Studie: Viele Ziele der Energiewende in Deutschland bis 2020 kaum noch erreichbar
Energiewende-Index von McKinsey: CO2-Ausstoß und Primärenergieverbrauch gestiegen – Stromverbrauch zu wenig gesunken.
Trotz des massiven Ausbaus der erneuerbaren Energien ist das Erreichen zentraler Ziele der Energiewende in Deutschland bis 2020 nicht mehr realistisch. Dazu zählen die Reduzierung der CO2-Äquivalent (CO2e)-Emissionen um 40% im Vergleich zu 1990 ebenso wie die Ziele, den Primärenergie- und Stromverbrauch zu senken und mehr Windanlagen vor den Küsten auszubauen. Dies ergibt sich aus den aktuellen Daten des Energiewende-Index (EWI) von McKinsey & Company. Anhand von 15 Indikatoren analysiert die Unternehmensberatung mit dem EWI seit zwei Jahren alle sechs Monate objektiv und faktenbasiert den Status der Energiewende in Deutschland. „Ambitionierte Ziele sind notwendig, damit die Energiewende gelingt. Sie müssen aber regelmäßiger überprüft und angepasst werden“, sagt McKinsey-Direktor Thomas Vahlenkamp, der den Index entwickelt hat.
Nur bei sechs der 15 untersuchten Indikatoren wird derzeit ein Erreichen der Ziele als „realistisch“ eingestuft:
- Ausbau der Solar-Photovoltaik
- Eingrenzung des jährlichen Stromausfalls (in Minuten)
- Gesicherte Reservemarge (gemessen als Anteil der verfügbaren steuerbaren Kapazität, die über die Spitzennachfrage hinausgeht)
- Ausbau der Transportnetze
- Erhalt und Ausbau von Arbeitsplätzen sowohl in erneuerbaren Energien als auch in stromintensiven Industrien.
Mehrheit der Etappenziele verfehlt
Der Energiewende-Index zeigt zugleich: Die anderen neun von McKinsey untersuchten quantifizierten Ziele der Energiewende liegen nicht im Zielkorridor:
- Kohlendioxid-Reduzierung. Um das 40%-Ziel der Bundesregierung noch zu erreichen, müssten die CO2e-Emissionen bis 2020 jährlich um 3,5% sinken. Seit 2000 gingen sie jedoch in Deutschland jährlich im Schnitt nur um ca. 0,7% zurück, trotz des erheblichen Ausbaus der erneuerbaren Energien. Der jährliche Rückgang von CO2e-Emissionen müsste sich also um den Faktor fünf erhöhen.
- Primärenergieverbrauch. Auch beim Gesamtverbrauch von Kohle, Öl, Gas etc. ist die Entwicklung weit entfernt vom ursprünglich angestrebten Ziel der Bundesregierung. Grund dafür ist Vahlenkamp zufolge die unzureichende Realisierung von bestehenden Energieeffizienzpotenzialen. Legt man ein Wirtschaftswachstum von 1,6% p.a. bis 2020 zu Grunde, müsste sich die Energieproduktivität in Deutschland von derzeit durchschnittlich 1,4% auf 4,3% jährlich verbessern, um das 2020er Ziel der Bundesregierung zu erreichen.
- Stromverbrauch. 2013 ist der Stromverbrauch zwar gesunken, liegt aber mit 600 TWh deutlich über dem notwendigen Etappenziel von 589 TWh. Somit ist fraglich, ob das für 2020 gesetzte Ziel, den Stromverbrauch in Bezug auf das Referenzjahr 2008 um insgesamt 10% zu senken, erreicht werden kann.
- Wind Offshore – Ausbau und Anbindung der Windparks. Der Ausbau geht zwar voran, aber immer noch zu langsam. Auch gemessen an den neuen, angepassten Zielen (aktuell 6,5 GW bis 2020) liegt der Zubau deutlich unter den ursprünglich formulierten Zielen, stellt Vahlenkamp fest. Bei elf (von derzeit 20 geplanten) Windparks ist der Ausbau verzögert und nicht im Plan.
- EEG-Umlage. Trotz der diesjährigen Reform wird sich die Kostenbelastung durch die Energiewende für Industrie und Verbraucher in den nächsten Jahren nicht deutlich verringern. Obwohl das EEG-Konto zwischen Januar und Juli 2014 von ca. -0,2 Mrd. EUR auf ca. 1,1 Mrd. EUR angestiegen ist, erwarten die Übertragungsnetzbetreiber einen weiteren Anstieg der EEG-Umlage. Haupttreiber hierfür seien weiterhin tiefe Börsenstrompreise und der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Prognose reiche je nach Szenario von 5,9 bis 6,9 Ct/kWh, sagt Vahlenkamp.
- Haushalts- und Industriestrompreise. Die hohe EEG-Umlage trägt maßgeblich dazu bei, dass die durchschnittlichen Haushalts- und Industriestrompreise in Deutschland 46% bzw. 18% über dem EU-Durchschnitt liegen, Tendenz steigend. Dadurch sind auch diese beiden Indikatoren weit von ihren Zielvorgaben entfernt.
- Kosten der Netzeingriffe. Netzeingriffe haben stark zugenommen, da z.B. Strom aus fluktuierenden erneuerbaren Energien (Solar und Wind) bevorzugt eingespeist wird. Entsprechend sind die Kosten für Netzeingriffe je MWh Strom aus fluktuierenden erneuerbaren Energien gestiegen und betrugen zuletzt rund 2 EUR/MWh oder absolut 165 Mio. EUR – eine Steigerung von mehr als 100% gegenüber 2008.
Anpassung von Zielen und Maßnahmen erforderlich
Die aktuellen EWI-Ergebnisse sollten nach Ansicht von McKinsey-Berater Vahlenkamp Anstoß für die Politik sein, zum einen nach wie vor ambitionierte, aber deutlich realistischere Ziele vorzugeben und zum anderen regelmäßig die Soll-Ist-Abweichungen zu analysieren – ähnlich wie in einem unternehmerischen Planungsprozess. Dadurch könnten Fehlsteuerungen vermieden werden. Erforderlich seien ein kontinuierliches Monitoring des Umsetzungserfolgs und eine zeitnahe entsprechende Anpassung politischer Ziele und Maßnahmen. In der Vergangenheit seien diese oftmals erst sehr spät angepasst worden, wie etwa im Fall der EEG-Vergütungssätze für Solar-PV-Anlagen in Deutschland. Auch das WindOffshore-Ausbauziel sei erst angepasst worden, als seine Unerreichbarkeit bereits offensichtlich gewesen sei. Eine ähnliche Entwicklung zeichne sich derzeit beim Energieeffizienzziel ab, stellt Vahlenkamp fest.
Hintergrund und Methodik
Der Energiewende-Index von McKinsey bietet alle sechs Monate einen Überblick über den Status der Energiewende in Deutschland. Feedback und Rückmeldung dazu sind ausdrücklich erwünscht und werden bei der Aktualisierung des Index berücksichtigt, sofern es um öffentlich zugängliche Fakten geht. Auf der Website von McKinsey besteht die Möglichkeit, den Autoren zum Thema Energiewende Feedback zu geben.