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Gerichte als Klimaschützer

Weltweit nehmen Verfahren gegen Regierungen und ihre Klimapolitik zu.

Bisher schränken die meisten Industrieländer ihren CO2-Ausstoß nur halbherzig ein. Dabei zeigen sich die Auswirkungen der Erderwärmung immer deutlicher. Doch der Druck auf die Politik nimmt zu. Weltweit ziehen Klimaschützer vor Gericht, um die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen einzuklagen. Am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht befassen sich Forschende mit der Frage, was Rechtsprechung und Gesetze gegen den Klimawandel ausrichten können.

Hannes Schwerdtner aus der Uckermark ist zornig. Zornig auf die heftigen Sturmböen, die seine Wiesen, die früher seine 400 Rinder ernährten, in Sandwüsten verwandelt haben. Zornig auf die Bundesregierung wegen ihrer unambitionierten Klimapolitik und wegen der Wassernotstandsgesetze, die ihm keinen Brunnenbau erlauben. 30 Rinder halte er jetzt noch, den Rest habe er notschlachten müssen, erklärt der Landwirt als Zeuge vor dem Internationalen Gerichtshof in Berlin. Infolge von Sturmfluten war der Gerichtshof vorübergehend verlegt worden.  

Was glaubhaft klingt, ist jedoch (noch) eine Fiktion aus dem ARD-Fernsehfilm „Ökozid“, ausgestrahlt im vergangenen November. Die Story: 31 Länder des globalen Südens verklagen die Bundesrepublik im Jahr 2034 auf Schadensersatz infolge unzureichenden Klimaschutzes – seien es der späte Ausstieg aus der Kohleenergie, die weltweite Vergabe von Krediten der staatlichen Förderbank KFW für den Bau von Kohlekraftwerken oder die Stützung der heimischen Auto­industrie durch lediglich halbherzige Maßnahmen zur CO2-Reduktion. In dem fiktiven Verfahren bezeugt auch die Filmfigur des deutschen Landwirts Schwerdtner die dramatischen Auswirkungen dieser Versäumnisse.

Alles Science-Fiction? Mitnichten. Was die Utopie des Autors und Regisseurs Andres Veiel zeigt, beruht auf neuesten Erkenntnissen der Klimaforschung und der Rechtswissenschaft. Rechtsexpertinnen und -experten des Heidelberger Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht lieferten den juristischen Background für das Drehbuch. Wissenschaftliche Fakten für ein sehr reales Zukunftsszenario, ein Planspiel für die Zeit, wenn sich die Erd­atmosphäre noch weiter aufgeheizt haben wird – und zahllose Menschen unter den Auswirkungen leiden werden.

Tatsächlich ist das Szenario inzwischen gar nicht mehr so weit weg von der Realität. Ob Australien, die USA, Frankreich, die Schweiz, Großbritannien oder Deutschland: Immer öfter ziehen Klimaschützer vor Gericht. „Weltweit erleben wir eine sehr dynamische Entwicklung von Klimaklagen, die Zahl der anhängigen Verfahren explodiert“, berichtet Tom Sparks, ehemaliger wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. „Ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof gibt es bislang zwar noch nicht, aber es wäre möglich“, erklärt der Experte für internationales Klima- und Verfahrensrecht, der auch die ARD-Filmemacher mitberaten hat.

Ökozid – ein fiktives Zukunftsszenario

2034 sind die Folgen der Klimakatastrophe dramatisch: Dürre und Hochwasser vernichten die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. Ein Gericht muss entscheiden, ob die deutsche Politik für ihr Versagen beim Klimaschutz und wegen zu geringer Maßnahmen gegen den Klimawandel zur Verantwortung gezogen wird.

Das Gros der Fälle spielt sich derzeit vor nationalen Gerichten ab. Das Schlagwort #climatejustice steht für den juristischen Kampf um mehr Klimaschutz und eine gerechtere Verteilung der Lasten und bildet die juristische Ergänzung der „Fridays for Future“-Bewegung, die Fortsetzung der Protestmärsche hinein in die Gerichtssäle der Welt. In einem weltweiten Netz bündeln Klimaforschende, Aktivisten und Juristen ihr Wissen: Ob „Lawyers for Future“ oder Umweltrechtler in der Wissenschaft, sie alle setzen auf Gerichtsverfahren, die öffentliche Aufmerksamkeit schaffen; sie sammeln und analysieren Rechtsgrundlagen und Urteile weltweit, etwa in der Datenbank Ecolex.

