Mojib Latif über COP26-Ergebnisse: „Dann sehe ich schwarz“
Die 26. Weltklimakonferenz in Glasgow hat keine Trendwende gebracht, sagt der Kieler Klimaforscher Mojib Latif. Dafür wäre ein fairer Ausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern nötig. Bislang seien die Hauptverantwortlichen für die Klimakrise dazu nicht bereit.
Klimareporter°: Herr Latif, die Erwartungen an den Glasgow-Gipfel waren hoch. Er sollte dafür sorgen, dass die Weltgemeinschaft endlich auf den 1,5-Grad-Pfad einbiegt. Ihre Bilanz?
Mojib Latif: Ich bin maßlos enttäuscht. Die Welt marschiert nach Glasgow immer noch in die falsche Richtung. Betrachtet man die konkreten Ziele bis 2030, dann steigen die Treibhausgasemissionen bis dahin weiter an. Bei dem derzeitigen Stand der UN-Klimaverhandlungen werden wir die 1,5-Grad Marke um 2040 gerissen haben.
Es gibt aber ein Bekenntnis zum Kohleausstieg …
Die Erklärung zum Kohleausstieg wurde in letzter Sekunde von China und Indien verwässert. Sie ist jetzt windelweich und lässt alle Optionen offen: Die Staaten sollen ihre Anstrengungen zum Ausstieg aus der Kohle verstärken …
Immerhin hat der Gipfel akzeptiert, dass die Emissionen bis 2030 praktisch halbiert werden müssen, um die 1,5 Grad zu halten. Kein Fortschritt?
Das wurde schon 2015 in Paris vereinbart. Seitdem sind die weltweiten Emissionen angewachsen. Ich sehe hier nicht Fortschritt, sondern Rückschritt.
Nicht einmal eine Macht wie Corona hat die Emissionen dauerhaft senken können. Sie sind jetzt schon wieder auf dem Niveau von vorher. Gibt es überhaupt eine Chance, den Trend nach oben so radikal wie nötig nach unten zu drücken?
Es fehlt in vielen Ländern der politische Wille. Die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen stehen im Vordergrund. Um den Trend zu brechen, braucht es einen fairen Ausgleich zwischen den Industrieländern und den Schwellen- und Entwicklungsländern. Dazu sind die Industrieländer nicht bereit, obwohl sie die Hauptverantwortung für die bisherige globale Erwärmung tragen.
Wie gut sind die Chancen, wenigstens das Zwei-Grad-Limit einzuhalten, das sich ja auch im Paris-Abkommen findet?
Solange die Emissionen ansteigen, verringern wir auch die Möglichkeit, die Zwei-Grad Marke einzuhalten. Wenn es nicht endlich einen radikalen Politikwechsel gibt, sehe ich schwarz.
Wäre die zwei Grad vom Forschungsstandpunkt her denn tolerabel?
Eigentlich sind selbst die 1,5 Grad nicht tolerabel. Die Auswirkungen der globalen Erwärmung – wir stehen bei 1,1 Grad – sind bereits dramatisch. Wir sollten aber auf jeden Fall deutlich unter zwei Grad bleiben, wie im Pariser Klimaabkommen festgelegt.
Was müsste nun konkret geschehen, um irgendwo zwischen 1,5 und zwei Grad zu landen? Was wären die Instrumente?
Wir brauchen systemische Veränderungen, das heißt einen zügigen Ausstieg aus den fossilen Energien. Dazu sollten zuallererst die Subventionen für Kohle, Erdöl und Erdgas gestrichen werden, die sich jährlich immer noch auf viele Hundert Milliarden Euro belaufen. Außerdem muss es eine weltweite CO2-Bepreisung geben.
Als Lichtblick in Glasgow gilt die Erklärung von China und den USA, beim Klimaschutz gemeinsam vorangehen zu wollen. Wie bewerten Sie das?
Das sind schöne Worte, sie bedeuten aber wenig. Die Chinesen sind derzeit nicht an Klimaschutz interessiert. Der chinesische Präsident Xi Jinping war als einziger wichtiger Staatschef nicht in Glasgow, obwohl sein Land fast ein Drittel der aktuellen CO2-Emissionen verursacht.
Hat denn Deutschland als wichtiges Industrieland eine Chance, mit der Ampel-Regierung wieder zum Vorreiter zu werden?
Im Moment hakt es bei den Koalitionsverhandlungen beim Klimaschutz. Ich hoffe, dass sich die Parteien doch noch zu ambitionierten Maßnahmen durchringen werden.
Was muss die Ampel dazu beschließen?
Einen früheren Kohleausstieg, ein schnelles Ende des Verbrennungsmotors und couragierte Maßnahmen im Gebäude- und Verkehrssektor. Das Allerwichtigste aber ist ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien. Und sozial verträglich müssen die Maßnahmen sein.
Zurück zu Glasgow. Sind solche UN-Gipfel überhaupt noch das richtige Format, um ein so drängendes Problem wie die Klimakrise schnell genug zu lösen?
Ich sehe nicht, dass sie zielführend sind. Seit es die Konferenzen gibt, ist der weltweite CO2-Ausstoß förmlich explodiert. Allerdings richten die Verhandlungen den Blick der Weltöffentlichkeit auf das Klima, was wichtig ist, auch als Signal an die Wirtschaft.
Gäbe es eine Alternative?
Ich plädiere schon lange für eine Allianz der Willigen. Europäer und Amerikaner sollten vorangehen und zeigen, dass Wohlstand und Klimaschutz keine Gegensätze sind. Dann könnten sie auch mehr Druck auf China und andere Blockierer ausüben.
Quelle
Das Interview wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ – Joachim Wille 2021 geführt – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!
Mojib Latif ist Professor für Ozeanzirkulation und Klimadynamik am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Geomar) und an der Universität Kiel, außerdem Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Klima-Konsortiums.