Alles grün und gut?
Eine Bilanz des ökologischen Denkens. Zu einer Attacke auf das ökologische Denken. Von Rupert Neudeck
Das ist das erklärte Buch von Dissidenten, oder auch religiös gesagt, Konvertiten, die statt der alten Richtung jetzt die Anti-Richtung einschlagen. Ich spreche nicht von Renegaten, das hat schon den negativen Beigeschmack. Das Buch versucht den erwünschten Prozess, das ökologische Denken auch aufklärungs- und kritikfähiger zu machen, zu erschlagen. Auch wenn die einzelnen Daten stimmen, so stimmt die Tendenz des Buches überhaupt nicht.
Ich will es an einem herausgesuchten Beispiel klarmachen. Das steht im Kapitel 6 unter dem Titel „Leben und leben lassen“ und hat die gut klingende reißerische Überschrift: Ist Umweltaktivismus der neue Kolonialismus? Dieses Kapitel will die altehrwürdige Pionierin Rachel Carsons fertig machen, die wenigstens als „begabte Autorin“ bei den beiden firmiert. Sie hatte herausgefunden, dass chlorhaltige Verbindungen wie das DDT langlebig sind und sich im Körperfett anreichern. Die Gifte gelangen über die Nahrungskette auch in den menschlichen Organismus.
Carsons habe auch ein besonderes Gespür für die Medien gehabt, sie beschränkte sich in ihrem Kampf geradezu taktisch raffiniert nur auf das Dichlordiphenyltrichlorethan, kurz DDT. Das ist z.B. eine völlig fehlgehende Beurteilung dieser Autorin, die nur dem dienen soll, was die Autoren dann behaupten. DDT sei nämlich das wirksamste und preiswerteste Mittel gegen die Anophelesmücke, die Malaria überträgt. Weltweit habe das Insektizid 500 Mio. Menschen das Leben gerettet, zwischen 1945 und 1970. Dann wird es noch gemein, weil paratheologisch. DDT galt als reines Werk des Teufels, und dieser musste mit allen Mitteln ausgetrieben werden.
Die Autoren behaupten einfach, dass DDT die Malaria hätte ausrotten können und man das wegen des Abscheus vor dem Teufelszeug DDT nicht getan habe. Das ist ein ziemlicher Unfug. In Indien hat man, weil die Malaria auch epidemisch auftrat, die Malaria fast ausgerottet, es gab einen Rückgang der Erkrankungen von 100 Mio. 1952 auf 50.000 im Jahre 1961. Warum es in Afrika so viel weniger wirksam war? Die Bekämpfung mit DDT erfordert einen hohen Aufwand. Die flächendeckenden Sprühaktionen, bei denen kein Haus ausgelassen werden darf, müssen alle 6 Monate wiederholt werden, sonst wandern die Mücken wieder ein. Die Anophelesmücken müssen alle „indoor biter“ sein, d.h. den Menschen im Haus stechen. In Asien gibt es auch die „outdoor biter“, die an Zahl zunehmen, wenn die anderen Moskitos als „indoor biter“ reduziert werden.
Was die Autoren überhaupt nicht erwähnen, sind die Resistenzentwicklungen. Die Mücken wurden resistent gegenüber dem DDT, besonders dort, wo Malaria endemisch war und die Sprühaktionen unregelmäßig. Es stimmt auch nicht, dass DDT verboten wurde, in Zimbabwe wurde und wird es weiter in Gegenden mit epidemischer Malaria eingesetzt. DDT wurde aber meist durch die Bekämpfung der Mücke mit „Pyrethroiden“ ersetzt, mit denen Moskitonetze imprägniert werden. Diese Netze, die für die Malaria Kontrolle eingesetzt werden sind sicher teurer als der Einsatz von DDT, aber dafür gesünder.
Die Autoren gehen in dem Anschwärzen der Umweltaktiven so weit, wie in dem deutschen Gemeinspruch: wer lügt, der stiehlt, der frisst auch kleine Kinder. Da man so verhetzt gegen den Einsatz von DDT sei, gefährde man die Weltgesundheit, die Gesundheit der Menschheit gerade in Ländern der sog. Dritten Welt. So geht das Kapitel weiter, in dem die Autoren die große gute und verdienstvolle Frau der Umweltbewegung Rachel Carsons fertigmachen und fortfahren zu sagen: Die meisten mit einer grünen Einstellung „haben keinerlei Zweifel oder gar ein Unrechtsbewusstsein“. Durch seine „vermeintliche Unschuld“ besitze das grüne Denken im Wettbewerb um die Gunst der Öffentlichkeit einen erheblichen Vorteil. Und das Buch geht noch weiter und da wird es schon gemeingefährlich. Selbst wenn Grüne inhuman handeln, betrachten sie sich als Vertreter einer höhen Moral“. So betrachtet, rechtfertige das Ziel einer DDT-freien und gentechnikfreien Welt die Toten. „Ein Denken, das an die moralischen Verbiegungen vieler Kommunisten erinnert, die bis zuletzt jede verbrecherische Handlung mit dem Hinweis auf eine leuchtende Zukunft rechtfertigen“.
