Zeugen der Gletscherschmelze
Meeresforscher untersuchen an Grönlands Westküste den Einfluss des rasant gestiegenen Süßwassereintrages auf die Meeresalgen.
Grönland erlebt in diesem Jahr einen der wärmsten Sommer seiner jüngeren Geschichte. Diese Hitzewelle versetzte ein internationales Forscherteam in die einmalige Lage, wichtige Klimadaten aus der sich wandelnden Arktis zu sammeln. Die deutschen und US-amerikanischen Wissenschaftler untersuchten bis heute von Bord des Forschungsschiffes MARIA S. MERIAN, inwiefern der starke Eintrag von Schmelzwasser in die Fjorde entlang der grönländischen Westküste die chemische Zusammensetzung des Meerwassers und damit die Lebensbedingungen für Algen und andere Kleinstlebewesen verändert.
Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Allan Cembella vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft befuhren Wissenschaftler der Universität Oldenburg, der US-amerikanischen Woods Hole Oceanographic Institution sowie des Alfred-Wegener-Institutes bis heute 16 Tage lang die Gewässer an der Westküste Grönlands. Dabei wurden die Biologen, Chemiker, Physiker und Ozeanografen Zeugen einer voranschreitenden Eisschmelze: „Das Gletschereis schmilzt momentan in einem nie vorher gesehenen Tempo und setzt auf diese Weise Süßwasser und Inhaltsstoffe frei, die über Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende hinweg im arktischen Eis eingeschlossen waren“, sagt Allan Cembella.
Veränderungen beobachten die Wissenschaftler auch bei der Wassertemperatur, die sie in den Fjorden von der Meeresoberfläche bis in eine Tiefe von 700 Metern messen. „Eine erste Analyse unserer Messdaten aus der Disko-Bucht zum Beispiel hat vorhergehende Untersuchungen bestätigt. Demnach ist die Wassertemperatur in einer Tiefe von 200 Metern durch Änderungen der Meeresströmungen in den 90er Jahren deutlich angestiegen. Dieses warme Wasser gelangt vermutlich unter die Gletscherzungen und kann dort die Gletscherschmelze zusätzlich antreiben“, so Allan Cembella.
Hitzewellen, Gletscherschmelze, Meereisrückgang: Die großflächigen Veränderungen in der Arktis stellen ihre Bewohner vor große Herausforderungen – vor allem an der Westküste Grönlands. Allan Cembella: „Wir gehen davon aus, dass sich im Zuge der Erwärmung die Lebensräume vieler Meereslebewesen verschieben werden. Dieser Wandel wird besonders jene Arten treffen, die in den flachen Küstengewässern leben, denn deren Sommereisdecke taut neuerdings immer auf. Das heißt, Fischbestände werden ebenso betroffen sein wie das Plankton, die vielen am Meeresboden lebenden Arten, die Seevögel und Meeressäuger – und letztendlich auch der Mensch.“
Mit der soeben endenden Expedition auf dem Forschungsschiff MARIA S. MERIAN unternehmen die Wissenschaftler erstmals den Versuch, mögliche Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung des Fjordwassers und der Wassermassen in den küstennahen Bereichen Grönlands und Islands zu dokumentieren und Rückschlüsse über mögliche Auswirkungen auf die Lebensgemeinschaften im Ozean zu ziehen. „Unser Ziel ist es, herauszufinden, inwiefern sich der hohe Eintrag von Schmelzwasser und die dadurch veränderten Wassereigenschaften speziell auf den Lebenszyklus des Phytoplanktons auswirken. Dazu haben wir Wasserproben in Gletscher- und Küstennähe sowie im Übergangsbereich zum offenen Meer genommen“, erzählt Allan Cembella.
Diese Daten hätten gerade angesichts von Gletscherabbrüchen wie jenem kürzlich erfolgten am Petermann-Gletscher in Nordgrönland einen unschätzbaren wissenschaftlichen Wert. „In vielen verschiedenen Zukunftsszenarien wird bisher davon ausgegangen, dass es im Zuge der Erwärmung in der Arktis künftig öfter zu gesundheitsgefährdenden Algenblüten kommt. Unsere aktuellen Untersuchungen werden uns helfen zu verstehen, ob und inwiefern großflächige Gletscherschmelzen die chemischen und physikalischen Grundlagen für solche Blüten bilden“, sagt Allan Cembella.
Quelle
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung 2012