Politische Glaubwürdigkeit entscheidet über den Erfolg des EU-Emissionshandels
Eine große politische Glaubwürdigkeit ist entscheidend, damit die Kohlenstoffpreise im EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) hoch genug sind, um Emissionsminderungen langfristig effizient anzureizen, so das Ergebnis einer neuen Studie.
Ein Team von Forschenden des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zeigt, dass zwei aufeinanderfolgende ETS-Reformen nicht nur durch eine Verschärfung der Emissions-Obergrenze den Preis von unter 10 Euro pro Tonne CO₂ im Jahr 2017 auf etwa 80 Euro pro Tonne 2022 angehoben haben, sondern auch durch ein stärkeres politisches Bekenntnis zum ETS. Dies führte dazu, dass Unternehmen angefangen haben, vorausschauender zu handeln und kurzfristig weniger CO₂ auszustoßen, um Zertifikate für eine spätere Verwendung aufzubewahren.
„Der Preis für den Ausstoß von klimaschädlichem CO₂ ist in der Vergangenheit stark gestiegen; in den letzten fünf Jahren hat er sich durch zwei politische Reformen knapp verzehnfacht. Unsere Analyse deutet darauf hin, dass die Reformen nicht nur die ETS-Regeln direkt verändert haben, sondern auch die langfristige Glaubwürdigkeit des ETS erhöht und damit Unternehmen dazu gebracht haben, ihr Marktverhalten an den langfristigen Klimazielen auszurichten“, erklärt Joanna Sitarz, PIK-Wissenschaftlerin und Erstautorin der in Nature Energy veröffentlichten Studie. „Alles, was der langfristigen Glaubwürdigkeit von Klimazielen schadet, könnte im Gegenzug dazu führen, dass die CO₂–Preise im ETS kurzfristig wieder einbrechen und unzureichend in Klimaschutz investiert wird.“
Das EU-ETS legt eine Obergrenze und damit einen Preis für Treibhausgasemissionen aus Kraftwerken, großen Industrieanlagen und dem Luftverkehr fest und deckt etwa 40 Prozent der gesamten Emissionen in der EU ab. Die Obergrenze sinkt jedes Jahr und wird voraussichtlich um das Jahr 2040 herum bei Null liegen. Eine wichtige Eigenschaft des ETS ist, dass Emissionszertifikate angespart werden können: Wenn Unternehmen in der Zukunft mit sehr hohen CO₂–Vermeidungskosten rechnen, können sie ihre Emissionen zeitnah reduzieren und die ungenutzten Emissionszertifikate für eine spätere Verwendung aufbewahren. Auf diese Weise werden aktuelle Preise mit künftigen Knappheiten verknüpft, was zu dynamischer Effizienz führen sollte: Emissionen werden dann reduziert, wenn es am günstigsten ist.
EU-ETS Reformen stärkten nicht nur Emissionsobergrenze, sondern auch langfristige Glaubwürdigkeit der Klimaziele
Um zu analysieren, wie sich vorausschauendes Handeln auf die CO₂–Preise im EU-ETS während des letzten Jahrzehnts ausgewirkt hat, modellierten die Forscher die Kohlenstoffpreise, die sich aus den Emissionsobergrenzen ergeben, unter zwei verschiedenen Modellannahmen. In einem Fall wurde davon ausgegangen, dass die Unternehmen vorausschauend handeln und die künftige Knappheit von Zertifikaten berücksichtigten; im zweiten Fall wurde angenommen, dass sich die Unternehmen auf kurzfristige Entwicklungen konzentrierten. Der untersuchte Zeitraum umfasste zwei große ETS-Reformen: die Reform der Marktstabilitätsreserve MSR im Jahr 2018 und das Klimaschutzpaket „Fit for 55“ im Jahr 2021.
Die Forschenden stellten zunächst fest, dass vor der Reform von 2018 die beobachteten Preise eher mit den Simulationsergebnissen für kurzfristig handelnde Unternehmen übereinstimmten. „Die Firmen zweifelten wahrscheinlich an der langfristigen Glaubwürdigkeit der Klimapolitik und handelten hauptsächlich im Hinblick auf die kurzfristige Emissionsobergrenze“, erklärt Robert Pietzcker, PIK-Wissenschaftler und Mitautor der Studie. Die Forschenden stellten dann fest, dass die Preisveränderung im Zuge der EU-ETS-Reform 2018 nicht allein durch die Änderung der Emissionsobergrenze selbst erklärt werden kann. Zusätzlich müssen die Unternehmen auch begonnen haben, vorausschauender zu handeln und die viel strengeren Emissionsobergrenzen in der fernen Zukunft zu berücksichtigen.
„Nach der Reform stiegen die Preise in der realen Welt stark an. Im Modell bewirkte die Änderung der Emissions-Obergrenzen jedoch nur einen geringen Preisanstieg, wenn wir von Unternehmen ausgingen, die kurzfristig handeln ohne langfristige Knappheiten zu berücksichtigen. Bei einer Umstellung des Modells auf langfristig handelnde Akteure konnten wir jedoch den real beobachteten Preisanstieg in unserem Modell reproduzieren“, sagt Pietzcker.
Das Forschungsteam argumentiert, dass das politische Kapital, das 2017/2018 in die EU-ETS-Reform investiert wurde, die langfristige Glaubwürdigkeit des ETS und der Klimaziele so sehr gestärkt hat, dass die Unternehmen ihr Marktverhalten an der erwarteten langfristigen Knappheit von Emissionszertifikaten ausrichteten. „Die nochmalige Verschärfung der ETS-Obergrenzen im ‚Fit for 55‘-Paket ließen die beobachteten Preise in den Jahren 2022 und 2023 auf rund 80 Euro pro Tonne CO₂ ansteigen, was im Einklang mit den Modellergebnissen für vorausschauend handelnde Akteure steht“, so Pietzcker.
Die Ergebnisse haben wichtige politische Implikationen, erklärt Michael Pahle, Mitautor der Studie: „Politische Entscheidungsträger sollten bedenken, dass ein Preisrückgang nicht nur signalisieren kann, dass Emissionsreduzierungen weniger kosten, sondern auch darauf hindeuten könnte, dass Unternehmen die langfristige Emissions-Obergrenze weniger glaubwürdig finden. Der jüngste Rückgang der CO₂–Preise könnte auch auf zweiteres zurückzuführen sein. Es ist deshalb ratsam, die bestehenden Mechanismen zur Stabilisierung des Emissionshandel-Marktes zu überarbeiten: sie sollten darauf ausgerichtet werden, den CO₂–Preis im Fall sinkender Glaubwürdigkeit zum Beispiel durch zeitnahe Verknappung des Angebots zu stabilisieren.“