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Hans-Peter Dürr: Kreativität braucht Unsicherheit

Nobelpreisträger blickt optimistisch auf aktuelle Wirtschaftskrisen.

Der Weg aus der Krise in eine nachhaltige Zukunft wird der Menschheit gelingen, sobald sie sich von überholtem Denken verabschiedet und kreative Offenheit entwickelt. Dazu muss statt Stabilität und Sicherheit die Lebendigkeit zur Richtschnur werden, fordert Hans-Peter Dürr, Träger des Alternativen Nobelpreises 1987 sowie des Friedensnobelpreises 1995 als Mitglied der Gruppe „Pugwash“. Der deutsche Atomphysiker und Philosoph stellte am gestrigen Dienstagabend auf Einladung von ecoplus.at sein Buch „Warum es ums Ganze geht – Neues Denken für eine Welt im Umbruch“ vor.

Schizophrene Gegenwart

Die Krise der Gegenwart ist für Dürr Folge eines großen Missstandes. „Wir wollen mit Denkweisen aus dem 19. Jahrhundert und der Technologie des 20. Jahrhunderts den Auftrag der Gestaltung des 21. Jahrhunderts erfüllen. Das ist schizophren – und muss schief gehen“, so Dürr. Zu sehr sei die Menschheit auf Analyse der Einzelteile fixiert, erfasse damit bloß die materielle Oberfläche und degradiere Ethik und Moral zu lästigen Randerscheinungen. Der Wissenschaftler sieht auch eine „Naturvergessenheit“, mit der der Mensch die geistige Dimension der Umwelt leugnet und sich von ihr distanziert, obwohl er von ihr abhängt.

Schrauben lockern statt fester ziehen

Als Gegenentwurf propagiert Dürr ein „völlig neues Denken“, das die Welt mit Abstand und die Zukunft als offen statt vorherbestimmt erkennt. „Wir sind nicht machtlos den Naturgesetzen ausgeliefert. Vielmehr gibt es überall viele Lösungen, da wir kreativ sind und den weiteren Verlauf der Schöpfung mitbestimmen. Alles ist fähig, sich zu verändern.“ Kreativität gibt es für den Physiker am ehesten in Momenten der Unsicherheit, was er am Beispiel des Pendels erklärt. „Am ‚tipping point‘ entscheidet eine unscheinbare Kraft, wohin die Schwingung geht. Statt die Schrauben fester zu stellen, sollten wir sie herausnehmen.“

Die Umsetzung in die Praxis muss auch mit wackeligen Zuständen zurechtkommen, so Dürr. Schwarzmalerei sei dabei fehl am Platz. „Die Tibeter sagen, ein fallender Baum macht viel mehr Lärm als ein wachsender Wald. Wir haben vergessen, dass wir unsere Existenz dem Wald verdanken, nicht dem Baum. Dass wir es besser können, zeigt die Tatsache, dass es uns heute noch gibt.“ Der Nobelpreisträger fordert das Überwinden der Macht der Finanzwirtschaft. „Konkurrenz und Beschleunigung führen zum Absturz. Nachhaltig ist erst eine Kooperation, von der auf höherer Stufe alle etwas haben.“

Krise schafft Bewegung

Die Reaktionen auf den Vortrag würdigten besonders den optimistischen Ausblick des Physikers. „Vieles hat sich bereits bestätigt. Die Unsicherheit der Wirtschaftskrise 2008 setzte tatsächlich ein großes kreatives Potenzial frei. Wo früher über lange Zeit Statik herrschte und kein Weiterkommen möglich war, wurden plötzlich Synergien und mehr Effizienz möglich“, unterstreicht Helmut Miernicki, Geschäftsführer von ecoplus.

Quelle

pressetext 2011Johannes Pernsteiner 2011

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