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Das Prinzip Apfelbaum | Screenshoot youtube.de | Günter Grass zur Frage "Was bleibt?"

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Rupert Neudeck über Günter Grass

Günter Grass – geboren 1927 in Danzig, gestorben am 13. April 2015. Günter Grass war nicht so raubeinig und unnahbar, wie er oft geschildert wurde, Wenn man ihn einmal im schleswigschen Behlendorf in der Nähe von Lübeck erlebt hatte, war er von berückender Liebenswürdigkeit und Nähe. Er war bei solchen seltenen Besuchen total zugewandt.

Das erste Mal, dass ich ihn erleben durfte war in Danzig 1993. Damals wurde ihm in seiner eigenen Heimatstadt – noch vor den beiden Staatspräsidenten Richard von Weizsäcker und Francois Mitterand – die Ehrendoktorwürde der philologischen Fakultät der Universität von Danzig verliehen. Die polnische Akademie pflegte das große alte Ritual der Verleihung des Dr. honoris causa – und wir alle spürten im Auditorium der Universität, wie wohl Günter Grass in dieser akademischen, lateinischen Liturgie sich aufgehoben fühlte.

Und dann war es noch seine Heimatstadt, der er und die ihm so viel verdankte, die ihm diesen schönen Titel gab. Der Laudator pries ihn als den „größten Heimatdichter Danzigs/Gdansk“. So wie Lech Walesa, wichtiger als Führer der unvergesslichen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc denn als ehemaliger polnischer Staatspräsident, es beim Tode von Grass sagte: „Er war ein großer Intellektueller, der Danzig ebenso liebte wie ich“.

Die Studenten des Germanistischen Instituts hatten als Geschenk für den dann 1998 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Grass einen literarischen Reiseführer in zwei Sprachen herausgebracht. Ein Reiseführer nur aus den Werken von Günter Grass gespeist, mit dem man sich in der von den Polen so wunderbar aufgebauten „Stadt am Bernsteinstrand“ gut zurechtfinden konnte.

Kurz: Grass war damals, wenn man ihn beobachtete, hingerissen. Die Eitelkeit, die er hatte und die einem großen Intellektuellen und Schriftsteller zugemessen ist, war wie weggeflogen. Deutsche Touristen baten ihn um ein Autogramm in einem Straßencafe an der Langgasse, er gab diese Unterschriften mit großem Behagen, was sonst nicht seine Eigenheit war.

Ihm wurde eine Entscheidung abverlangt, die Heinrich Böll zu Lebzeiten noch nicht gestellt wurde, die ein großer Schriftsteller leisten muss. Überlässt er sich dem digitalen Maschinenpark, den Internetdiensten, dem Computer, dem Mobiltelefon, lässt er sich in der Spitzweg-Klause des großen schönen Bauernhauses in Behlendorf stören, von Telefon, Handy und Laptop. Er ließ das radikal nicht an sich heran. Man konnte ihn nach Vereinbarung besuchen und mit ihm sprechen, ohne dass er und seine Frau auf die Uhr schauten. Aber das Mobiltelefon musste draußen bleiben. Bei solchen Gesprächen konnte man die Intensität der direkten Kommunikation spüren. Immer wieder fragten wir nach Texten, die er geschrieben hatte, z.B. nach dem Text zum Jahr 1980 in „Mein Jahrhundert“, in dem er eine so liebevolle Beschreibung der Tätigkeit der ‚Chefin‘ des Komitees Cap Anamur, Christel Neudeck, gab, die sonst nirgends bisher so wunderbar und aufrührerisch und lachend-spontan-freundlich beschrieben wurde.

Ein zuständiger Abteilungsleiter aus dem Auswärtigen Amt wird von Christel Neudeck eingeladen, mal das Hauptquartier des Unternehmens in Troisdorf zu besuchen und darüber seinem Staatssekretär zu berichten. Der Cap Anamur sollte Flüchtlinge im Südchina Meer auch von anderen Schiffen ermöglicht werden. „Trotzdem habe ich ihr beteuert, verstoße eine direkte Übernahme der geretteten Bootsflüchtlinge durch die Cap Anamur gegen das internationale Seerecht. Ausgelacht hat sie mich, während sie am Kochherd stand und Mohrrüben in ein Eintopfgericht schnipselte. Diese Regelung stamme aus Titanic Zeiten. Die heutigen Katastrophen seien von anderer Dimension… für sie gehe es um Menschen, die tagtäglich ersaufen, während sich das Auswärtige Amt und alle Politiker an Richtlinien klammerten, die von anno dazumal seien. Nein, Herr Staatssekretär, die gute Frau war nicht zu beruhigen. Das heißt besonders aufgeregt war sie nicht, eher heiter gelassen, dabei immer geschäftig, sei es am Herd mit den Eintopfgericht – oder sie hing am Telefon“.

Irgendwann 2005 fragte ich Grass, ob er sich auch vorstellen könnte, bei den „Grünhelmen“ mitzumachen. Darauf schrieb er mir einen der schönen Briefe, in dem er fast bedauerte, dass er zu solchen abenteuerlichen Projektunternehmungen nicht mehr gut zu Fuß wäre. Als ich ihm aber erklärte, dass ich ihn nicht um eine Mitarbeit beim Aufbau der Schulen in Afghanistan, sondern ‚nur‘ nach dem Beirat, dem Kuratorium der Grünhelme gefragt hatte, sagte er gerne zu. Er wurde unser Kurator.

Das Gedicht zu Israels Atombombe wurde ihm verübelt. Es war eine Beschreibung des gefährlichen Weltzustands im Nahen Osten mit der zunehmenden Zahl von Atombomben-besitzenden Staaten, sehr realistisch und friedensbewegt. Israels Regierung entblödete sich nicht, ihm die Einreise zu verweigern und hatte das nicht zurückgenommen. Grass erzählte bei meinem letzten Besuch, dass Avi Primor ihn besucht hatte, dem diese Entscheidung peinlich war, und der ihn gefragt hatte: Wann er mal wieder Israel besuchen würde?! Darauf konnte Grass, wie er sagte, nur redlich schweigen.

Er hat uns vieles hinterlassen, was zum Innersten des Canon der deutschen Literatur gehört. Die Danziger, die deutschen und die polnischen Danziger, verlieren ihren größten Heimatdichter. Wir Grünhelme verlieren einen Kurator in unserem Verein. Es hat eine neue Zeit angefangen in Europa. Die Polen feiern und betrauern ihn wie die Deutschen. Der Tod ist immer ein Mörder, sagen die Franzosen, so geht es mir heute auch bei dem Tod von Günter Grass, von dem ich in einem Lager von slowakischen Roma in der Ost-Slowakei in Secovce erfuhr.

WIKIPEDIA: „Was gesagt werden muss“

Das Prinzip Apfelbaum
11 Persönlichkeiten zur Frage Was bleibt?“: Gedanken und Portraits von Egon Bahr, Günter Grass, Margot Käßmann, Dieter Mann, Richard von Weizsäcker und Wim Wenders …  von Initiative „Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum“ (Herausgeber), Bettina Flitner (Fotograf)

Quelle

Rupert Neudeck 2015 Grünhelme 2015

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