Hinter der gescheiterten Klimakonferenz stecken tiefgreifende Probleme
Die Klimakonferenz in Madrid ist am Klimaschutz-Paradox gescheitert: Weltweit erheben so viele Menschen wie nie ihre Stimme für die Rettung des Planeten, die Jugend rebelliert – dennoch handeln die Regierungen nicht. Der Versuch einer Erklärung.
Nach knapp zwei Wochen Verhandlungen inklusive zwei schlafloser Nächte ist die Klimakonferenz COP25 in Madrid gescheitert. Zwar nicht offiziell, denn es gibt einen Gipfelbeschluss. Dieser ist aber weitgehend inhaltsleer, denn alles Wichtige wurde auf nächstes Jahr verschoben, um schlechte Beschlüsse zu verhindern. Klima-Experten, Wissenschaftler und NGOs äußern sich entsetzt, viele Regierungen geben sich zerknirscht.
Es ist das Paradox der internationalen Klimapolitik. Seit einem Jahr reden alle von Klimaschutz. Millionen Menschen rund um den Globus versammeln sich zu Protesten und fordern von ihren Politikern ernsthafte Anstrengungen im Kampf gegen die Klimakrise, die Jugend setzt sich ein, die Erwartungen der Bevölkerung an ihre gewählten Volksvertreter wachsen. Und doch handeln diese nicht, sie zögern und zaudern. Business as usual. Obwohl große Teile eben jener Politiker sich vor Jahren noch wünschten, es würden sich mehr junge Menschen politisch einmischen.
Erklärungsversuch 1: Viele Politiker hängen im gestrigen Denken und alten Strukturen fest
In Deutschland lässt sich diese These am Klimapaket der Bundesregierung ablesen. Beinahe ein Jahr enormer Druck aus der Gesellschaft, aus den Medien und der Wissenschaft hat dazu geführt, dass sich insbesondere die Parteispitzen von CDU und CSU für ihren Klimaschutzplan feiern ließen – allerdings nur von sich selbst. Das Klimapaket ist eher ein Päckchen, wird kaum mehr Klimaschutz bringen und Deutschland damit die Klimaziele 2030 nicht erreichen, darin sind sich Experten einig. Dennoch war es für die Union geradezu radikal – für das Klima aber zu wenig.
Die Beobachtungen in Berliner Politikkreisen zeigen, wie wenig viele führende Politiker verstanden haben, um was es sich bei der Klimakrise handelt. Mit der Natur und dem Klima lassen sich keine Kompromisse aushandeln. Große Teile der Wirtschaft sind da längst weiter, sie fordern mehr Windkraft und einen höheren CO2-Preis, weil sie wissen: Wird der Klimaschutz nicht heute ernsthaft angestoßen, treibt das nur die Kosten in der Zukunft in die Höhe.
Nun muss man fairerweise zugeben: Von den Staaten mit hohem CO2-Ausstoß sieht es klimapolitisch in Deutschland noch ganz gut aus. Zwar gibt es weltweit einzelne Vorreiter – besonders in Europa und besonders die neue EU-Kommission – aber fast alle G20-Staaten ducken sich weg. Die politisch Verantwortlichen wichtiger Länder mit hohen Emissionen, wie die USA, Australien und Brasilien, negieren sogar den menschengemachten Klimawandel und blockieren wie in Madrid ganze Klimakonferenzen
Erklärungsversuch 2: Die Abkehr von der Wissenschaft
Was haben diese Länder und Teile der Bundesregierung gemeinsam? Sie ignorieren die Wissenschaft, ihre eigenen wissenschaftlichen Beiräte und Regierungsberater. Fakten werden durch Meinungen und gefühlte Wahrheiten ersetzt. Das war zum Teil schon immer so. Bestes Beispiel ist die Angst in der Bevölkerung, Opfer einer Straftat zu werden. Diese steigt seit Jahren, obwohl die Zahl der Straftaten seit Jahrzehnten kontinuierlich absinkt. Es war noch nie so unwahrscheinlich in Deutschland Opfer einer Straftat zu werden – dennoch steigt die Angst davor.
Auch im sozialen Bereich, bei der Bekämpfung von Armut, hören Bundesregierungen seit Jahren beharrlich weg, wenn ihre wissenschaftlichen Berater wieder herausgefunden haben, wie beispielsweise Kindern eine Perspektive aus dem Armuts-Strudel gegeben werden könnte.
In Sachen Klimakrise haben wir allerdings eine andere Ausgangslage. Stabilisieren wir nicht das Klima, geht es allen Deutschen und der gesamten Menschheit an den Kragen. Das Politikversagen führt in diesem Fall zu gewaltigen Konsequenzen für alle. Und nicht nur zu einem Flughafen, der neun Jahre zu spät eröffnet wird und als kontinuierlicher Witzelieferant herhalten muss.
Erklärungsversuch 3: Die Klimakrise ist zu groß, um sie sich vorzustellen – und wird ignoriert
Wir dürften nicht zu sehr warnen vor den Auswirkungen des Klimawandels, der „Alarmismus“ vieler Wissenschaftler und Fridays for Future sei übertrieben, so werde nichts erreicht. Diese und ähnliche Argumente sind zunehmend zu hören. Und tatsächlich gibt es seriöse Psychologen und Verhaltenswissenschaftler, die sagen, Menschen würden Gefahren verdrängen, wenn sie zu komplex, zu unbekannt und ihr Eintreffen nahezu unausweichlich erscheine – und darüber hinaus nicht sinnlich und unmittelbar erfahrbar sind.
Das mag sein, aber die Lage ist tatsächlich so dramatisch, dass wir sie weder totschweigen, noch ignorieren oder kleinreden können. Diesen „Alarmismus“ betreiben nicht irgendwelche Wissenschaftler auf Grundlage halbgarer Studien. Es ist das „Who ist Who“ der Klimaforschung, vom Weltklimarat IPCC der Vereinten Nationen in seinen Studien von tausenden Wissenschaftlern bestens dokumentiert. In Deutschland sind es Zehntausende Wissenschaftler von Scientists for Future oder das renommierte Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung – nicht gerade Außenseiter, sondern die besten Klimaforscher des Landes.
Erklärungsversuch 4: Das letzte Aufbäumen der fossilen Industrie (die Mut machende Erklärung)
Die Zeiten kosmetischer Klimapolitik sind vorbei. Jetzt begreifen auch die Letzten, dass vier Jahre nach der historischen Klimakonferenz von Paris nicht nur Lippenbekenntnisse sondern Taten notwendig sind. Schließlich müssen die Staaten im nächsten Jahr ihre verpflichtenden Klimaziele bei den Vereinten Nationen einreichen, der Klimavertrag beginnt mit seiner Wirkung. Die Widerstände bei der Klimakonferenz sind deshalb sozusagen ein letztes Aufbäumen der fossilen Industrie, so die Lesart einiger Beobachter.
Dazu gehört auch die deutsche NGO Germanwatch. Ihr politischer Geschäftsführer Christoph Bals sagt: „Alle Länder sehen, dass der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas nun in eine ernsthafte Phase kommt. Deshalb organisieren einige Staaten, die eng mit der Kohle- und Öl-Lobby verbandelt sind – wie die USA, Brasilien und Australien – eine letzte Abwehrschlacht“.
Es ist eine äußerst positive Deutungsweise der Ereignisse und sie muss nicht falsch sein. Dennoch erklärt sie nicht, warum die anderen Staaten der G7 oder der G20 sich verstecken und bremsen. Selbst die EU tat sich auf ihrem Gipfel sehr schwer damit, das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 auszurufen und verlor mit Polen ein Mitglied bei diesem Thema. Trotz einer entschlossenen EU-Kommission und etlichen engagierten Mitgliedsländern.
Erklärungsversuch 5: Kurzfristige Erfolge schlagen langfristig Notwendiges
Eine der wahrscheinlichsten Erklärungen lieferte einer der bekanntesten und renommiertesten deutschen Klimawissenschaftler. Im heute-journal sagte Prof. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung: „Wir haben sicher ein Zeit-Problem.“ Weil die Kosten des Klimawandels erst sehr viel später voll spürbar werden, während die Kosten für den Klimaschutz schon heute durchschlagen. Zudem: „Wenn wir jetzt mit dem Klimaschutz noch länger warten, wird es immer teurer.“
Das ist aber ein Problem für viele Politiker, deren oberste Maxime oft nicht die Frage darstellt: Was ist gut für unser Land, für die Bevölkerung und die Zukunft? Stattdessen schielen sie nach der wöchentlichen Meinungsumfrage und spekulieren mit Unternehmensberatern, weshalb welche Partei 1,5 Prozentpunkte in der Wählergunst verloren hat, statt ihre Energie in Zukunftsfragen des Landes zu stecken. Das ist kein rein deutsches Phänomen, aber hierzulande gut zu beobachten.
Politik ist oft getrieben von der Sorge um die nächste Wahl. Es entsteht ein Streben nach kurzfristigen Erfolgen, um etwas vorzeigen zu können und sich die Wiederwahl zu sichern. Dabei ist noch nicht einmal gesichert, dass Wähler eine gut gemachte, zukunftsweisende Politik nicht wertschätzen würden. In Deutschland lähmt die Angst vor dem nächsten Urnengang, vor ein paar verärgerten Bürgern und den Scharfmachern von der AfD so manchen Spitzenpolitiker der Großen Koalition. Sie ist visionslos geworden, zum Schaden des Landes.
Quelle
Der Bericht wurde von
der Redaktion “energiezukunft“ (Clemens Weiß) 2019 verfasst – der Artikel darf nicht
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Heft 27 / 2019 | „Europas Energiewende“ | Jetzt lesen | Download