Scheuers Debakel
Im Unterschied zur Kohlekommission, die sich aus der Bevormundung des Wirtschaftsministeriums befreite, ließ sich die Verkehrskommission bis zum Schluss vom Minister bevormunden. Das Ergebnis ist ein Debakel für Scheuer – und den Klimaschutz. Ein Kommentar von Joachim Wille
Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründ‘ ich einen Arbeitskreis. Respektive eine Kommission. Das ist die Devise der großen Koalition in der Klimapolitik. Erst beim Kohleausstieg, nun beim Verkehr.
Wenn allerdings die Kommission, wie im aktuellen Fall, auch nicht mehr weiterweiß, wird es eng für die Politik. Ihr fehlt ein Erfolg versprechendes Konzept. Und das ist nun passiert.
Die Verkehrskommission, die der Bundesregierung einen Weg aufzeigen sollte, wie das Klimaschutz-Ziel für 2030 zu schaffen ist, hat das nicht erreicht. Der zuständige Minister, CSU-Mann Andreas Scheuer, steht nun mit fast leeren Händen da. Wie er einen überzeugenden Plan zustande bringen will, um das nächste Fiasko der Regierung nach dem Vergeigen des 2020er CO2-Ziels abzuwenden, steht mehr denn je in den Sternen.
Seine Verantwortung ist groß. Denn der Verkehr ist ja jener Bereich, der am stärksten dazu beiträgt, dass die Groko schon dieses bereits vor über einem Jahrzehnt fixierte Ziel verfehlt. Hier ist der CO2-Ausstoß sogar angestiegen, während er in allen anderen Sektoren seit dem Basisjahr 1990 mehr oder minder stark gesunken ist. Für 2030 droht nun das nächste Debakel.
Verkehrs-Politik der Sonntagsreden
Die Scheuer-Kommission hat einen „Zwischenbericht“ vorgelegt, dessen Maßnahmen nur zwei Drittel der im Verkehrssektor nötigen CO2-Minderung bringen werden – wenn es gut läuft. Darunter: viel mehr Elektromobilität, nämlich zehn Millionen E-Pkw bis zu diesem Stichjahr, eine bessere Vertaktung des Bahnverkehrs und billigere Tickets durch abgesenkte Mehrwertsteuer, der Ausbau des Fahrradverkehrs. Das sind gute Ideen, wenn sie denn verwirklicht, das heißt, auch tatsächlich finanziert werden.
Denn es ist doch so: Bisher haperte es bei praktisch all diesen nun nicht gerade neuen Ideen daran, dass sie in Sonntagsreden der Verkehrspolitiker zwar immer vorkamen, aber nicht in die Praxis umgesetzt wurden. Die Verlagerung des Auto- und Lkw-Verkehrs auf Bahn und Bus zum Beispiel ist in den letzten 40 Jahren schon so oft beschworen, aber nicht eingeleitet und sogar konterkariert worden, dass man gar nicht mehr glauben kann, dass es jemand ernst damit meint.
Um mehr als 40 Prozent muss der CO2-Ausstoß im Verkehr sinken, um in die Spur für 2030 zu kommen – das ist die Vorgabe, die sich die Groko selbst gegeben hat. Eine sehr anspruchsvolle Zielmarke, keine Frage. Aber das ist selbst verschuldet.
Das Problem kulminiert gerade in diesem Sektor erstens, weil die Verkehrspolitik sich drei Jahrzehnte lang nicht wirklich um den Klimaschutz geschert hat. Und zweitens, weil Scheuer als oberster nationaler Verkehrslenker auch jetzt, in dieser dramatischen Lage, noch nicht bereit ist, wirklich umzusteuern.
Scheuer regierte brachial in die Kommission hinein
So hat er brachial in die Kommission hineinregiert, als diese es tatsächlich wagte, Unworte wie Tempolimit oder Spritverteuerung überhaupt nur als mögliche Maßnahmen aufzulisten. Scheuer betätigte sich als Lobbyist der Autokonzerne und verbrämte das nur notdürftig mit der irrwitzigen Behauptung, es handele sich um Angriffe auf den „Menschenverstand“. Ein Affront, den die Kommission sich nicht hätte bieten lassen dürfen. Der trotzdem geschluckt wurde.
Kein Wunder, dass sinnvolle Maßnahmen wie besagtes Tempolimit, verbindliche Quoten für den Anteil von Elektroautos oder ein Bonus-Malus-System, das große, klimaschädliche Autos teurer machen und klimafreundliche fördern würde, es nicht in die Kommissionsempfehlungen geschafft haben.
Solange so etwas genauso wie eine generelle Zurückdrängung des überbordenden Auto- und Lkw-Verkehrs tabu ist, bleiben die Klimaschutzbeteuerungen Makulatur, zu denen sich auch Scheuer unter dem Druck der Öffentlichkeit schon mal hinreißen lässt.
Ein kleiner Lichtblick immerhin: Die Kommission hat sich beim Thema CO2-Bepreisung den Schneid nicht völlig abkaufen lassen. Sie empfiehlt, die Einführung zu prüfen. Eine Verteuerung von Benzin und Diesel wäre die Folge, während auf der anderen Seite Strom billiger würde, der heute bereits zu rund 40 Prozent aus erneuerbaren Energien stammt. Eine solche ökologische Energiesteuerreform fordern nicht nur Klimaforscher und Umweltverbände, sondern auch Regierungsberater und zunehmend auch Vertreter der Wirtschaft.
Vielleicht beeindruckt das sogar einen Minister Scheuer.
- klimareporter: Streit um Verkehrswende | Verkehrskommission vorerst gescheitert – Neue Regeln für Autokonzerne und -fahrer? Wollten große Teile der Verkehrskommission nicht. Die Vorschläge für eine Verkehrswende, auf die sich die zuständige Arbeitsgruppe des Gremiums am Dienstagmorgen geeinigt hat, reichen denn auch nicht, um das Klimaziel der Bundesregierung für 2030 zu schaffen. Die Verhandlungen sollen aber überraschend weitergehen.
Quelle
Der Bericht wurde von
der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2019 verfasst – der Artikel
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