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Propyläen Berlin

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Vaclav Havel: In der Wahrheit leben

Ein Anti-Politiker, der Präsident wird. Vaclav Havel, ein Jahrhundert-Mensch. Von Rupert Neudeck

Kann ein Mensch das vergangene Jahrhundert und unsere Zeitgenossenschaft spürbarer und charakteristischer spiegeln und be-zeichnen denn Vaclav Havel? Der Schriftsteller, der in einem vergleichsweise (aber OHO) kleinen Land in Ostmitteleuropa den tragischen Untergang einer menschheitsbeglückenden Philosophie, des Sozialismus, der eigentlich mit Menschlichem Gesicht und mit nichts anderem ausgestattet worden sein sollte, erlebt hat? 

Der in seiner Person den totalen Niedergang des ausschließenden und verblödenden Nationalismus hinter sich hatte. Der dann noch als ein Mann des Geistes, als Schriftsteller und Publizist die Stufen zum Präsidenten des Landes und Europas hinaufgehen konnte, in einem Land, das ihn jahrelang wegen seines Denkens und Schreibens und seiner Unbotmäßigkeit im Gefängnis gehalten hatte? 

Nein, man kann die Faszination, die von diesem Schriftsteller-König ausging auch nach diesem großen dicken Buch nicht kleiner machen. Gerade wenn wir jetzt das Buch von Michael Zantovsky auch deutsch haben, das den Politiker-Intellektuellen von ganz nah beobachten konnte und auf sympathische Art die Schwächen, Schrullen und Stärken des Vaclav Havel ausleuchtet. Das Buch ist satt voller Kenntnisse aus der Zeitgenossenschaft beschrieben, es ist eine Form von europäischer Oral History, wenn man das so sagen kann, denn der Autor war bis 1992 der Pressesprecher und Medienberater des neu gewählten Präsidenten der Tschechischen Republik, der vorher im Gefängnis war. Es ist glänzend geschrieben und hat von Anbeginn trotz der nicht zu überlebenden Faszination des Porträts von Havel nichts von einer Hagiographie. 

Als Havel 2011 starb nach vielen Attacken, die er durch Atemwegserkrankungen und mehrere schwerfällige Operationen erlitten hatte, war eine Epoche zu Ende gegangen, die man in der Geschichte Europas nur selten erlebt hat: Ein Philosoph war König geworden. Er wurde, wie um dieses merkwürdig zerbrechliche Europa noch einmal zu demonstrieren, beerdigt vom römisch-katholischen Erzbischof und Kardinal Dominik Duka, der das Requiem auf ihn anstimmte, obwohl der Autor-Präsident nichts mit dem praktizierenden Katholizismus eigentlich zu tun hatte. Aber der spätere Kardinal war in der Gefängniszelle des Repressionsapparates sein Mitgefangener gewesen und Havel zeichnete eine fast natürlich gewachsene Begabung zur Toleranz aus. 

Sein bester Medien- und Öffentlichkeitkumpan auf dem Wenzelsplatz in den Tagen nach dem 9. November, als die Mauer fiel und auch in Prag und dem, was man damals noch Tschechoslowakei nannte, die Revolution tobte, war der heutige Weihbischof von Prag, Msgr. Vaclav Maly, der ein aus dem Amt wegen seiner revolutionären Umtriebe gejagter Priester war und nun lächelnd neben Vaclav Havel stand, als die samtene Revolution stattfand. 

Samten war sie auch und gerade wegen dieses Schriftsteller-Präsidenten. Nichts Gewalttätiges war ihm nah. Er brauchte keine Erziehung zur Gewaltlosigkeit, er war es schon immer, vielleicht sind Menschen, die zu ihren Lastern stehen, besonders empfänglich für solche durchgehende Gewaltlosigkeit. Er war ein Raucher, wie man ihn in Deutschland nur noch mit dem Verweis auf Helmut Schmidt begreifen kann. 

Und er war ein zünftiger Bier-Trinker und er war auch ein Bewunderer schöner Frauen, was in dem Buch auch an vielen Ecken der Biographie zutage tritt. Darin war er einem geistesverwandten seiner Zeit, der schon 1960 gestorben war, sehr nahe: Albert Camus. Als Vaclav Havel und Lech Walesa in den USA am 22. April 1993 weilen, um an der Zeremonie für die Einweihung des United States Holocaust Memorial Museum teilzunehmen, kommt es zu einer denkwürdigen Begebenheit, die die Schwäche Mitteleuropas gegen die stringenten USA deutlich macht. 

