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© Depositphotos.com | lacheev | Die vermeintliche Idealfamilie gibt es kaum noch – ein Durchschnittshaushalt sieht anders aus.

Energiekosten-Debatte: Die Tränen der Stromsteuer-Senker

Um die im Koalitionsvertrag zugesagte, aber auf der Streichliste stehende Senkung der Stromsteuer für Haushalte hat sich eine bizarre politisch-mediale Debatte entwickelt. Mit der Realität in Deutschland hat sie wenig zu tun.

Ganze Tränenbäche vergießen derzeit manche Politiker und Medien darüber, dass die Stromsteuer für Haushalte nun doch nicht gesenkt werden soll – obwohl es schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD steht.

Der böse Vorwurf des „Wortbruchs“ zieht Kreise. Der Streit entzweit auch die Koalition selbst. Die Fraktionschefs der Union in Bund und Ländern verlangten am Montag nahezu ultimativ von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), ein Machtwort zu sprechen und für Haushalte die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß abzusenken. Also von derzeit 2,05 auf 0,1 Cent pro Kilowattstunde.

Auch die Medien vergießen bittere Tränen. Die verweigerte Absenkung um knapp zwei Cent sei ein „Stromsteuer-Schock“ oder eine „Strom-Sauerei“, wie einschlägige Schlagzeilen lauten. Das garantiert sicher jede Menge Aufmerksamkeit, hat aber mit den wirklichen Verhältnissen wenig zu tun.

Was für die Kritiker des Habeckschen Heizungsgesetzes das Rentner-Paar im eigenen Häuschen ist, das ist für die Verfechter der Stromsteuersenkung die berühmte vierköpfige Familie. Diese würde bei einer Stromsteuer von nur 0,1 Cent und bei einem typischen Jahresverbrauch von 4.000 Kilowattstunden 93 Euro im Jahr weniger zahlen, ist fast überall zu lesen und zu hören.

Alte Zahl eines Preisportals aufgeblasen

Neueste Quelle für die 93-Euro-Ersparnis der Vier-Kopf-Familie ist eine wenige Tage alte Meldung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Die Zahl hat das IW vermutlich nur abgeschrieben. Denn neu sind die 93 Euro ganz und gar nicht.

Bereits im Februar hatte das Preisportal Verivox berechnet, wie sich die ursprünglich geplante Entlastung bei der Stromsteuer auswirken würde. Eine Absenkung im geplanten Umfang würde eine Familie mit einem Jahresverbrauch von 4.000 Kilowattstunden brutto um 93 Euro entlasten, schrieb das Portal damals.

Von einer vierköpfigen Familie steht bei Verivox allerdings nichts. Die hat das IW offenbar der Anschaulichkeit halber hinzugefügt.

Generell hängt der Stromverbrauch eines privaten Haushalts in Deutschland nicht nur von der Zahl der Personen ab, sondern auch von der Wohnsituation, der Art und Weise der Warmwasserbereitung sowie der Ausstattung mit diversen Elektrogeräten.

Laut dem aktuellen Stromspiegel des Beratungsportals CO2-Online beträgt der Stromverbrauch eines Vier-Personen-Haushalts 2.600 bis 4.700 Kilowattstunden jährlich. Leben die vier Leute in einem Einfamilienhaus, werden jährlich 3.800 Kilowattstunden verbraucht, sofern das Wasser nicht elektrisch erwärmt wird.

Wird das Wasser in Küche und Bad mit Strom erwärmt wie bei einem Durchlauferhitzer, kommen etwa 900 Kilowattstunden im Jahr dazu, so der Stromspiegel. Das ergibt dann die obere Verbrauchsangabe von 4.700 Kilowattstunden.

Leben die Vier dagegen in einer Wohnung zusammen – als Familie oder in einer Wohngemeinschaft – beträgt laut Stromspiegel der Jahresverbrauch im Schnitt 2.600 Kilowattstunden. Kommt hier das elektrisch erwärmte Wasser hinzu, steigt der durchschnittliche Stromverbrauch auf 4.000 Kilowattstunden.