Das Fazit dieses Kapitels ist medizinisch überhaupt nicht zu halten und wirft auf die Beweisführung der Autoren auch in anderen Feldern ihrer Streitschrift ein schlechtes Licht. „Wo DDT zuvor Millionen von Menschenleben gerettet hat, kommt es jetzt zu Abertausenden von Toten. Anstatt aus der Katastrophe zu lernen, wird aktuell die Kampagne gegen den lebensrettenden Vitamin A-Reis genau so gnadenlos durchgezogen auf Kosten der Menschen in armen Ländern“.
Es sind hier alle Themen des ökologischen Diskurses aufgeführt, die es in den letzten fünfzig Jahren gegeben hat, meist aber mit einem besserwisserischen Zeigefinger: So, als ob wir uns da überall nur auf falsche Fährten gesetzt haben, weil Prognosen so katastrophal nicht eingetroffen sind, wie sie verkündet wurden.
Natürlich hat so ein Buch auch seinen Wert, denn es gibt wie bei allen guten Entwicklungen Übertreibungen, Orthodoxie-Verkrampfungen und Häresieanwandlungen. Zumal wenn sich das ökologische Denken, was die Autoren zu Recht herausstellen, auch als unbewusster und heimlicher Glaubens- und Religionsersatz geriert. Der Ökologismus sei eine der „einflussreichsten Religionen der westlichen Welt“, zitieren die Autoren den jüngst verstorbenen Schriftsteller Michael Crichton: „Es scheint die bevorzugte Religion urbaner Atheisten geworden zu sein“. Da kann man den Autoren nur Recht geben, es wird künftig wieder nötig sein, einen klaren Trennungsstrich zu ziehen zwischen Glaubensbekenntnissen und ökologischer Vernunft. Das offenbar konstante Bedürfnis nach Seelenheil suche sich in den weltlich emanzipierten Kreisen andere Wege. Polemisch, wie das Buch immer wieder auch eindrucksvoll formuliert, heißt es: „Finden wir eine neue Frömmigkeit irgendwo zwischen Dalai Lama und Waldorfschule, Greenpeace und PETA?“
So weit so gut, aber dass gleich alle Bewegungen und Leistungen/Erfolge der Bewegung, mit denen wir ja ganz auskömmlich leben, in den Orkus eines Verrisses gezogen werden, leuchtet dem Leser nicht ein. Es sind neun geballte Kapitel, leider alle ohne Anmerkungen nur versehen mit einem äußerst schmalen Literaturregister, kein Register am Ende. Das erste Kapitel ist dem Mensch in der Natur gewidmet. Das zweite dem Wechselspiel von Eiszeit und Zeitgeist. Das dritte Kapitel beschreibt die Wandlungen im Bewusstsein der alternativen und erneuerbaren Energien: Das Energiedilemma. Dann wenden sich die Autoren der Lieblingsvorstellung der Ökologen zu, seit Brigitte Bardot, den bedrohten Tieren. Auch hier fehlt nicht die Häme bei der Betrachtung dieser Bemühungen: Wollen wir Symboltiere oder bedrohte Tiere retten?“
Das nächste Kapitel ist den vermeintlichen oder wirklichen Übertreibungen in der Kritik an der Gentechnik vorbehalten. Das sechste Kapitel beschreibt die eben schon zu Beginn paradigmatisch kritisierte Einseitigkeit in der Verurteilung von DDT und den neuen kolonialen Überforderungen der Entwicklungsländer. Sehr wichtig erscheint mir das Kapitel über die fehlende Kontrolle der NGOs. das kennt derjenige, der mit NGOs innen und von außen zu tun hatte. Das ist ein Kapitel, in dem die Autoren an eine offene Wunde rühren. Der Entwicklungspolitik-Wissenschaftler Franz Nuscheler hat für die Mischform von Nicht Regierung mit Subventionen von der Regierung bereits das schöne Abkürzungssymbol „QuaNGOs“ (= quasi non-governmental agencies) gefunden. Die Autoren beklagen zu Recht die oft mangelnde Bescheidenheit der NGOs und dass sie einfach nicht von einer staatlichen Stelle kontrolliert werden. Das Spendensiegel ist eine nicht staatliche private Form, Journalisten zu erleichtern, sich ein Bild zu verschaffen, aber auch korruptionsanfällig, wenn es um ganz große NGOs wie UNICEF geht, denen das Siegel mal entzogen, dann wieder nachgeworfen wird.
„Ob Gentechnik, Mobilfunk oder moderne Medizin: Kaum ist ein moderner Fortschritt in Sicht, gehen NGOs in Stellung, die ihn verhindern wollen“. Das ist pauschal natürlich Unsinn, die NGOs nehmen eine Wächterfunktion ein, übrigens gesellschaftlich auch anerkannt, die die staatliche Politik oft nicht in der Lage ist zu exekutieren. Dass auch größte Verbände wie der BUND und GREENPEACE korrumpierbar sind, bedeutet erst mal, dass sie auch der menschlichen Sphäre angehören. BUND hatte lange gegen den Windpark Nordergründe im Wattenmeer gekämpft. Die Rotoren seien eine Gefahr für die Zugvögel. Auf einmal hörte der Protest auf. Im Gegenzug bekam die BUND-Stiftung 800.000 Euro… Das gleiche gilt auch für das siebente Kapitel. Es geht schon darum, nicht unbegründet Ängste zu schüren. Aber die Alarmrufe zur Rettung des Waldes haben gewiss auch zu dem „unverdrossenen“ Wachstum des Waldes in Deutschland und Europa geführt.
Gerade die beherzte Fukushima Entscheidung der Bundesregierung verdient bis heute wohl uneingeschränkt Zustimmung und Lob. Auch hier ergötzen sich die beiden Autoren, in dem sie Widersprüche aufdecken. Aber welche Politik lebt ohne Risiken und Widersprüche. Z.B. dem, dass wir weiter bereit sind, Atomstrom auch zu kaufen, sonst wären wir ja Manichäer im ökologischen Diskurs. Ganz selten hörte man in dem Buch den Ton, der eingeleitet wird von dem Satz: „Damit kein falscher Eindruck entsteht; auch wir können durchaus verstehen, dass einer Mehrheit in Deutschland Atomkraft unheimlich ist“. Für einen Ausstieg gäbe es durchaus vernünftige Gründe, zum Beispiel die schwierige Lagerung von Atomabfällen“.
Das ist, wie der Wortlaut beweist, ja fast ein Zugeständnis an die Vernunft. In diesem Kapitel über Fukushima ist vieles nur zynisch angerissen. Es ist wirklich mehr als vernünftig, sich von einer so gefährlichen Last zu befreien. Im Fazit dieses Kapitels urteilen die Autoren m.M. nach ganz falsch. Was jeder Mensch und Arzt machen muss, sei in der Umweltpolitik tabu: „Das Abwägen von Risiken“. Das ist doch Unsinn. Gefahren an Hand von Statistiken und Umfragen einzuschätzen, bedeutet doch nicht, den abgrundtiefen Schaden zu übersehen, der durch die weitere Verbreitung von Plastik für die Weltmeere entsteht oder auch die unbeherrschbare Fallout Katastrophe, die es in Tschernobyl oder Fukushima gab. Das ist als Menschheitsgefahr mit den Zahlen von real Gestorbenen gar nicht abzudecken.
Manche Entwicklungen sind komisch und bleiben kritisierbar, so wenn der Sohn eines der Funktionsträger des Club of Rome, Felix Finkbeiner, schon als Kind als 14jähriger als Shownummernboy aufgebaut wird. In der Talkshow Gottschalk Live habe dieses Kind einen großen Auftritt hingelegt. Felix pflanzt Bäume, „weil die Erwachsenen so viel CO2 in die Luft pusten. Als Ökokinderstar durfte er sogar vor der UN-Vollversammlung reden, wie auch die 17jährige Malala Yousafai den Friedensnobelpreis bekommt, der ihr die Jugend und Adoleszenz klauen wird. Dazu kommt eine Volte der Autoren gegen alles, was sich ihrem Verständnis nicht erschließt, so auch das Denken der Waldorfpädagogik und der Anthroposophie. Was Bio wirklich bedeutet?
Zu dieser Frage haben die Autoren nur hämische Antworten. Biobauern nützen Stallmist, Kompost, ausgeklügelte Fruchtfolgen, um die Fruchtbarkeit der Böden zu steigern. Gegen Schädlinge und Unkräuter setzen sie ebenfalls Giftstoffe ein, aber nur solche, die nicht synthetisch, also in chemischen Fabriken erzeugt werden. „Bei den Anhängern Rudolf Steiners kommen noch esoterische Rituale hinzu, die dem Boden, den Pflanzen und Tieren spirituelle Kräfte zuführen wollen“. Welche sagen die Autoren nicht, aber das passt in das Bild dieser in jeder Weise zu pauschalen und fröhlichen Kritik, so als würde das alles was das ökologische Denken ausmacht, einer einzigartigen Spinnerei sich verdanken.
Man kann den Autoren allerdings bescheinigen, dass sie gefährlich süffisant schreiben. Das macht, dass die Gefahren auch ein wenig verharmlost werden. Sie folgen nicht dem Beispiel von Kundar Diwan, den sie als 100jährigen Inder in einem Film porträtiert hatten. In 40 Büchern hat er sich mit den verschiedenen Weltreligionen und ihrer Bedeutung für die Menschen beschäftigt. Die Autoren fragten ihn: ob die Welt in den vergangenen 100 Jahren besser oder schlechter geworden sei?
Die Antwort: Die Welt sei ein Zyklus ohne Anfang und Ende, „immerwährend Gleichzeitigkeit von hier und jetzt“, sagte er freundlich und dies, obwohl er viel dazu beigetragen hat, Indien zu einem besseren Ort zu machen. Ein Stück von dieser fantastischen Bescheidenheit möchte man den Autoren wünschen, aber vielleicht vergeblich. Der Vorsatz dieses Buches besteht darin, nicht bescheiden zu sein.