Man wartete schon mehr als das akademische Viertelstündchen auf den Präsidenten Clinton. Havel und Walesa hielten Ausschau nach Aschenbechern, wurden aber bestimmt darauf hingewiesen, dass „das Weiße Haus nach Anordnung der First Lady ein rauchfreie Zone war“. Darauf ließ sich der polnische Staatspräsident mit einem Menschenrechtsschrei hören: „Aber wir müssen rauchen. Wo können wir denn rauchen?“ Man deutete auf die Veranda. Walesa zog Vaclav Havel auf die Veranda, aber gerade in dem Moment erschien Clinton. 

Das Buch behandelt die Phasen dieses Lebens und die zeitgeschichtlichen Epochen im Leben der Tschechen und Slowaken ohne Unterschiede der Intensität. 1938 wurde die CSR Opfer eines Raubmordes von Adolf Hitler und den Nazis. 1948 ereignete sich hier der Staatsstreich der Kommunisten, hörig von Moskau,  und das Land wurde dem Gulag-Kommunismus zugeordnet.

Und 1968 wurden Prag und die CSSR Schauplatz eines aufregenden Experiments von kurzer Dauer, des „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“. Damals ist Havel noch nicht der große unbestrittene Führer der Bewegung, es ist Alexander Dubcek, der auch noch ein Slowake ist, dem die Tschechen aber übel nehmen, dass er nach der Niederringung des sozialistischen Aufstandes mit den Panzern der Armeen des Warschauer Paktes das Protokoll der Kapitulation unterschrieb und danach eigentlich zwanzig Jahre schwieg, von der Parteiführung als Botschafter der CSSR nach Ankara in die Türkei auf ein Abstellgleis gestellt wurde. Der Autor war entweder selbst ganz nah oder hat sich nachher von z.B. dem Bruder Havels Ivan Havel berichten lassen. 

Die Gefängnisaufenthalte waren in gewisser Weise exercitia spiritualia für den kreativen und unglaublich neugierigen Autor. Er hatte sich ein wirkliches Übungsprogramm gemacht, was an Nelson Mandela erinnert. Und in seinem gläubigen Agnostizismus erinnert er an Albert Camus. Er erringt einen persönlichen Sieg über das, was er seine Sünde nennt. In den Briefen an Olga, seine Frau, Nr. 137 – 139 – die der Autor für mit die ergreifendsten in der Geschichte der Briefliteratur nennt, untersuchte Havel den transzendentalen Horizont der Moralischen Verantwortung. 

Er tat es in der Parabel von einem Mann, der in einer leeren Straßenbahn für die Fahrt zahlt: Am Ende seiner Selbstprüfung erkennt er einige seiner Eigenschaften, die er nie ganz ablegen konnte, aber die ihm bei vielen Gelegenheiten zu schaffen machten: „Höflichkeit oder der dumme Glaube an Spuren guter Absichten im Handeln meiner Widersacher, mein ständiger Selbstzweifel, das Bemühen, mit jedem gut auszukommen“. Das war ganz sicher keine Todsünde, wie der Autor schreibt, aber es waren „Risse in Havels Rüstung, die viele seiner Feinde zu nutzen verstanden“. Am Schluss dieser fünfjährigen Seelenforschung spricht er von „Freude am Sein“. „Gelingt dem Menschen dies, dann hört alles Leiden des Daseins auf Leiden zu sein, sondern wird zu dem, was die Christen Gnade nennen“. Es waren insgesamt 1351 Tage, die er im Gefängnis verbringen musste. 

Mit den französischen Existenzialisten teilte er auch die Versuchung durch das andere Geschlecht. Wie Jean-Paul Sartre bei Simone de Beauvoir  blieb er zu Lebzeiten von Olga an ihrer Seite, war ihr aber nicht treu. Er brauchte diese Frau an seiner Seite und die Briefe an Olga sind wirklich ein großer literarischer Schatz. Olga Havelolva starb am 6. Januar 1996 an Krebs. Havel war danach gleich wieder verheiratet mit Dagmar (Dasa) Veskrnova. 

Der Autor kann berichten, dass der elektrisierende Name und die Wirkung von Vaclav Havel so stark waren, dass es nach der samtenen Revolution eigentlich gar nicht mehr die Frage war, wer die Tschechoslowakische Republik führen sollte, es konnte damals nur Havel sein. Seine Vorstellung von einer Antipolitik beherrschte damals die Szene nicht nur in Prag sondern in ganz Osteuropa. Die Kommunisten hatten sich in solche Lügengebäude verstiegen, dass man alle Politik als Lüge empfand. Deshalb konnte das, was dann zu Havels Markenzeichen wurde: „Das Leben in der Wahrheit“ sich nur bei einem Anti-Politiker verwirklichen, der Havel auf seine Art auch blieb.

Quelle

Rupert Neudeck 2014 | Grünhelme 2014

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