Mit einem Spezialfall des Lebens wird Politik gemacht

Insgesamt gibt es in Deutschland, schreibt der Stromspiegel mit Bezug aufs Statistische Bundesamt, knapp vier Millionen Vier-Personen-Haushalte. Von denen lebten 75 Prozent in Ein- oder Zweifamilienhäusern. Und insgesamt haben derzeit etwa 41 Millionen Haushalte ihren Hauptwohnsitz in Deutschland, sagt das Statistikamt weiter.

Halten wir also fest: Haushalte mit vier Personen haben einen Anteil von weniger als zehn Prozent an allen Haushalten. Und die allermeisten vierköpfigen Haushalte leben in einem Eigenheim. Warum 4.000 Kilowattstunden irgendwie „typisch“ sein sollen, erschließt sich einfach nicht. 

Offensichtlich wird ein Spezialfall deutscher Lebenswirklichkeit von Politikern und Medien nur dazu herangezogen, um wegen der ausbleibenden Steuersenkung auf die Tränendrüse zu drücken.

Dem öffentlich-rechtlichen ZDF waren am Montag selbst die 93 Euro zu wenig. „Rund 100 Euro würde eine durchschnittliche Familie so im Jahr sparen“, hieß es wortwörtlich in der 19-Uhr-Heute-Sendung. Ob der populistischen Verkürzung können einem da echt die Tränen kommen.

Auch darüber, dass der Sender für sowas offenbar keine ordentliche Datenbank hat. Einen Tag später teilte die ZDF-Sendung „Frontal“ dem steuergeplagten Zuschauer mit: Die Steuersenkung würde eine, so wörtlich, „dreiköpfige Familie mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 4.000 Kilowattstunden“ um zirka 93 Euro entlasten. 

Woher die 4.000 jetzt für drei Leute kommen, lässt sich schwer nachvollziehen. Die Google-KI teilt bei den Stichwörtern aber mit: Ein Verbrauch von 4.000 Kilowattstunden liege „im normalen Bereich für einen Drei-Personen-Haushalt“. Aha.

Alleinstehende würden knapp drei Euro monatlich sparen

Und was ist mit der übergroßen Mehrheit der Haushalte? Verivox hatte im Februar natürlich auch die Ersparnis für kleinere Haushalte ausgerechnet. Ein Zwei-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 2.800 Kilowattstunden könnte dann, schreibt das Portal, mit einer jährlichen Entlastung von 65 Euro rechnen, ein Single-Haushalt mit einem Verbrauch von 1.500 Kilowattstunden mit 35 Euro.

Die sonst so beliebte Single-Rentnerin würde also durch die Stromsteuersenkung knapp drei Euro brutto im Monat sparen. 

Nun schätzen Menschen, die mitunter den Cent umdrehen müssen, auch eine solche Entlastung sicher nicht gering. Das politisch-mediale Problem ist nur: Aus ausbleibenden drei Euro lässt sich beim besten Willen kein „Stromsteuer-Schock“ konstruieren.

Zumal es gerade für Rentner:innen, Alleinstehende, Alleinerziehende mit Kindern oder kleine Familien in Mietwohnungen ein viel wirksameres Mittel zur sozialen Entlastung von hohen Energiekosten gäbe: das Klimageld.

Von diesem würden gerade Familien mit einem vergleichsweise geringen Stromverbrauch profitieren, weil sie meist auch einen geringeren CO2-Fußabdruck haben. Die pauschale Senkung der Stromsteuer bevorteilt dagegen die Vielverbraucher.

Zu vermuten ist, dass dies genau auch die Absicht der Unionspolitiker ist, die sich jetzt so für die Stromsteuersenkung in die Bresche werfen. Ihnen geht es gerade um ihre Klientel in den meist gut ausgestatteten Eigenheimen. Um deren Stimmen hat die Union im Wahlkampf mit dem endlosen Energiepreis-Bashing gegen die Grünen gebuhlt.

Dahinter kann die Union jetzt nur noch schwer zurück. Sie ist beim Strompreis ein Opfer ihrer eigenen Propaganda. Darüber lässt sich schon die eine oder andere Freudenträne verdrücken, heimlich natürlich.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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