Mittlerweile liegen juristische Einschätzungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) mit einer einordnenden Stellungnahme (Advisory Opinion), des internationalen Seegerichtshofs, des UN-Kinderrechtsausschuss im Falle Sacchi u.a. gegen Argentinien u.a. sowie et al. (Convention on the Rights of the Child, Committee on the Rights of the Child) und des UN-Menschenrechtsausschus (Daniel Billy at al. versus Australia).

Klimaziele sind nicht direkt einklagbar

Das Hauptargument von Aktivisten, Betroffenen und Umweltverbänden, die sich per Klage gegen den Staat wenden: Der Klimawandel verletzt Menschenrechte. Er bedroht das ökologische Existenzminimum des Menschen, das sich aus dem Recht auf Leben, auf Familie, aber auch ­auf Wohnen ergibt. Es ist in nahezu allen Rechtsordnungen der Welt in nationales (Verfassungs-)Recht umgesetzt oder wird zumindest als Standard akzeptiert.

„Dieser Weg ist sehr vielversprechend, es gibt aber auch Grenzen“, beobachtet Rechtswissenschaftler Sparks. Nach dem Pariser Abkommen von 2015 sind die 191 beteiligten Staaten, darunter auch die EU-Mitglied­staaten und die USA, verpflichtet, bestimmte Klimaziele zu erfüllen, die sie sich selbst gesetzt haben. „Einklagbar sind diese Ziele jedoch nicht direkt“, erklärt Sparks. Vor allem den Industrienationen als Treibhausgas-Emittenten sei es wichtig gewesen, mit dem Abkommen keine neue Klagemöglichkeit zu schaffen.

Und gerade deswegen scheitern auch viele Verfahren, wie ein Blick in die Urteilsdatenbank zeigt: Der Euro­päische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg wies Ende März den „People’s Climate Case“ – eine Klage von zehn Familien aus der EU, Kenia und Fidschi – auf strengere Klimaziele bereits unter formalen Gesichtspunkten ab. Die Kläger, wie die deutsche Familie Recktenwald aus Langeoog, arbeiten allesamt im Tourismus oder in der Landwirtschaft. Sie hatten das Europäische Parlament und den Rat der EU wegen unzureichender Vorgaben zum Klimaschutz verklagt. Der EuGH entschied jedoch nicht in der Sache, er wies die Klage als unzulässig ab. Wie die Vorgängerinstanz verneinte er die Befugnis zur Klage. Klimaziele gewähren keine Individualrechte, lautet das Argument der Richter, selbst wenn die Folgen des Klimawandels durch Dürren oder Überflutungen einzelne Personen- oder Berufsgruppen bereits jetzt besonders treffen. Höhere Klimaziele – die Absenkung der Treibhausgase bis 2030 um 50 bis 60 Prozent (statt der bis zu jenem Zeitpunkt anvisierten 40 Prozent) gegenüber 1990 – lassen sich per Klage vor dem EuGH nicht durchsetzen.

Klagegrund: Untätigkeit der EU-Staaten

Weniger eng sah es indes der Euro­päische Gerichtshof für Menschenrechte: Er ließ  im März die Klagen junger Portugiesen im besonderen Verfahren zu. Die Kläger, Kinder und Jugendliche zwischen neun und 22 Jahren, fordern stärkere Klimaschutzmaßnahmen von 33 Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention, darunter auch von der Bundesrepublik. Hintergrund sind die verheerenden Waldbrände, die 2017 in der Region Pedrógão Grande mehr als 100 Menschen das Leben gekostet haben. Die Kläger berufen sich auf die Artikel 2 und 8 der Konvention, die das Recht auf Leben und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens schützen. Ihr Vorwurf: Die Untätigkeit der EU-Staaten, aber auch Russlands oder Großbritanniens gegen den Klimawandel ist für das Ausmaß der wiederholten Brände mitverantwortlich.

Quelle

MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT 2024 | Text: Michaela Hutterer | Bei dem Text handelt es sich um die aktualisierte Fassung eines Artikels, der in der Ausgabe 2/21 des Wissenschaftsmagazins MaxPlanckForschung erschienen ist. Stand: 9. April 2024

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