonzernen umgehend kappen.“
Auch die Ukraine selbst bezieht weiter Brennelemente für 11 von ihren 16 Atomkraftwerken aus Russland. Die berechtigte Kritik des ukrainischen Botschafter Melnik an den deutschen und europäischen Kriegsfinanzierungen durch Energieeinkäufe aus Russland bekommt einen besonders fahlen Geschmack, solange die Ukraine selbst noch Energiegeschäfte, wie den Einkauf von Brennelementen mit Russland tätigt. So finanziert auch die Ukraine selbst die russischen Waffen mit, womit dann Kriegsverbrechen in der Ukraine begangen werden.
Zudem sind die in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke in der Ukraine eine besonders schlimme Bedrohung für ganz Europa. Sollte nur eines der 16 ukrainischen AKW auch nur durch einen unbeabsichtigten Raketenirrläufer zerstört werden, könnte ein Supergau, so wie damals bei der Tschernobyl-Katastrophe ausgelöst werden. Auch am 35. Jahrestag ist in Teilen der Umgebung von Tschernobyl immer noch eine hohe Verseuchung, die keine Bewohnbarkeit der Gebiete erlaubt. Bei einem stillgelegten Reaktor ist diese Gefahr wesentlich geringer.
Natürlich ist es für die Ukraine sehr schwer auf aktuell ca. 50% der Stromerzeugung aus der Atomkraft zu verzichten. Doch genau Ähnliches verlangt Melnik zu Recht ja auch von Deutschland. Da zeigen sich die Fehler des letzten Jahrzehnts in der Ukrainischen Energiepolitik unter den Präsidenten Poroschenko und Selensky. Beide hatten den Ausbau der Erneuerbare Energien massiv behindert und stattdessen auf den Neubau weiterer Atomkraftwerke gesetzt.
Die bereits erwähnte Lektüre des neuen Atomatlas von NFFA kann ich nur wärmstens allen empfehlen, die Atomkraft immer noch für eine sinnvolle energiepolitische Option halten. Eine Fülle an zusammengetragenen Fakten räumt auf mit den vielen Mythen, die immer noch im medialen wie politischen Raum herumgeistern. So wird klar nachgewiesen, dass Atomkraft nicht billig ist; es keine Renaissance der Atomkraft, auch nicht mit neuen kleinen und mittleren Reaktoren in der Welt gibt und die Atomkraft keinen Beitrag zum Klimaschutz liefern kann. Dagegen wird gezeigt, wie gefährlich die Atomkraft weiterhin ist, wie eng die Verknüpfungen zur atomaren Waffenproduktion sind und wie verheerend ökologisch, sozial und gesundheitsschädlich der Uranbergbau ist.
Erhellend ist auch die Analyse der Verfügbarkeit des Urans auf der Erde: Seit einigen Jahren wird mehr Uran verbraucht als gefördert. Man kann den drastischen Förderrückgang seit 1980 bis 1995 der einst größten Förderregionen USA, Russland, ehemalige DDR, Tschechien, Südafrika und Frankreich erkennen. Danach wurden die Atomkraftwerke vielfach mit Waffenuran in der darauffolgenden atomaren Abrüstungsphase bedient. Seit 2005 neigte sich dies aber einem Ende. Nur durch eine erhebliche Ausweitung in Kasachstan, und geringfügiger auch in Australien oder Usbekistan, konnte ein Uranmangel aufgefangen werden.
Dennoch sinkt die weltweite Uranförderung seit 2015 stark und der Uranverbrauch übersteigt seitdem die geförderten Mengen. Dies sollten sich diejenigen genau anschauen, die immer noch von einer starken Ausweitung der Atomkraft träumen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es dafür nicht genügend Uranmengen auf der Erde gibt.
Quelle
Hans-Josef Fell 2022 | Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG