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Liberalisiert China seine Tibet-Politik?

Es gibt einige zarte Anzeichen dafür, dass das kommunistische China seine Tibet-Politik etwas lockert. Neue Töne kommen aus der Zentralen Parteischule, der Kaderschiede der Kommunistischen Partei Chinas. Die dortige Professorin Jin Wie verlangt in einem Interview mit der Hongkonger Zeitschrift „Asia Weekly“ einen „neuen konkreten Blick auf Tibet“. Sie fordert die „Wiederaufnahme des Dialogs mit dem Dalai Lama“ und schlägt vor, ihn zunächst nach Macao zu holen, dann nach Hongkong und schließlich nach Tibet zurückkehren zu lassen.

Ein solch weitgehender Vorschlag ist ohne Absprache mit der Parteispitze kaum denkbar.

Jin Wei will auch, dass mit dem Dalai Lama über seinen Nachfolger gesprochen wird. „Wir müssen einsehen, dass der Dalai Lama von sechs Millionen Tibetern als lebendige Gottheit wahrgenommen  und verehrt wird und eine große Anziehungskraft ausübt. Unsere Haltung ihm gegenüber und die Art und Weise wie wir uns in entsprechenden Fragen verhalten, wirken sich auf die Gefühle von Tibetern aus. Deshalb können wir ihn nicht einfach als Feind betrachten.“

Die KP Chinas, so die Professorin, müsse verstehen, dass Tibet eine lange spirituelle Tradition habe und weniger materialistisch orientiert sei als China.

Ein anderes Zeichen kommt direkt aus Tibet. Im „Spiegel“ vom 15. Juli 2013 offenbart sich erstmals ein führender KP-Funktionär mit einer deutlich abweichenden Ansicht zur Tibet-Frage. Dieser noch anonyme tibetische Funktionär hat Jahre lang mit einer angepassten Position Karriere gemacht und wird nun zum Abweichler. Er hat ein sensationelles Buch über Tibet geschrieben, das jedoch noch nicht publiziert ist.

Der Autor hat sich dem „Spiegel“-Redakteur Andreas Lorenz anvertraut. Es sei ein Enthüllungsbuch über die Politik Chinas in Tibet. Das Buch soll eine Abrechnung mit 60 Jahren chinesischer Tibet-Politik sein. Es soll möglichst im Westen erscheinen, um dann Druck auf die Politik in Peking zu machen, so der Autor zum  „Spiegel“ bei einem konspirativ geführten Gespräch.

Das führende Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas schildert, dass die Stimmung auf dem Dach der Welt verzweifelt sei. Im Gegensatz dazu spricht die offizielle Politik Pekings gebetsmühlenartig immer vom „glücklichen Tibet“. Die tatsächliche Lage, so der Autor, sei „schlimmer als bisher im Westen vermutet“.

Über 100 Tibeter haben sich in den letzten zwei Jahren aus Verzweiflung über die chinesische Besatzungs- und Unterdrückungspolitik selbst verbrannt. Sie wollten die Welt auf das Schicksal Tibets aufmerksam machen. Der KP-Funktionär versteht die Motive dieser Verzweifelten. Zwar, so schreibt er, habe sich die wirtschaftliche Lage Tibets verbessert, aber die Unterdrückung und Religionsverfolgung sei gewachsen, die Freiheit nur begrenzt. So ähnlich schildert mir auch der Dalai Lama seit dreißig Jahren in vielen Interviews die Lage in seiner Heimat.

Der Autor dieses brisanten Buches, so der Spiegel-Autor, sei nicht nur in Tibet, sondern in ganz China bekannt. Er spielt ein gefährliches Spiel, ist aber ein wichtiger Zeitzeuge. Das Buch ist in Mandarin verfasst, der Sprache der kommunistischen Herrscher. Es enthält gewaltigen politischen Sprengstoff – auch für die Herrschenden in Peking selbst.

Gibt es eine Lösung des Tibet-Problems?

„Wir müssen Demokratie praktizieren, nicht unbedingt eine westliche, sondern eine eigene tibetische“, meint der mutige Autor zum „Spiegel“. Aber Voraussetzung für eine tibetische Demokratie ist wohl mehr Demokratie in China.

Spiegel | 29/2013 | „Knoten im Herzen“

Quelle

© Franz Alt 2013″Spiegel“ 29/2013″Tageswoche“ | 15.07.2013

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